AHA! Theologen

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Bildbearbeitung und Collage: F. Lorenz

(hpd) Bei Atheisten, Humanisten oder Agnostikern denkt man nun wirklich nicht zuerst an Theologen. Und doch entwickeln sich bei einigen von ihnen im Laufe ihrer Auseinandersetzung mit den religiösen Grundlagenwerken Zweifel, die zur Abkehr von ihrer Religion führen können. Sechs dieser Theologen stellt der hpd heute vor.

Fast alle heute vorgestellten Kandidaten hielten Professuren inne und waren somit respektierte Mitglieder ihrer jeweiligen theologischen Community – bis sie ausscherten und in zum Teil heftigen Auseinandersetzungen ihrer Ämter enthoben wurden. Meist ohne großen Schaden: Sie nahmen ihre Tätigkeiten an anderen Fakultäten und in ähnlichen Funktionen wieder auf.

Die Theologen sind nach Geburtsdatum sortiert:

Johannes Neumann, geboren am 23. November 1929 in Königsberg, ist ein vormals römisch-katholischer Theologe und Soziologe. Er wurde für seine Kritik an Religionen bekannt.
Neumann studierte Philosophie, Geschichte, Soziologie und Theologie in München und Freiburg. Er promovierte und habilitierte am Kanonischen Institut der Universität München.
Als Theologe war er an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Professor für Kirchenrecht, von 1970 bis 1972 war er dort auch Rektor. Durch seine Arbeit wurden ihm zunehmend die Widersprüche in den Religionen deutlich und 1977 brach er endgültig mit der katholischen Kirche. Fortan war er Professor für Rechts- und Religionssoziologie in Tübingen, wobei die Sozialpolitik Deutschlands einen seiner Arbeitsschwerpunkte bildete.
Neumann war Mitbegründer und erster Vorsitzender der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft, ist u.a. Mitglied des Beirats des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) sowie des Beirates der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung (gbs).

 

Paul Schulz, geboren am 29. August 1937, ist ein ehemaliger evangelischer Theologe.
Ab 1970 war Schulz Gemeindepastor der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg. Nachdem er etliche christliche Grundsätze leugnete, wurde er 1975 vom Dienst beurlaubt. Ein Lehrbeanstandungsverfahren wurde in die Wege geleitet, welches 1979 mit dem Verlust aller Ordinationsrechte endete.
Paul Schulz trat nach dem Ausscheiden aus dem Kirchendienst auch aus der Kirche aus und wurde nach Zwischenstationen Manager der Hamburger Bavaria-St. Pauli Brauerei. 1995 gründete er die Seniorenakademie Alstertal.
In jüngerer Zeit veröffentlichte Schulz zwei Bücher, in denen es u.a. um Zweifel an Gott, Rückkehr zur Natur, Autonomie und Ästhetik geht: "Codex Atheos. Die Kraft des Atheismus" und "Atheistischer Glaube. Eine Lebensphilosophie ohne Gott".

 

 

Horst Herrmann, geboren am 1. August 1940 in Schruns (heute Österreich), ist ein deutscher Kirchenrechtler und Kirchenkritiker, Soziologe und Schriftsteller. Er entwickelte die Mandatssteuer zur Kirchenfinanzierung.
Herrmann studierte katholische Theologie in Tübingen, Bonn, München und Rom.
1970 wurde er zum Professor für katholisches Kirchenrecht an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster berufen. 1975 wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen, nachdem es zu Auseinandersetzungen um seine Forschung und Lehre gekommen war. Es war der erste Fall dieser Art in Deutschland. 1981 trat Herrmann aus der Kirche aus und wechselte in den Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Münster, wo er bis zu seiner Emeritierung 2005 einen Lehrstuhl für Soziologie besetzte.
In seiner Forschung beschäftigte er sich mit der Väterforschung, der Soziologie der Partnerschaft und der Foltermentalitäten und -methoden.
Horst Herrmann veröffentlichte zahlreiche Bücher zu religions- und patriarchatskritischen Themen, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.
Auf seiner Homepage fasst er einige seiner Aktivitäten zusammen, hier eine Auswahl: „Seit 1977 bin ich auf Empfehlung von Heinrich Böll Mitglied des P.E.N. Außerdem war ich Herausgeber der im Goldmann Verlag erschienenen Bibliothek des Querdenkens. Von mir liegen an die 60 Bücher (in mehrere Sprachen übersetzt) und etwa 200 Beiträge zu religions- und patriarchatskritischen Themen vor.
Besonderes Interesse finden meine Biographien (Nero, Girolamo Savonarola, Thomas Müntzer, Martin Luther, Johannes Paul II.). Mit Karlheinz Deschner, mit dem ich seit Jahrzehnten eng befreundet bin, veröffentlichte ich Der Antikatechismus. 200 Gründe gegen die Kirchen und für die Welt (1991).“

