Zwar begrüßt der Eckige Tisch, dass die Kirche für die Zukunft einen Plan erstellt, wie Missbrauch besser verhindert werden kann. Doch noch ein Gremium, noch ein Plan und noch mehr Beteuerungen, die Opfer der Kirche hören zu wollen, werden nichts daran ändern: Die Vergangenheit muss endlich durch eine wirklich kirchenunabhängige Untersuchungskommission untersucht werden, und an die Stelle sogenannter "Zahlungen zur Anerkennung des Leids" müssen endlich angemessene Entschädigungszahlungen treten.
Dass die Kirche immer noch nicht bereit ist, den Missbrauch tatsächlich konsequent aufzuarbeiten, zeigt sich schon daran, wie sie mit "Pflichtverletzungen von früheren Personalverantwortlichen" umgeht: Aus dem Statement von Generalvikar Pater Manfred Kollig geht hervor, dass die Gutachten-Kommission des Erzbistums Berlin in fünf Fällen "besondere Versäumnisse" festgestellt hat. Doch anstatt die jeweiligen Personalverantwortlichen zu entlassen, hat man die Fälle "zur weiteren Prüfung an zwei unabhängige Kirchenrechtler" in der Schweiz weitergeleitet. Wenig überraschend lautet deren Ergebnis: "Eine Pflichtverletzung im Sinne des Kirchenrechts ist nicht zu erkennen. Vergehen, die sanktionswürdig und -fähig wären, wurden nicht gefunden."
Wieder verschanzt sich die Kirche hinter ihrem Recht und vergisst die Moral. Wieder werden solange Gutachten bestellt, bis das gewünschte Ergebnis da ist. Wieder will man mit den Vertuschern über "Versäumnisse und Fehler sprechen". Und am Ende soll es vielleicht eine "Ethik-Kommission" richten. Aber nur vielleicht, denn in seinem Statement wollte Generalvikar Manfred Kollig die Anregung einer solchen Kommission nur "aufgreifen". Er hat sie also weder einberufen noch versprochen. Ob es also endlich Konsequenzen für die Täter und Vertuscher geben wird, ist immer noch unklar. Auch ein Jahr nach der Veröffentlichung des (größtenteils geschwärzten) Gutachtens sind die Täter immer noch nicht bekannt und niemand ist zurückgetreten, so als wäre gar nichts gewesen.
Eckiger Tisch kritisiert auch die folgenden Punkte:
Insbesondere fehlen uns in dem Maßnahmeplan zwei ganz entscheidende Punkte:
Zum einen die Selbstverpflichtung, dass Priester, die Kinder missbraucht haben, keine Priester mehr sein dürfen und dass Bischöfe, die das vertuschen, keine Bischöfe mehr sein dürfen. Und zum anderen verzichtet die Kirche immer noch nicht auf die Beichte bei Kindern und Jugendlichen, dabei ist das erwiesenermaßen einer der Hauptgefährdungsbereiche. Stattdessen heißt es in dem Maßnahmeplan ziemlich unspezifisch: "im Zusammenhang mit der Beichte sind Kinderrechte zu stärken". Die Bistumskommission konnte sich nicht einmal darauf einigen, dass der Raum für die Beichte mit Kindern und Jugendlichen zwingend immer einsehbar sein muss. Der Maßnahmeplan wählt die schwächere Form "sollte" – mit anderen Worten: Davon kann auch abgewichen werden.
Über zwölf Jahre nachdem der Missbrauchsskandal aufgedeckt wurde, muss das Erzbistum Berlin einräumen, dass die Aufarbeitung in den Gemeinden "gerade erst begonnen hat". Das Erzbistum hat noch nicht einmal entschieden, "ob eine Fachstelle Aufarbeitung geschaffen werden muss".
Kritik verdienen auch die Landesregierungen der betroffenen Bundesländer, die es immer noch nicht geschafft haben, Fachleute für die Aufarbeitungskommission vorzuschlagen. Es ist schlimm genug, dass die Politik der Täterorganisation selbst die Aufarbeitung überlässt. Doch nicht einmal die nach dem bestehenden – wenn auch zu kritisierenden – Modell existierende Einflussmöglichkeit, unabhängige Experten zu entsenden, schöpft der Staat aus.
Obwohl die Aufarbeitungskommission sich also noch nicht einmal konstituiert hat, wird ihr bereits von vier Bischöfen eine Geschäftsordnung diktiert. (Gemeint sind der Erzbischof von Berlin, der Bischof von Görlitz, der Bischof von Dresden-Meißen und der Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr).
Ausdrücklich zu begrüßen ist hingegen, dass sich das Erzbistum Berlin nicht nur abstrakt verpflichtet hat, Betroffenennetzwerke und -initiativen "zu unterstützen", sondern dass in dem Maßnahmeplan ganz konkret "Ressourcen zur Organisation von Selbsthilfeangeboten" versprochen werden, die auch "finanzielle Unterstützungsleistungen" umfassen. Dies hatte Generalvikar Pater Manfred Kollig in einer seiner Antworten im Rahmen der Pressekonferenz auch noch einmal bestätigt. Dies wäre ein Novum in der deutschen Bistumslandschaft und ist auch dringend notwendig. Betroffeneninitiativen wie der Eckige Tisch arbeiten seit zwölf Jahren ehrenamtlich und die Flut der Anfragen und Hilfegesuche wird immer größer. Dies können die Betroffeneninitiativen nicht mehr ohne finanzielle Hilfe schultern. Sowohl die Kirche als auch der Staat stehen hierfür in der Verantwortung.
Zum Abschluss seines Statements hat der Generalvikar Manfred Kollig versichert, eine Schublade, in die der Massnahmeplan verschwinden könnte, gebe es nicht. – Doch auch mitten auf dem Schreibtisch kann Papier einstauben, wenn es nicht mit Leben gefüllt wird. Der Eckige Tisch wird Generalvikar Kollig beim Wort nehmen und nächste Woche beim Erzbistum Fördermittel für die Selbstorganisation von Betroffenen beantragen.