Filmkritik

Alleingelassen im Kampf für die freiheitliche Gesellschaft

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Szene aus "Amal": Drohungen über Soziale Netzwerke
Szene aus "Amal"

Der Film "Amal" erzählt die Geschichte einer Lehrerin in Belgien, die sich beim Versuch, ihren Schülern etwas über Toleranz beizubringen, in einen Glaubenskrieg mit radikalen Muslimen verstrickt.

Amal ist Lehrerin an einer belgischen Schule, ihre Schüler sind im Teenager-Alter. Viele der Schüler haben einen Migrationshintergrund unterschiedlicher Länder. Alles beginnt damit, dass Mitschüler Monia, die einen marokkanischen Background hat, anfangen zu mobben, weil sie lesbisch sein soll. Amal reagiert, indem sie im Unterricht einen Dichter aus dem 8. Jahrhundert behandelt, der sich als gläubiger Muslim mit seiner Bisesexualität auseinandersetzte. So will sie mit den Schülern über das Thema LGBTQ und Toleranz diskutieren. Einige verlassen die Klasse und der Stoff löst ein Krisengespräch mit empörten Eltern und Religionsvertretern aus, zu dem eine Mutter komplett verschleiert erscheint, obwohl das in der Schule verboten ist. Man erwarte, dass die Grundsätze des Islam gewissenhaft respektiert würden. Die Lehrerin weist darauf hin, dass es sich hier um eine säkulare Schule handelt. Die Eltern finden, dass es genügend Themen gebe, die man in der Schule behandeln könne und "Beleidigendes" wie Homosexualität müsse ja vielleicht nicht angesprochen werden. Amal lässt allmählich die Diplomatie hinter sich: "Mein Job ist, Ihre Kinder zu unterrichten und anzuleiten, ihnen eine Chance im Leben zu geben, nicht es Ihnen in Ihren religiösen Überzeugungen bequem zu machen oder in dem Bullshit, den Sie ihnen in ihre Köpfe gesetzt haben." Natürlich dauert es dann nicht mehr lange bis zum Vorwurf rechten Gedankenguts.

Amal ist selbst Muslimin, wie man nach gut 40 Minuten erfährt, als der Religionslehrer der Schule sie angeht. Es folgen die ersten Drohungen, digital und analog. Gegenüber Amal, aber auch gegenüber Monia, die ihre säkulare Haltung mit einem Online-Post bekräftigt und sich schließlich als lesbisch outet – was sie gegenüber ihren Mitschülern bisher vehement bestritten hatte. Die Situation schaukelt sich immer weiter auf, der Vater geht zur Polizei, Monia soll von der Schule genommen werden. Amals Wohnung wird verwüstet. Es kommt zu einem Suizidversuch.

Amal vermutet den Religionslehrer ihrer Schule hinter allem. Er spiele ein doppeltes Spiel, mutmaßt sie, gegenüber den Kollegen gebe er den aufgeklärten Imam, doch unterrichten würde er die Scharia (es soll sich noch herausstellen, dass sie damit richtig liegt). Der Direktorin seien die Hände gebunden, erwidert diese, die Muslimische Vereinigung Belgiens würde über die Inhalte, die gelehrt werden, entscheiden, sie dürfe nicht einmal ohne Einladung die Klasse betreten. "Ich habe keine Kontrolle darüber, was er im Unterricht tut." Anfangs sachlich und freundlich argumentierend, verliert Amal im Laufe des Films zusehends die Nerven in ihrer Verzweiflung darüber, dass niemand die Gefahr der Lage so einschätzt wie sie.

Dass Religion nicht allgemeinverbindlich ist, ist Radikal-Gläubigen nicht vermittelbar

Der Film zeigt: Auch, wenn man etwas differenziert und ohne persönlichen Angriff formuliert: Dass Religion nicht allgemeinverbindlich ist, ist Radikal-Gläubigen nicht vermittelbar. Die reflexartigen Abwehrreaktionen, die durch falsche Toleranz entstanden, sind fester Bestandteil der Argumentation. Amal stellt sich tapfer dem Kulturkampf, konfrontiert ihre Angreifer – und wird dabei immer weiter in die Enge getrieben. Der schnörkellose, ohne Musik auskommende Film vermittelt auf sehr atmosphärische Weise diese Bedrohlichkeit, die sich immer weiter steigert, der Zuschauer erfährt selbst zunehmend das Gefühl der Hilflosigkeit und der Bedrohung, die den Protagonistinnen immer mehr zusetzt. Wie soll man auf der Alltagsebene damit umgehen, wenn Radikale die eigene Lebensweise bedrohen und man nichts gegen sie in der Hand hat außer Worte, über die sie sich erhaben wägen?

Soweit es dem Medium Film möglich ist, lässt er uns am Innenleben der Figuren teilhaben, lässt den Zuschauer von außen ihre Gedanken erahnen, sieht manches aus ihrer Perspektive, wenn die Figur im Fokus ist, bevor man sieht, was sie sieht. Die häufig unstete Kameraführung unterstreicht das Gefühl der Unruhe, das sich im Lauf des Films manifestiert. Hin und wieder hätten eine Einführung der Personen und ein paar Hintergrundinformationen nicht geschadet, die Szenen hätten das durchaus ermöglicht. So muss sich der Zuschauer manches zusammenreimen.

Ein mutiger Film, der erschreckend realistisch die Eskalation einer Situation vorspielt, der wir uns dringend stellen müssen – ohne falsche Toleranz und ohne Fremdenfeindlichkeit. Dafür mit Mut und der Gewissheit, was auf dem Spiel steht. Amal hat das verstanden und macht es vor. Man sollte ihren Weg unterstützen und die realen Amals dieser Welt nicht alleine lassen.

Ein schöner Moment im Film ist die erstaunliche Wandlung eines Mobbers der ersten Stunde, der die Waffen des Internets gekonnt einzusetzen weiß und sich aus der ideologischen Umklammerung befreit. Endlich gibt es eine Grundlage, auf der die Behörden handeln können. Als alles schließlich gut zu sein scheint, beendet jedoch ein erschreckender Vorfall abrupt den Film.

"Amal", Spielfilm von Jawad Rhalib, 111 Minuten (OmeU), Belgien 2023.

Der Film wird Samstag, 26.10. und Montag, 28.10. beim "Filmfest FrauenWelten" von Terre des Femmes in der KulturBrauerei in Berlin gezeigt.

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