 

Gerd Lüdemann, geboren am 5. Juli 1946 in Visselhövede, ist ein deutscher Theologe, der von 1983 bis 1999 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen Neues Testament lehrte.
1998 veröffentlichte Lüdemann das Buch „Der große Betrug. Und was Jesus wirklich sagte und tat“, in welchem er sämtliche Jesusworte und -taten in den vier kanonischen Evangelien und im Thomasevangelium analysierte, um feststellen zu können, welche vom historischen Jesus von Nazareth stammten und welche diesem nachträglich zugeschrieben wurden. Er kam zum Ergebnis, dass lediglich rund fünf Prozent der gesamten Jesusüberlieferung von Jesus selbst stammten, der Rest sei später hinzugedichtet worden.
Nach der Veröffentlichung verlangte die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen vom Niedersächsischen Wissenschaftsministerium Lüdemanns Entlassung aus dem Staatsdienst, später (wenigstens) seine Entfernung aus der Theologischen Fakultät.
Inzwischen lehrt er in Göttingen mit einem Sonderstatus „Geschichte und Literatur des frühen Christentums“ und leitet die Abteilung „Frühchristliche Studien“.
In einem Interview mit der MIZ im Jahr 2000 begründet Lüdemann seinen Anspruch, weiter an der theologischen Fakultät angestellt und lehrberechtigt zu bleiben: „Schließlich - so Lüdemann - könne es für die Studierenden kaum von Schaden sein, ‘wenn ein Nicht-mehr-Christ mit mehr als zwanzig Christen zusammen unterrichtet und forscht: Stimmt der Inhalt des christlichen Glaubens, so können meine in der Überzahl befindlichen Kollegen meinen Irrtum ja zurechtrücken. Stimmt er aber nicht, ist es für die Studierenden nur von Vorteil, rechtzeitig eine Neuorientierung vornehmen zu können.’”
Obgleich er sich nicht mehr als Christ bezeichnet, blieb Lüdemann Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers, um seinen Beruf an der Fakultät weiter ausüben zu können.

 

Heinz-Werner Kubitza wurde am 20. Juni 1961 in Hermeskeil bei Trier geboren und ist seit fast 20 Jahren Inhaber des Tectum Wissenschaftsverlags in Marburg. Auf deren Homepage ist folgende Selbstbeschreibung zu finden:
Kubitza „hat in Frankfurt, Tübingen, Bonn und Marburg evangelische Theologie studiert und dort auch promoviert. Schon im Studium beschäftigte er sich intensiv mit dem Problem des historischen Jesus und dabei theologisch quasi hinter die Kulissen geschaut. Daneben war er aber auch in verschiedenen Kirchengemeinden viele Jahre ehrenamtlich aktiv, und ist so auch mit der psychischen Gestimmtheit von Gläubigen bestens vertraut. Kubitza ist Fördermitglied der Giordano-Bruno-Stiftung, die sich für Aufklärung und eine humanistische Ethik einsetzt.“
Ab 2001 distanzierte sich Kubitza von der Kirche, einige Jahre später auch öffentlich. Er kritisiert nicht nur die christlichen Religionen und Kirchen, sondern ebenfalls die Esoterik.
Heinz-Werner Kubitza hat für den hpd über den Attentäter von Oslo, Breivik, einen Artikel verfasst und seine Bücher wurden auf dem hpd rezensiert: „Der Jesuswahn“, wie auch seine Auseinandersetzung mit dem Jugendkatechismus der Katholischen Kirche, Youcat, unter dem Titel „Verführte Jugend“. Mit Kubitza gibt es auch einen hpd-Podcast und ein Interview zum Youcat auf wissenrockt.

