BERLIN. (hpd) Die Deutsche Situation ist paradox: Freitodhilfe (egal durch wen und mit welchen Mitteln) ist in Deutschland kein Straftatbestand - anders als z. B. in den Niederlanden (wo sie wie die Tötung auf Verlangen nur Ärzten unter bestimmten Kontrollbedingungen erlaubt ist). Wir haben also die liberalste Voraussetzung zur Zulassung von Freitodhilfe, aber keine ausgewiesene Praxis – wiederum anders als in etlichen unserer Nachbarländer.
Hauptgrund ist die bisher fortdauernde, jahrzehntelange Tabuisierung – verbunden mit Sprachlosigkeit und mangelnder Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten. Im Ergebnis hat die deutsche Bevölkerung keinen regulären Zugang zu entsprechenden Hilfsangeboten zum vorzeitigen Sterben, obwohl sich in repräsentativen Umfragen stetig etwa drei Viertel der Befragten für diese Möglichkeit aussprechen. Bürger/innen stellen zunehmend die Forderung, dass sich doch gesetzlich dringend etwas ändern müsse.
Auf der anderen Seite geht der politischen Klasse die wachsende Enttabuisierung der Suizidhilfe zu weit, sie will ihr einen Riegel vorschieben. Wie aber der Bevölkerung weismachen, dass sie vor sich selbst geschützt werden müsse? Die Mittel sind – medial unterstützt – neben Desinformation und Tatsachenverdrehung vor allem die Skandalisierung der inzwischen auch in Deutschland tätigen Vereine, die ihren Mitgliedern "organisierte" Hilfe zur Selbsttötung anbieten. Die allgemeine Verwirrung macht es populistisch argumentierenden Suizidhilfegegnern leicht. Deren Botschaften lauten im Wesentlichen: Es soll ärztliche Suizidassistenz bei ganz extremem Leiden und beschränkt auf eine todesnahe Situation geben – untersagt werden soll zukünftig jedoch die "organisierte" Suizidhilfe, vor allem durch den Verein SterbehilfeDeutschland. Auch von unbedingt zu verbietender "geschäftsmäßiger" Suizidhilfe ist die Rede (was nichts anderes heißt als wiederholt durchgeführte - selbst wenn sie unentgeltlich ist). V.a. von politischer und kirchlicher Seite wird die Sorge vermittelt, dass mit dem schnellen Tod Lebensmüder und Gestrandeter Geld verdient werden könnte. Dies bedient vorhandene Ressentiments und Ängste vor einer zunehmenden Kommerzialisierung, wobei eine Entsolidarisierung der Gesellschaft ja tagtäglich zu erleben ist.
Wer aber vermeintliche Missbrauchsgefahren beschwört, verwirft im Grunde den Suizid an sich und die Hilfe dazu. Dies wird an der neuesten medizin-ethischen Theorie von Roland Kipke ziemlich offensichtlich. Warum aber sein neues Argument "ethischer Inkonsequenz", welches sich auf das (doch für die Suizidhilfe-Befürworter zentrale) Selbstbestimmungsrecht zu stützen vorgibt? Hintergrund dürfte sein, dass die bisher vorgebrachten Argumentationsfiguren wie das "Leben als Gottesgeschenk" oder der angeblich vorprogrammierte "Dammbruch" sich als nicht mehr hinreichend überzeugend erwiesen haben.
Kipke führt vor, dass das bloße Selbstbestimmungsargument gar nicht konsequent durchzuhalten ist und die Sterbewilligen sich ja letztendlich für sie peinlichen Prüfverfahren zu unterwerfen hätten (wie psychiatrische Untersuchung, Zweitgutachten, Nachvollziehbarkeit des Todeswunsches u.ä.). Es wären solche Einschätzungen von außen über das "Leidensmaß" anderer Menschen, so Kipke, die in so auffälligem Kontrast zur antipaternalistischen Haltung der Befürworter stehen. Und das würde ihre Position "so eklatant widersprüchlich" machen. Kipke begibt sich damit offensiv auf das gegnerische Terrain der Suizidhilfebefürworter. Diese zeigen sich demgegenüber als schwach und unvorbereitet. Denn sie haben bisher wohl weislich vermieden, zu genau darauf zu schauen, ob wirklich jeder Erwachsene gleichermaßen ein Recht auf Freitodhilfe beanspruchen können soll.
