Kölner "Regenbogenaffäre" eskaliert

Kirchliche Attacke auf Zeitungsredakteur

Gerald Selch ist Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers. In einer Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche stellt er sich hinter einen seiner Redakteure und nimmt ihn gegen Attacken des Erzbistums Köln in Schutz. In einem Offenen Brief beschwert sich Selch über "Diffamierungen" durch einen hohen kirchlichen Funktionär und spricht von einer "Grenzüberschreitung der Institution katholische Kirche gegenüber der freien Presse und deren Vertretern". Anlass ist die Berichterstattung des Kölner Stadt-Anzeigers über die Eröffnung des Erzbischöflichen Bildungscampus Köln-Kalk.

Über die Vorgeschichte des jetzt öffentlich eskalierten Streits hat der hpd bereits berichtet: Der Kölner Stadt-Anzeiger hatte über die Einweihung des neuen Erzbischöflichen Bildungscampus Köln-Kalk mit Kardinal Rainer Maria Woelki am 7. Juli geschrieben. In das Ensemble mit einer Grundschule und einer integrierten Gesamtschule hat das Erzbistum Köln nach eigenen Angaben 80 Millionen Euro investiert.

Nach Informationen des Kölner Stadt-Anzeiger​​​​​​​s waren Mitarbeitende vor der Einweihung, die einen Tag nach dem Kölner "Christopher Street Day" stattfand, aufgefordert worden, im Eröffnungsgottesdienst und beim Festakt nicht das Zeichen der Queer-Bewegung, das Regenbogensymbol, zu zeigen. Provokative Kleidung sei zu unterlassen. Eltern hätten sich daraufhin zum Protest verabredet und Regenbogen-Symbole in verschiedener Form mitgebracht. Häppchen auf dem Buffet wurden mit Regenbogenfähnchen versehen. Aus dem Fenster eines Klassenzimmers hätten sie eine Regenbogenfahne wehen lassen.

Die Berichterstattung des Kölner Stadt-Anzeiger​​​​​​​s gefiel dem Erzbistum Köln ganz und gar nicht. Aber statt sich zum Beispiel mit einem Leserbrief oder auch mit einer Beschwerde über behauptete Fehler an den Presserat (Selbstkontrollorgan der Presse) zu wenden, wählte das Erzbistum den Weg des "Offenen Briefes" – mit heftigen persönlichen Attacken gegen den für den Zeitungsartikel verantwortlichen Redakteur Joachim Frank.

In seinem "Offenen Brief" vom 11. Juli geht Frank Hüppelshäuser, der Amtsleiter des Erzbischöflichen Generalvikariats, den Journalisten persönlich und frontal an, wenn er schreibt: "Joachim Frank – Ihre Berichterstattung ist menschenverachtend! Herr Frank, Sie mühen sich seit Jahren ab, das Erzbistum Köln mit seinem Bischof an der Spitze zu diskreditieren, zu verunglimpfen und sein Bild in der Öffentlichkeit zu verzerren."

Inwieweit für den Redakteur Frank "mehr oder weniger persönliche Gründe für diesen Feldzug die Triebfeder" seien, lasse sich nur erahnen, raunt Hüppelshäuser. Vielleicht seien es auch rein ökonomische Beweggründe, denn bekanntlich lasse sich ja vor allem mit "schlechten" Nachrichten Geld verdienen.

Und dann wendet sich der Bistums-Amtsleiter der Art und Weise der journalistischen Recherche zu. Der Redakteur hatte, kaum überraschend, mit Beteiligten gesprochen, die etwas zu der "Regenbogenaffäre" sagen konnten. Dazu schreibt Hüppelshäuser:

"Dass Sie sich nun aber unter dem Vorwand, der Hüter der Toleranz zu sein, einzelne Mitarbeiter des Erzbistums herausgreifen, diese namentlich nennen und beschuldigen, stellt den bisherigen Tiefpunkt Ihrer Veröffentlichungen dar. Es scheint Ihnen dabei völlig egal zu sein, was Sie bei den Menschen, die Sie öffentlich an den Pranger stellen, anrichten. Diese können sich nicht wehren und sind Ihrer Berichterstattung ausgeliefert. Wie Sie das mit den publizistischen Grundsätzen und dem eigentlich hohen Selbstanspruch des Stadt-Anzeigers an fairen und objektiven Journalismus vereinbaren, erschließt sich mir nicht."

Hüppelshäuser mutmaßt, dass die Vorgehensweise des Redakteurs Teil seiner Strategie sei, "um die Kirche und insbesondere das Erzbistum Köln und seinen Bischof bei jeder Gelegenheit zu beschädigen".

Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk (Sendung "mediasres" vom 22. Juli) versicherte Redakteur Joachim Frank, er habe dem Bistum mehrere Möglichkeiten gegeben, zu dem Vorfall Stellung zu nehmen. Stattdessen würden nun "Unterstellungen über meine Motivlage angestellt, ganz gezielt bezogen auf meine Person. Im ganzen Pamphlet, so nenne ich es jetzt mal, wird mit keinem einzigen Wort auf den Anlass der Berichterstattung und auf die Tatsachen eingegangen, diese werden auch gar nicht bestritten."

