Eine persönliche Erfahrung zum "Stadtbild"

Was Friedrich Merz gemeint haben könnte

Friedrich Merz braucht keine Verteidigungsrede einer Frau in Sachen Stadtbild-Debatte. Er kann und soll für seine Ansichten und Äußerungen selbst geradestehen. Und doch will unsere Autorin anhand eines Beispiels erläutern, warum sie seine Äußerungen nachvollziehen kann.

"Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem", lautete die verhängnisvolle Originalaussage von Friedrich Merz Mitte Oktober. Seitdem prägt der Satz die öffentliche Debatte. "Fragen Sie doch mal Ihre Töchter!" legte der Bundeskanzler wenig später nach. Man kann daran viel kritisieren: Die Aussage ist wahlweise eine unbedachte Formulierung, undifferenziert, Klischees und Ressentiments bedienend oder populistisch. Doch was sie jenseits des Diskurses auch ist: Sie spiegelt vermutlich das Gefühl vieler Menschen wider. Und zwar von denen, die weder auf Demos gehen noch Brandbriefe schreiben, sondern sich gar nicht öffentlich äußern. Dazu möchte ich eine persönliche Erfahrung in all ihrer Unzulänglichkeit schildern.

Etwa eine Woche nach besagter Äußerung kam ich an einem Sonntagabend gegen 20:15 Uhr am Bahnhof einer bayerischen Großstadt an. Auf dem Vorplatz eines Seiteneingangs hatten sich Grüppchen von insgesamt etwa 30 sehr laut arabisch sprechenden jungen Männern versammelt. Sie schnalzten mit der Zunge, klatschten laut in die Hände. Es war keine Frau zu sehen, weit und breit. Nur ich. Ich stand dort und suchte auf meinem Handy nach der Adresse, zu der ich unterwegs war. Da begannen zwei der jungen Männer miteinander zu rangeln. Schubsend bewegten sie sich auf mich zu, bis auf etwa 20 Zentimeter Abstand.

Ich bin kein ängstlicher Mensch, wenn es darum geht, nach Einbruch der Dunkelheit als Frau allein unterwegs zu sein. Das würde ich mir auch nicht erlauben, denn ich erwarte von unserer – und nebenbei bemerkt, von jeder – Gesellschaft, dass das überhaupt kein Problem ist.

Nun stand ich aber da, und begann mich unwohl zu fühlen. Das war ein neues Gefühl für mich. Ich ging los und begann dabei zu reflektieren: Es ist nur ein Gefühl. Gefühle sind irrational. Worauf stützt sich mein Unwohlsein? Ist es das "Fremde", (in dem Fall ein Verhalten, eine Sprache, die ich nicht verstehe), das unwillkürlich Ablehnung hervorruft? Ist es berechtigt, dass ich so reagiere? Mir ist schließlich nichts passiert. Niemand hat mich angesprochen oder angefasst. Ich kenne die anwesenden Männer nicht und weiß nichts über sie. Vielleicht tue ich ihnen unrecht.

Was man aber konstatieren kann: Es war eine rein arabisch sprechende Community. Es war niemand anwesend, der nicht arabisch gesprochen hätte. Dies vermittelte den Eindruck einer gewissen vorhandenen kulturellen Homogenität. Einer Kultur, in der Männer und Frauen nicht gleichwertig sind. In der Frauen nicht allein unterwegs sein dürfen und in der Gewalt gegen sie eher ein Kavaliersdelikt ist. Ich kann also zumindest Annahmen über das Frauenbild der anwesenden Personen treffen. Wenn sie – und so wirkte es in diesem kurzen Moment – nur unter sich sind, wie wahrscheinlich ist es, dass sich das Frauenbild verändert hat? Welche Gruppendynamik könnte sich möglicherweise in dieser rein männlichen Versammlung bilden, wenn ich etwa an die Kölner Silvesternacht denke?

Ich habe keine Antworten auf diese Fragen. Aber die gesamte Situation kam mir wie eine Veranschaulichung dessen vor, was Friedrich Merz bei aller Kritikwürdigkeit vielleicht versucht haben mag, auszudrücken. Es ist eine nicht repräsentative Einzelerfahrung. Aber ich wage zu behaupten, dass dies ein Aspekt des Stadtbilds vielerorts ist, bei dem Menschen – also nicht nur Frauen – sich unwohl fühlen. Ich bin eine Tochter, die das nachempfinden kann. Und glauben Sie mir – nichts tue ich so ungern, wie dem aktuellen Bundeskanzler recht zu geben.

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