 

 

Muhammad Sven Kalisch (heute nur Sven Kalisch), geboren am 21. März 1966 in Hamburg, ist ein deutscher Jurist und ehemaliger islamischer Theologe. Von 2004 bis 2010 war Kalisch Professor für Religion des Islam am Centrum für Religiöse Studien (CRS) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und war damit Inhaber des ersten Lehrstuhls für die Ausbildung islamischer Religionslehrer in Deutschland.
Nachdem er 1997 im Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Technischen Hochschule Darmstadt promovierte, war er bis 2001 als selbstständiger Rechtsanwalt in Hamburg tätig. 2002 habilitierte er im Fach Islamwissenschaft an der Universität Hamburg und erhielt daraufhin die Lehrerlaubnis für das Fach Islamwissenschaft. Er war Mitglied des Kuratoriums der Muslimischen Akademie in Deutschland und arbeitete auch für das Islamische Zentrum Hamburg.
2008 beendete der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) Kalischs Mitarbeit im Beirat des CRS an der Universität Münster, da dieser grundsätzliche Lehren des Islam, wie etwa die Existenz Mohammeds und die Grundlagen der Entstehung des Korans, anzweifelte. Darüber hinaus bezweifelte Kalisch auch die historische Existenz Jesu, Moses, Abrahams und anderer Propheten der monotheistischen Religionen.
Der Fall Kalisch wurde seinerzeit in den Medien diskutiert. Als er sich auch noch vom Islam verabschiedete, brachte die Frankfurter Rundschau einen Artikel mit dem Titel „Muhammad Kalisch ist kein Muslim mehr“.

Auch der hpd titelte im November 2008: „Muhammad Kalisch: Ein Mann der Aufklärung“, hier ein Auszug: „Nach einem längeren Telefongespräch mit Muhammad Kalisch erklärte Stiftungssprecher Michael Schmidt-Salomon am Donnerstagnachmittag in Mastershausen: ‚Muhammad Kalisch hat mich ebenso erstaunt wie beeindruckt. Er ist wahrhaftig ein Mann der Aufklärung, der unsere volle Unterstützung verdient. Seine Positionen sind nicht nur gut begründet, er hat auch den Mut, sie in aller Öffentlichkeit zu vertreten - trotz der Gefahren, die damit verbunden sind. Der Fall Kalisch macht Hoffnung, dass der Islam möglicherweise den Prozess der Aufklärung doch schneller durchlaufen könnte, als wir dies bisher angenommen haben. Immerhin muss man feststellen: Auf etwa 100 katholische Theologieprofessoren kommt ein Horst Herrmann, auf 100 protestantische Theologen ein Gerd Lüdemann. Dass sich mit Muhammad Kalisch gleich der erste universitäre Islamtheologe in Deutschland so konsequent in die Tradition der Aufklärung stellt, könnte ein Zeichen dafür sein, dass wir die rationalistische Tradition innerhalb der muslimischen Philosophie gemeinhin kolossal unterschätzen. Ich kann nur jedem empfehlen, Kalischs Anmerkungen zur historisch-kritischen Methode zu lesen, und hoffe, dass die verantwortlichen Politiker einsehen, dass man einen Hoffnungsträger wie Kalisch nicht aus falscher Rücksichtsnahme auf das akademische Abstellgleis schieben darf.’“

Fiona Lorenz

 

 

AHA! Schauspieler (3.2.2012)
AHA! Biologen (10.2.2012)
AHA! Regisseure (17.2.2012)
AHA! SciFi-Autoren (24.2.2012)
AHA! Serien (2.3.2012)
AHA! Feministinnen (9.3.2012)
AHA! Astro-Physiker (16.3.2012)
AHA! Sportler (23.03.2012)
AHA! Komponisten (30.03.2012)
AHA! Illusionisten (6.4.2012)
AHA! Rockstars (13.4.2012)