(hpd) In dieser Interview-Serie geht es seit zehn Wochen um den Einfluss der Europawahl auf Menschenrechte und selbstbestimmtes Leben und Sterben.
Andreas Kyriacou ist Präsident der Freidenker-Vereinigung Schweiz (FVS), die sich gegen Kirchenprivilegien und Feiertagsverbote einsetzt. Die FVS ist Mitglied der International Humanist and Ethical Union (IHEU).
Hier erklärt er, was die Schweiz mit der Europapolitik zu tun hat.
Hallo Andreas Kyriacou,
die Schweizer Freidenker bieten Rechtsberatung, Hilfestellungen und Rituale. Auf zahlreichen Veranstaltungen (z.B. Denkfest) werden aktuelle Forschungen und ethische Positionen debattiert. Politisch geht es in der Schweiz nicht nur um die Trennung von Kirche und Staat, sondern auch um die von Schule und Religion.
Das klingt alles weit weg von Europapolitik. Welche Rolle spielt es für Ihre Ziele, was in Brüssel. Straßburg und Luxemburg passiert?
Andreas Kyriacou: Die politische Agenda der EU tangiert die Schweiz natürlich in erheblichem Ausmaß – auch wenn dies viele Schweizer nicht so recht wahrhaben wollen. Beschlüsse des EU-Parlamentes zu Fragestellungen wie dem Recht auf Abtreibung oder Sterbehilfe etwa beeinflussen auch die Debatten in der Schweiz. Und ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Institutionen wie Krankenhäusern oder Bildungseinrichtungen weiterhin erlaubt, Arbeitsverträge mit diskriminierenden Klauseln zu versehen, nur weil sie formal eine kirchliche Trägerschaft haben, ist für die Schweiz so relevant wie für jedes EU-Land.
Betätigen Sie sich auch auf europäischer Ebene?
Unsere Ressourcen reichen leider nicht aus, um die jeweilige Tagesordnung der europäischen Institutionen aktiv zu verfolgen. Wichtige Entscheidungen, sei es aus einem einzelnen Staat, wie beispielsweise die britische Anerkennung von Atheismus als Asylgrund für Flüchtlinge aus faktischen Gottesstaaten, sei es auf EU-Ebene, dringen aber in der Regel schon zu uns durch.
Um die Möglichkeiten des selbstbestimmten Sterbens wird die Schweiz viel beneidet. Können Sie Ihre Erfahrungen auch auf europäischer Ebene einbringen?
Als Nicht-EU-Land können wir das leider nicht auf institutionellem Weg tun. Aber die Schweizer Sterbehilfeorganisationen sind viel gefragte Ansprechpartner von Verbänden aus anderen europäischen Ländern, sie sich für eine Legalisierung der Sterbehilfe einsetzen. Und auch Politiker und Wissenschaftler aus anderen Ländern interessieren sich zunehmend für das erfolgreiche Schweizer Modell.
Gibt es Vernetzungen und gemeinsame Ziele auf Europaebene?
Die Vernetzung läuft vor allem projektbezogen. Das Denkfest wird von der Giordano Bruno Stiftung mitgetragen und als wir letztes Jahr das erste Camp Quest im deutschsprachigen Raum organisierten, erhielten wir von den Britischen Organisatoren dieses humanistischen Sommerlagers Unterstützung.
Warum ist die FVS Mitglied in der IHEU?
Die FVS war bis vor wenigen Jahren Mitglied der Weltunion der Freidenker (WUF).
Trotz des Namens handelt es sich bei der WUF um eine sehr kleine Organisation, die sich – wie der darin dominante Deutsche Freidenkerbund – politisch sehr einseitig positioniert und kaum Aktivitäten vorzuweisen hat.
Die FVS beschloss daher, dort auszutreten, dafür aber bei der IHEU Mitglied zu werden. Auch sie muss mit sehr begrenzten Ressourcen auskommen, setzt diese aber sehr zielgerichtet ein. Von Bedeutung für uns ist ihre Akkreditierung bei der UNO, insbesondere auch beim UNO-Menschenrechtsrat in Genf.
Fotografie, Illustration ©Evelin Frerk
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene für die Schweizer Vorhaben?
