BERLIN. (hpd) Wird die Gesellschaft zur Geisel des Terrorismus? Diese Frage muss dringend gestellt werden angesichts der Tatsache, dass im heutigen Rosenmontagszug von Köln ein Wagen nicht mitfahren wird, der den Terrorangriff auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" thematisiert. In Braunschweig fiel gar der gesamte Karnevalsumzug aus.
Nach Angaben der Polizei gab es in Braunschweig eine konkrete Gefährdung durch einen islamistischen Anschlag.
Zum Braunschweiger Karneval waren zum gestrigen Sonntag bis zu 250.000 Besucher erwartet worden. An dem größten Karnevalsumzug Norddeutschlands sollten in diesem Jahr 4.500 Menschen aktiv beteiligt sein. Geplant und wohl auch fertiggestellt waren rund 100 Motivwagen, die unter anderem die Finanzkrise und das Atomlager Asse aufs Korn nahmen. Den Terrorschlag auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" thematisierte hingegen keiner der Wagen.
Dieser Karnevalsumzug ist am Sonntag kurz vor dem Start wegen Hinweisen auf einen möglichen Terrorakt abgesagt worden. Aus "zuverlässigen Staatsschutzquellen" sei bekanntgeworden, dass "eine konkrete Gefährdung durch einen Anschlag mit islamistischen Hintergrund" vorliegt. Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth (SPD) nannte den gestrigen Sonntag einen "traurigen Tag für unsere demokratische Gesellschaft".
Kabarett und Islam
Aus der Schweiz kommt die Meldung, dass der Kabarettist Jess Jochimsen nicht mit seinem Schweizer Kollegen Andreas Thiel auftreten wird. Der Grund für die Absage: die krassen Thesen des Schweizers zum Koran.
Jess Jochimsen möchte dieses Thema nicht auf der Bühne "diskutieren" und schreibt auf seiner Webseite: "Ich bedauere es sehr, dass die Ausgangslage für die anstehende Tournee für mich nun eine andere ist. Andreas Thiel hat mit seiner dezidierten Kritik des Koran, die er Ende letzten Jahres in der ’Weltwoche’ publizierte, eine Richtung eingeschlagen, in die ich ihm nicht folgen kann und will."
Bei allem Verständnis für die Einwände von Jochimsen: Wäre es angesichts der Gefahr, vor dem politischen Islam einzuknicken vielleicht vernünftiger gewesen, die Provokation anzunehmen?
Keine Ratschläge, keine Ideen
Es steht die Frage im Raum, wie eine offene Gesellschaft mit der Bedrohung durch den islamischen Terrorismus umgehen soll. Es wäre unverantwortlich, einen Karnevalsumzug zuzulassen, wenn damit gerechnet werden muss, dass islamistische Attentäter Menschen dabei verletzen oder töten. Der Terrorakt von Kopenhagen zeigt überdeutlich, welche Gefahr droht.
Andererseits darf sich eine offene Gesellschaft nicht erpressen lassen von einigen Wenigen, die das Prinzip der Demokratie nicht begreifen (wollen), denen unser Verständnis von Freiheit fremd ist und die uns ihre Dogmen aufoktroyieren wollen.
"Radikale Moslems wie die, die in Paris gemordet haben aber auch die, die solche Taten zwar nicht selber begehen würden aber sie im Stillen oder sogar öffentlich gutheißen, verlangen stattdessen, dass die Einwohner westlicher Demokratien sich dem islamischen Blasphemieverbot unterwerfen" schrieb Cornelius Courts in seinem Blog - das war noch vor Kopenhagen und vor der Absage des Braunschweiger Karnevalsumzugs.
Es braucht jetzt einen umfassenden gesellschaftlichen Diskurs darüber, wie sich die offenen Gemeinschaft einer Erpressung durch den Islamismus erwehren kann. Das Entfernen eines Bildes, das "religiöse Gefühle" verletzt, kann ebenso wenig die richtige Reaktion sein wie das Absetzen eines Theaterstückes, in dem Mohammed dargestellt wird. Die Reaktion auf eine Erpressung kann jedenfalls auch nicht darin bestehen, dass Karnevalswagen nicht fahren dürfen oder die Verschärfung des Blasphemie-Paragrafen gefordert wird.
