An der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin

Kontroverse Debatte zur geplanten Sterbehilfe-Gesetzgebung

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Von links: Bernhard Schlink, Rolf Schieder und Lars Castellucci
Bernhard Schlink, Rolf Schieder, Lars Castellucci

Viele Freunde hatte er nicht im Publikum: In der Diskussion mit Bernhard Schlink warb Lars Castellucci für seinen neuen Gesetzentwurf, der in wesentlichen Punkten eine Neuauflage des vom Bundesverfassungsgericht gekippten Paragraphen 217 darstellt. Nach zwei Impulsvorträgen tauschten sich die beiden Protagonisten zunächst untereinander aus, bevor sich auch das gut informierte Publikum an der Debatte beteiligte.

Der Hörsaal war klein, dafür aber proppenvoll: Das Institut für Religion und Politik und das Seminar für Praktische Theologie der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hatten in der vergangenen Woche zu einem prominent besetzten Diskussionsabend eingeladen: Prof. Dr. Lars Castellucci, der auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine möglichst restriktive Regelung anstrebt, debattierte an der Spree in Sichtweite des Berliner Doms mit Verfassungsrechtler Prof. Dr. Bernhard Schlink – der vielen vor allem durch seinen Bestseller "Der Vorleser" bekannt sein dürfte – über "Suizid zwischen Selbstbestimmung und staatlicher Regelung". Moderiert wurde der Abend von Rolf Schieder, seines Zeichens Theologe.

Das Setting mochte eine gewisse Voreingenommenheit suggerieren (Schieder: "Der Herr gibt jedem seinen eigenen Tod"), nicht nur aufgrund des Veranstalters, sondern auch durch einen Satz im Einladungstext: "Der Deutsche Bundestag muss ein neues Suizidhilfegesetz verabschieden, das den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügt", konnte man dort lesen. Doch von einer Verpflichtung zur Gesetzgebung kann keine Rede sein, weshalb vor allem Sterbehilfeverbände regelmäßig daran erinnern, dass auch ohne gesetzliche Regelung bereits ausreichende Rahmenbedingungen und Sicherheitsmechanismen vorhanden sind. Doch das scheint für Mitglieder des Deutschen Bundestages keine Option zu sein, allen voran der SPD-Politiker Castellucci. Er steht Sterbehilfevereinen äußerst skeptisch gegenüber, spricht von "gefährlichen Formen" der Suizidhilfe, wirft ihnen vor, Geld mit der Freitodbegleitung zu verdienen und beharrt mit seinem Gesetzentwurf, dem sich derzeit nach hpd-Informationen 122 weitere Abgeordnete angeschlossen haben, weiterhin auf einer Verankerung im Strafrecht. Vom Konzept her erinnert die geplante Regulierung an die des Schwangerschaftsabbruchs: Grundsätzlich soll die geschäftsmäßige Suizidassistenz verboten, unter Voraussetzung der Einhaltung eines vorgegebenen Schutzkonzepts jedoch straffrei sein.

Castellucci gab sich zunächst liberal ("Suizid ist in Deutschland erlaubt. (…) Und wenn eine Sache erlaubt ist, dann kann man auch dabei helfen"), bezeichnete gar seinen Gesetzentwurf als weniger bevormundend als "das bürokratische Modell" von Renate Künast. Es gehe um Selbstverantwortung, die weder der Staat noch die Gesellschaft übernähme. Er warnte vor einer Normalisierung des Suizids und bekräftigte, dass sichergestellt sein müsse, dass es wirklich um Selbstbestimmung gehe. Auch sei klar, "dass Selbstbestimmung nichts ist, was irgendwie absolut zu setzen" sei, "aber sie ist zu achten und wir unterscheiden uns in den Gesetzentwürfen darin, wie stark wir jetzt sagen, dass es eines Schutzes dieser Selbstbestimmung bedarf". Er sieht seinen Gesetzentwurf nicht mit dem von 2015 vergleichbar, da inzwischen die Ärzteschaft ihr Standesrecht dahingehend verändert habe, dass sie nun in der Lage sei, Sterbehilfe zu leisten, und auch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vorgesehen sei. "Das ist unser fester Wille: Ermöglichen, aber nicht fördern." Die Schaffung von Beratungsangeboten wie es der Gesetzentwurf von Katrin Helling-Plahr vorsieht, nannte er hingegen eine "Suizid-Förderungsinfrastruktur".