Die Freidenker werden vermehrt von Personen insbesondere aus den Maghreb-Staaten kontaktiert, die in ihren Heimatländern wegen ihrer Weltanschauung in Gefahr schweben und einen Bezug zur Schweiz haben oder bereits im Land sind, zumeist im Raum Genf.
Wir sind sehr froh von der Erfahrung, welche die IHEU im Asylwesen hat, profitieren zu können. Wir haben uns unter anderem gemeinsam für ein Bleiberecht für den marokkanischen Blogger Kacem El Ghazzali eingesetzt, aber auch für Personen, die sich weniger öffentlich exponieren.
Welche Möglichkeiten hat Ihre FVS, sich für ein säkulares Europa einzusetzen?
In erster Linie ist die FVS um eine säkularere Schweiz bemüht, hier kennen wir die Rechtslage und hier finden unsere Positionen Gehör. Das ist natürlich zugleich ein kleiner Beitrag für mehr Laizismus in ganz Europa.
Wie schätzen Sie die aktuellen Entwicklungen in der Europapolitik bezüglich Menschenrechte und selbstbestimmtem Leben ein?
Meiner Einschätzung nach zeichnet sich ein verstärktes Ringen um Mehrheiten ab. Einerseits haben die Religionsgemeinschaften ihre Deutungshoheit bei ethischen Fragestellungen längst verloren. Andrerseits zeigt sich, dass religiös-konservative Kreise extrem aufwändige Lobbyarbeit betreiben und leider auch entscheidende Erfolge feiern können. Das zeigte sich im vergangenen September als der Vorschlag des parlamentarischen Frauenausschusses scheiterte, welcher ein Recht auf Abtreibung und auf Sexualerziehung in den Schulen verlangt hatte.
Warum sollten viele Leute im 25. Mai zur Europawahl zu gehen?
Seien wir ehrlich: Es werden wohl nur wenige vornehmlich wählen gehen, weil sie die Hoffnung hegen, Europa so säkularisieren zu können. Andere Fragestellungen werden bei den meisten überwiegen. Tragisch ist, dass es kaum Parteien und Gruppierungen gibt, die hierzu klare Wahlversprechen abgaben. Laizistischen Wählern bleibt wohl nur, die ihnen genehmste Wahlliste zu nehmen und Kandidaten, die säkulare Ziele nicht mittragen, zu streichen. Das sollen sie auf jeden Fall tun!
Die Schweizer dürfen ja nicht wählen, aber als britisch-schweizerischer Doppelbürger, der jedoch leider sein Wahlrecht in England wegen der langen Landesabwesenheit verwirkt hat, verfolge ich natürlich das Ergebnis.
Das Interview führte Corinna Gekeler
Bislang in der Interview-Serie zur Europawahl erschienen:
Sophie in ´t Veld: Europa-Abgeordnete der niederländischen linksliberalen D66 und Vorsitzende der Europäischen Plattform für Säkularismus in der Politik (EPPSP)
Dr. Margret Steffen: Gewerkschaftssekretärin für Gesundheitspolitik in der ver.di-Bundesverwaltung und Expertin für gewerkschaftliche Europapolitik
Werner Hager: Sprecher der Säkularen Grünen NRW, der sich insbesondere mit Europapolitik befasst
Elfriede Harth: Katholische Feministin, die sich für sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung engagiert
Conny Reuter: Generalsekretär von SOLIDAR, Co-Präsident der Liasion-Gruppe der europäischen Netzwerke beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und bis 2013 Präsident der Europäischen Sozialplattform
Rob Buitenweg: Vorstandsvorsitzender des Nederlands Humanistisch Verbond und im Vorstand der European Humanist Federation (EHF).
Karin Heisecke: Aktivistin zu sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung, insbesondere auf europäischer Ebene.
Dr. Klaus Sühl: Leiter des Brüssel-Büros der Rosa Luxemburg Stiftung und ehemaliger Vorsitzender vom Humanistischen Verband Deutschland
Ulrike Lunacek: Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament und deren Spitzenkandidatin für die Europawahl sowie Vizepräsidentin und außenpolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament. Sie ist Ko-Präsidentin der Intergroup on LGBT Rights