Wie jedoch eine angemessene Reaktion aussehen soll… diese Frage ist dringend zu beantworten.
15 Kommentare
Kommentare
omnibus56 am Permanenter Link
Ich habe Verständnis für die Entscheidung der Braunschweiger Verantwortlichen. Aber es war falsch!
Wir verhandeln aus guten Gründen nicht mit Entführern und Terroristen, denn mit jedem Mal des Nachgebens ermuntern wir Nachahmungstäter. Das gilt auch hier. Mit der Absage des Karnevalszugs in Braunschweig wurde das Signal gegeben: "Wenn ihr glaubhaft droht, werden wir weichen." Das ist eine Niederlage auf Raten.
Ich habe größere Angst in einer religiotisch-diktatorischen Gesellschaft zu leben als vor Bombendrohungen. Wehret den Anfängen!
Christian Steinle am Permanenter Link
Ich würde es sogar so hochrechnen: Die kurzfristige Absage hat einer Viertel Million Menschen einen Tag, den sie möglicherweise kurzfristig nicht anders sinnvoll nutzen konnten, und für den Sie sich vermutlich extra U
Frank Lechtenfeld am Permanenter Link
Ihr Beitrag spricht das Richtige auf die richtige Weise an. Aber muss man wirklich nach einer angemessenen Antwort suchen?
Ich darf!
Das Gut der Meinungsfreiheit und der Glaubensfreiheit, glaubensfrei zu sein, ist ein elementares Gut unserer Gesellschaft. Dieses darf nicht zur Diskussion stehen.
Die einzig richtige Reaktion auf einen Angriff diesen Gutes kann also nur sein, dass man durch vermehrtes karikieren der Religionen deutlich macht, das in diesem Land keine Religion über dem Recht stehen darf. Das gilt im Übrigen, wenn auch in abgeschwächter Form, auch für den christlichen Glauben, der auch mit erpresserischen Methoden, zum Beispiel in Düsseldorf, schon so manchen Karnevalswagen gestoppt hat.
Hier muss ein säkularer Staat Stärke zeigen, und mit allen rechtstaatlich zur Verfügung stehenden Mitteln das Gut der Meinungsfreiheit gewährleisten, sodass eine freiheitliche Zivilgesellschaft diese Freiheit auch leben kann. Einen Karikaturisten kann man gangreifen, eine karikierende Gesellschaft nur sehr schwer.
H.Frank
Christian Steinle am Permanenter Link
Meiner Meinung nach ist die korrekte Vorgehensweise Veranstaltungen nicht durch die Exekutive zu verbieten, sondern lediglich die Erkenntnisse zu einer möglichen Bedrohung zu veröffentlichen und es dem mündigen Bürger
Ebert am Permanenter Link
Dazu gibt es in der New York Review of Books vom 19. 02. 2015 S. 6 (die Zeitschrift erscheint immer vor dem offiziellen Datum) einen bemerkenswerten Vorschlag von Timothy Garton Ash:
Why not establish a website specifically dedicated to republishing and making accessible to the widest readership offensive images that are of genuine news interest, but which, for a variety of reasons, many journals, online platforms, and broadcasters would hesitate to publish on their own? Such a site would be a prime target for hackers, so it would need cybersecurity better than the social media accounts of the US military’s Central Command, which were hacked by Islamists at the time of the Charlie Hebdo affair. Given widespread hostility to the United States, especially in the Islamic world, this project should probably not be US-led. Perhaps Iceland, which has set out to offer a global free speech space with its International Modern Media Institute, could act as a national host. International organizations of journalists would be obvious partners.