Schlink, der ebenfalls der SPD angehört, hat Castelluccis Vorschlag öffentlich kritisiert und gemeinsam mit dem Institut für Religion und Politik einen eigenen Vorschlag erarbeitet, bei dem die erste Anlaufstelle der eigene Arzt des Vertrauens sein soll. Dieser soll dann eine weitere Person für eine Zweitberatung hinzuziehen, die ihm in der individuellen Situation geeignet erscheint. Nach einer Wartezeit von vier Wochen könne sich der Suizident an einen weiteren Arzt wenden, der ihm das todbringende Medikament verschreibt. Dokumentationspflichten sollen den Vorgang absichern. Es gebe laut Bundesverfassungsgericht Kriterien, die beachtet werden müssten: es dürfe keine akute psychische Krise vorliegen, die sterbewillige Person dürfe nicht unter sozialem Druck stehen, müsse wissen, was mit ihr bei einer Suizidbegleitung geschehe und was die Alternativen seien. Der Gesetzgeber sei frei darin, wie er diese Punkte zum Tragen bringe; dazu gehöre auch eine Wartefrist, die das höchste deutsche Gericht verlange. "Klar ist: es bedarf einer Beratung", wobei aber die Motive des Sterbewilligen nicht bewertet werden dürften. Gesellschaft und Staat dürften "den Selbstmord" nicht in Misskredit bringen. Er sieht keine ausreichende Begründung im Castellucci-Entwurf für eine Verankerung im Strafrecht. "Wenn Recht ohne Strafrecht auskommen kann, dann hat es auch ohne Strafrecht auszukommen. (…) Ich denke, wir können – ohne dem Suizidwilligen den Schutz zu verweigern, den er braucht – mit sehr viel weniger auskommen, als alle drei im Bundestag derzeit vorliegenden Entwürfe auskommen."

"Geschäftsmäßig heißt einfach, es wird wieder gemacht"

Castellucci konterte: "Wo, wenn nicht, wenn es um Leben und Tod geht, muss man auch die Ultima Ratio ziehen? Das ist für mich keine Ordnungswidrigkeit, jemanden zum Suizid zu verleiten." Die Begutachtung eines sterbewilligen Patienten könne nicht "der beliebige Hausarzt" leisten – zumal den viele gar nicht hätten – dafür bräuchte es jemanden mit psychiatrischer Ausbildung. Der Abgeordnete bezweifelte auch, ob die von Schlink vorgeschlagene hinzuzuziehende weitere Person dann auch die Kompetenz habe, wirklich die Freiverantwortlichkeit festzustellen. Castellucci, der auch Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften seiner Bundestagsfraktion ist, plädiert für öffentlich zugängliche Informationen über Stellen, bei denen man erfährt, wo einem geholfen wird, innerhalb eines geplanten Werbeverbots. Dieses gleicht in seiner inhaltlichen Formulierung dem erst im letzten Jahr abgeschafften Paragraphen 219a zum Schwangerschaftsabbruch (und zwar in seiner vorreformierten Form), auch wenn der SPD-Politiker versuchte, diesen Umstand zu verneinen.