Frank deutet die harsche Reaktion des Bistums so, dass er offenbar einen empfindlichen Punkt getroffen habe. Dass es nicht ruchbar werden sollte, dass es eine Intervention gab, bei der Eröffnung des Campus keine Regenbogensymbole zu zeigen. "Es sollte ein großes Fest und tolles Ereignis werden. Ein harmonisches Ding mit schönen Bildern, dass dadurch überlagert wurde, dass in unserer Berichterstattung gezeigt wurde, wie die Begleitumstände waren."

"Ein Angriff auf die Pressefreiheit"

Mika Beuster, Bundesvorsitzender der Journalistengewerkschaft Deutscher Journalistenverband, sieht in dem Vorgehen des Bistums "eindeutig ein[en] Angriff auf die Pressefreiheit. Es ist noch viel mehr der perfide Versuch, einen Kollegen als Individuum anzugreifen, um hier auf persönlicher Ebene eine Art Rachefeldzug zu führen, weil man sich angegriffen fühlt. Wie hätte Frank denn über die Vorkommnisse berichten sollen, ohne Namen zu nennen?", fragt Beuster, ebenfalls im Deutschlandfunk.

Mit deutlichen Worten stellte sich auch Gerald Selch, Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, schützend vor seine Redaktion und konterte ebenfalls mit einem Offenen Brief an Bistums-Amtsleiter Frank Hüppelshäuser:

"In unseren Beiträgen über die versuchte Unterdrückung des Regenbogen-Symbols am Bildungscampus Köln-Kalk legten wir offen, wie die Bistumsleitung, der Sie selbst angehören zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen agiert: mit Verboten, Drohungen und allerlei anderen Formen psychischen Drucks […] lhre Diffamierungen, gipfelnd in dem Begriff 'menschenverachtend', verlassen den akzeptablen Diskursraum und sind auch noch auf der Homepage des Erzbistums Köln veröffentlicht. Dies ist eine Grenzüberschreitung der Institution katholische Kirche gegenüber der freien Presse und deren Vertretern."

Die Behauptungen, die Berichterstattung des Kölner Stadt-Anzeigers ziele darauf, das Erzbistum oder den Erzbischof zu diskreditieren, zu verunglimpfen und sein Bild in der Öffentlichkeit zu verzerren, seien absurd. Die Redaktion komme vielmehr der ureigenen und grundgesetzlich geschützten Aufgabe der Presse nach:

"Wir informieren und machen öffentlich, was für die Menschen relevant ist und was sie bewegt. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie mit Ihren persönlichen Angriffen auf unseren Kollegen den Boten für die Botschaft ins Visier nehmen und das Ursache-Wirkung-Prinzip verkehren wollen."

Die freie Presse sei nicht selten eine (letzte) Möglichkeit, kritikwürdigem Verhalten der Bistumsleitung etwas entgegenzusetzen. Und dann kommt Chefredakteur Selch noch auf die Bemerkung des Bistums-Amtsleiters zu sprechen, dass dieser schon vor Jahren sein Abonnement des Kölner Stadt-Anzeigers gekündigt habe. "Das ist lhr gutes Recht. Herr Frank hat seine Mitgliedschaft in der katholischen Kirche nicht gekündigt. Er bezahlt also mit seiner Kirchensteuer – wie viele andere Gläubige – für solche der Kirche unwürdigen persönlichen Attacken auf Journalisten." Im Sinne der Fairness und der von Hüppelshäuser beanspruchten "offen, agilen Kultur" erwarte er, dass sein Schreiben an gleicher Stelle auf der Homepage des Erzbistums veröffentlicht werde. Was freilich bis heute nicht geschehen ist.

Wohl aber gibt es eine weitere Sache, über die sich das Bistum so sehr geärgert hat, dass es mit einer Stellungnahme auf seiner Internetseite reagierte. Wieder geht es um etwas, was der Kölner Stadt-Anzeiger angezettelt habe.

Umfrage offenbart, wie unbeliebt Woelki ist

Bei einer vom Kölner Stadt-Anzeiger und der Kölnischen Rundschau in Auftrag gegebenen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa von Anfang Juli gaben 83 Prozent der Kölner an, "wenig oder gar nicht" zufrieden zu sein mit der Arbeit des Kölner Erzbischofs Rainer Maria Kardinal Woelki. Nur drei Prozent zeigten sich "zufrieden" mit der Arbeit von Woelki, der vor allem wegen seines Umgangs mit der Aufarbeitung sexueller Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln in der Kritik steht.

Dazu schreibt das Erzbistum Köln in seiner Stellungnahme vom 15. Juli: "Die in den Medien genannten Zahlen widersprechen dabei eindeutig der Wahrnehmung, dass viele Gläubige Kardinal Woelki und sein Wirken für die katholische Kirche und das Erzbistum Köln wertschätzen." So hätten an der Fronleichnams-Prozession am 19. Juni über 3.000 Menschen teilgenommen.

Das Bistum findet offenbar, dass dies eine große Zahl ist. Aber setzen wir sie einmal in das Verhältnis zu einer anderen Zahl, die etwas mit dem Anlass des ganzen Streits – dem Regenbogensymbol – zu tun hat: Laut "Tagesschau" waren beim diesjährigen Christopher Street Day am 6. Juli trotz regnerischen Wetters 60.000 Menschen auf Festwagen oder zu Fuß durch Köln unterwegs – vor vielen hunderttausend Zuschauern am Straßenrand.„

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