Christian Steinle am Permanenter Link
Wie wäre es solch eine Unternehmung unter dem Dach der UNO auf einer alten Ölbohrplattform irgendwo in internationalen Gewässern zu hosten?
Wobei... von der UNO bin ich enttäuscht. Bei einer Podiumsdiskussion bei den Humanistentagen in Regensburg 2014 hat der Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats
Heiner Bielefeldt, selbst auf kritische Nachfrage aus dem Publikum ausschliesslich der positiven Religionsfreiheit das Wort geredet. So wie ich es verstanden habe, hat zumindest aus seiner Sicht die negative Religionsfreiheit nicht denselben Stellenwert. Ich befürchte daher, dass in einer Abwägung zwischen dem Schutz religiöser Empfindlichkeiten und freier Meinungsäußerung letztere nicht zwingend den Vorrang haben könnte. Sollte er in dieser Sache repräsentativ für die UNO sein, so schiede diese wohl als Betreiber für solch ein Hosting Projekt aus :(
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Wir sind längst dabei, unser Grundrecht auf Meinungs-und Demonstrationsfreiheit schleichend zu opfern.
So manche islamkritische Ausstellung oder Theateraufführung wurde schon in der Vergangenheit verhindert – Charlie Hebdo hat sein Erscheinen eingestellt – der Karnevalszug in Braunschweig wurde wegen tatsächlicher oder vermuteter Terrordrohung abgesagt – selbst harmlose Motivwagen bei Umzügen traut man sich vorsichtshalber nicht mehr zu zeigen – Demonstrationen wegen angeblich nicht ausreichenden Polizeischutzes werden verboten – die Lesung islamkritischer Bücher wird durch Niederschreine verhindert.
Wann wird religionskritische Literatur zunächst unerwünscht sein, schließlich auch wegen angeblicher Provokation verboten? Nach Salman Rushdi hat sich niemand mehr getraut, satanische Verse zu veröffentlichen.
Es gilt festzuhalten: Die Freiheit, den Islam zu karikieren oder kritisieren, ist längst drastisch eingeschränkt. Stattdessen meint man die Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit eher mit Unterstützung der Islamverbände zu erreichen. Zum Beispiel in Form peinlicher Anti-Terror-Mahnwachen mit der DITIB (Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion), die ihre Weisungen, ihr Geld und ihr Personal direkt von der türkischen Religionsbehörde bekommt. Dass die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei in den besten Händen ist, darf – vorsichtig formuliert, man will ja nicht provozieren – bezweifelt werden.
Ich sehe noch vor mir: Bundeskanzlerin Merkel Arm in Arm mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek anlässlich der Mahnwache für Meinungs- und Pressefreiheit am 14. Jan. 2015 am Brandenburger Tor. Herr Mazyek, ein Freund der Muslimbrüder und der öffentlich geäußerten Meinung, dass Scharia und Grundgesetz sich nicht ausschließen würden. Herr Mazyek ein wahrer Verbündeter für Meinungs- und Pressefreiheit?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Danke, Frank! Super Beitrag - wider den Versuch, Dogmen zu oktroyieren.
Volker Bünde am Permanenter Link
Die Kategorie Terroristen ist hochgradig manipulativ. In den Jahren 1999/ 2000 gab es 23 Todesopfer durch Nazis. Das sind aber nur „politisch motivierte Morde“, kein Terror. Puh, Glück gehabt.
Zur aktuellen Histerie: Ich bezweifle, dass die wirklich „bösen“, unsere Gesellschaft angreifen wollenden Terroristen, so bescheiden sind, sich mit der Ermordung von Karrikaturisten irgendwelcher unbedeutenden Nischen-Zeitschriften zufrieden zu geben. Die praktischen Auswirkungen auf den Otto-Normal-Michel wären, mangels Bekanntheit, annähernd null. Da müssten sie schon großkalibriger (BILD, oder so) vorgehen. Erst durch die „politische“ Reaktion (Karnevalabsage) wird der Michel beeinträchtigt.