Um Leben und Tod gehe es für Ärzte immer wieder, entgegnete wiederum der Jurist Bernhard Schlink. "Warum sollte der Arzt, der beim Suizid berät, nachlässiger sein als der Arzt, der behandelt? Ich sehe dieses Misstrauen in die Ärzte nicht ein, das mit dem Strafrecht irgendwie sanktioniert werden muss." Er rückte auch Castelluccis Darstellung von Sterbehilfeverbänden gerade: "Geschäftsmäßig heißt ja nicht, dass daraus ein Geschäft gemacht wird. Sondern geschäftsmäßig heißt einfach, es wird wieder gemacht." Die bei einem Sterbehilfeverein Tätigen seien Idealisten, "die verdienen damit nichts, die Unkosten werden gedeckt, und das ist auch alles". Er kritisierte auch die Fokussierung des restriktiven Entwurfs auf die organisierte Freitodbegleitung: Neben der Pflicht zum Lebensschutz verlange "das Bundesverfassungsgericht (…) vom Staat, dass er die Freiheit und Autonomie des Suizidwilligen schützt. (…) Die Beschränkung des Entwurfs auf eine Regelung von geschäftsmäßiger Sterbehilfe verfehlt in einem wichtigen Bereich das, was das Bundesverfassungsgericht verlangt." Nicht nur bei der geschäftsmäßigen, sondern bei jeder Sterbehilfe sei der Staat in der Verantwortung dafür, dass der Suizid tatsächlich in Freiheit und Autonomie begangen werde, so Schlink.

Um zu verdeutlichen, was er eigentlich meine, las Lars Castellucci einen von ihm vorformulierten Text vor, vor seiner Übersetzung ins Juristische: "Die organisierte, als ständige Dienstleistung erbrachte Suizidhilfe durch Institutionen oder Personen, die sich diesem Zweck verschrieben haben, ist nur unter der Voraussetzung erlaubt, dass ein Schutzkonzept nach Satz zwei eingehalten wird. Und dann kommen wieder die Gutachten und die Beratung und so weiter." Und er sprach eine Einladung auch an den Raum aus: "Helfen Sie uns bei der besseren Formulierung mit. Aber solange wir die nicht haben, bleibt die Geschäftsmäßigkeit im Gesetzentwurf." Dass man nicht einfach nur verbieten könne, habe man gelernt. Seine Motivation sei die Suizidprävention. Umfragen, wonach eine überwiegende Mehrheit der Menschen die Möglichkeit zum assistierten Suizid befürwortet, bereiten ihm Sorgen ("Was ist eigentlich los im Land, dass die Menschen diese Aussage treffen? (…) Da ist für mich auch ein Schrei drin").

Die zu Beginn beschriebene Voreingenommenheit wurde durch das vielfältige Publikum bestehend aus Student:innen der Theologie und der Rechtswissenschaften sowie selbst in der Sterbebegleitung engagierten Personen ausgeglichen. Dies zeigte sich deutlich in der rege und mit viel Raum geführten Debatte im Anschluss an die Diskussion zwischen Schlink und Castellucci, in der letzterer einen schweren Stand hatte. Aber auch vorher schon geriet der Bundestagsabgeordnete ins Schlingern, verlor sich in Vergleichen mit der Waffengesetzgebung, in der Organisationstheorie und der Migrationspolitik und gab insgesamt eine sehr eigenwillige Sicht auf die Dinge wieder. Besonders deutlich wurde dies beim Begriff der Autonomie: Er ist der Auffassung, dass diese vor allem durch Schutzkonzepte sichergestellt werde, während Sterbehilfeverbände und säkulare Interessenvertreter sie durch Ermöglichung von Selbstbestimmung gewahrt sehen.

Die Frage nach Ablehnungsmöglichkeiten in Bezug auf Suizidhilfe in kirchlichen Einrichtungen verneinte der SPD-Abgeordnete: "Ich verstehe das Anliegen. Ich würde das auch gerne machen, aber ich sehe keine Möglichkeit. Das würde aus meiner Sicht sehr leicht wieder kassiert werden."

Unerwartet brachte es der Moderator an einer Stelle auf den Punkt, was sich auch als Schlussbemerkung geeignet hätte: "Je weniger staatliche Einmischung in das Thema, umso besser ist es eigentlich."

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