Verglichen mit der „Mutter aller Terroranschläge“ von New York, dem Grund unserer Terrorangst, sind das sehr kleine Brötchen, die da gebacken werden. Sind die Terroristen seit dem tatsächlich bescheidener geworden? Oder führen sie durch diese „minimal-invasiven“ Aktionen einen medialen Guerilla-Krieg und unsere Politiker fallen immerwieder darauf rein, in dem sie jedesmal binnen Stundenfrist unsere Freiheiten beschränken/ abschaffen wollen? Ganz schön blöd, oder?
Zumal bei fast allen Morden bisher eine Verbindung zu Geheimdiensten bestand. Der Kopenhagener war geheimdienstlich erfasst; die Pariser sogar polizeilich überwacht. (Wenn jemand Terroranschläge ohne Geheimsienstbezug kennt, bitte posten.) Und weil die Überwachung z.B. in Paris so dermaßen versagt hat, ist es am besten wir verstärken sie bei uns. Nach dieser Logik müssten die amerikanischen Geheimsienste ihre ergebnislose Folter einfach nur intensivieren, dann gäbe es auch bessere Ergebnisse. Bestimmt.
David am Permanenter Link
"...vermeintlicher Bezug zum Islam"? Ach, stimmt ja.
Walter Otte am Permanenter Link
Die Karnevalsumzüge, jedenfalls in Köln und Düsseldorf, u.a. mit dem Motivwagen von J. Tilly, haben deutlich gemacht, dass auch der Terror von IS, Al Kaida und Konsorten karnevalistisch thematisiert worden ist.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Walter Otte: »Die Karnevalsumzüge, jedenfalls in Köln und Düsseldorf, u.a. mit dem Motivwagen von J.
Wie bitte? Selbst der absolut harmlose Motivwagen, wie oben im Artikel abgebildet, wurde aus blanker Angst zurückgezogen. Die karikierenden Motive, die man jetzt noch wagte, haben die eigentlichen Adressaten nur noch indirekt genannt, auch aus Sorge, provokant zu wirken. (Gegen den Papst scharf zu polemisieren, traute man sich!) Auch wenn die Entscheidung, den Karnevalszug in Braunschweig der Sicherheit wegen abzusagen, richtig war, zeigt der Vorgang eben doch, dass wir längst in unserer Lebensweise und in unseren Entscheidungen massiv beeinträchtigt werden. Die Zeitschrift Charlie Hebdot gibt es nicht mehr. Die Fatwa gegen Salman Rushdi besteht nach wie vor. Von den von mir oben aufgezählten anderen, in unser Leben eingreifenden Beispielen ganz abgesehen.
Werner Koch am Permanenter Link
Die Zeitschrift Charlie Hebdo gibt es noch, sie hat lediglich einige Wochen Erscheinungspause zur Erholung angekündigt. "Chères lectrices, chers lecteurs,
La rédaction de Charlie Hebdo vous donne rendez-vous dans le prochain numéro qui paraîtra mercredi 25 février 2015. Il reprendra au rythme hebdomadaire.
Le numéro actuel, 1178, reste en kiosques, en vente jusqu’au 10 mars.
La rédaction (http://charliehebdo.fr/)
Ich bin zur Zeit in Frankreich in Urlaub. Man sieht "Je suis Charlie" an einigen Haustüren, ich habe es neben der Speisekarte eines Restaurants gesehen, ebenso als Aufschrift auf Außenspiegeln von Marktfahrzeugen. Das ist Verteidigung der Freiheit!
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Dass Charlie Hebdo wieder erscheinen wird, daran darf man gern glauben. Der Glaube an Wunschträume und Illusionen ist schließlich weit verbreitet.
Volker Bünde am Permanenter Link
Werte aufgeklärte Humanisten,
gibt es irgendeinen Grund „Informationen aus Staatsschutzquellen“ Glauben zu schenken?
Was genau schützen diese Quellen? Sind wir der Staat, der geschützt wird?