Wer hätte gedacht, dass ein philosophischer Theoriestreit um "ethische Inkonsequenz" so weitreichende Folgen auf Politik und Gesetzgebung hat? Ich jedenfalls nicht. Ein kürzlicher Besuch einer SPD-Veranstaltung zur beabsichtigten neuen Suizidhilferegelung belehrte mich eines Besseren. Im Rathaus Berlin-Charlottenburg stellte die für einen Gruppenantrag zuständige Dr. Eva Högl (SPD) ihre Position zur Ablehnung einer "regulärer", normaler werdenden Suizidhilfe vor. Die interessierten Bürgerinnen und Bürgern schienen mit Högl weitestgehend einverstanden. Jedenfalls war von der repräsentativen Dreiviertel-Mehrheit der Bevölkerung, die doch auch eine gezielte Leidensverkürzung für sich in Anspruch nehmen möchte, keine Spur. Eingeladen hatte der Bundestagsabgeordnete Sven Schulz, ein bekennender Humanist, der das Gespräch mit dem Publikum auch moderierte. Dieses wurde zur Beteiligung ausdrücklich aufgefordert und machte davon auch stark Gebrauch. Am Schluss zeigte sich Schulz (SPD) völlig unschlüssig: Er wisse nur, dass er für Selbstbestimmung einträte, aber nicht, wie er in deren Namen denn nun im Herbst bei den verschiedenen Gruppenanträgen abstimmen solle. Was war zwischenzeitlich geschehen? Högl und ähnlich wie sie Argumentierende tragen zu einer Vernebelung und Begriffsverwirrung bei, die durchaus an Tatsachenverdrehung und Unwahrheit grenzt. Dies wird als feste, persönliche Überzeugung unaufgeregt, leutselig und sich als moderat ausgebend vorgetragen.
Högl macht zunächst ausführlich deutlich, dass es Ärzten – wie bisher – erlaubt bleiben soll, in ausgewiesenen Grenzfällen schwersten Leidens ihrem Gewissen zu folgen. Das ist doch gar nicht schlecht, denkt daraufhin (nicht nur) der Laie. Wie ist es aber möglich, dass Högls dann auch vorgestellter restriktiver Position gegen die insbesondere von SterbehilfeDeutschland angebotene Suizidhilfe nichts entgegengesetzt wird? Ist das Publikum zu verwirrt, vereinnahmt oder unkritisch, um der "tiefen Überzeugung" von Högl zu widersprechen - die besagt, dass die Hilfe zur Selbsttötung "niemals zum Geschäft" werden dürfe? Die Suizidhilfe-Gegner/innen haben ihre Rhetorik und Strategie verfälschender Behauptungen so verfeinert, dass deren Ungereimtheiten kaum durchschaubar sind. Dabei sind solche, wenn man nur einmal nachliest, eigentlich offensichtlich: Eva Högl hat gemeinsam mit ihrer Parteifreundin Kerstin Griese (kirchenpolitische Sprecherin der SPD) ein Positionspapier verfasst, in welchem sie sich als Vertreterinnen eines "dritten Weg" empfehlen. Allerdings bleibt dem Publikum verborgen, dass niemand in der Suizidhilfe-Debatte einen der beiden im Papier genannten Extrempositionen vertritt: Diese wären – wie es dort heißt – gekennzeichnet durch ein "Verbot aller Maßnahmen am Lebensende, die das Sterben erleichtern, auf der einen Seite" und durch eine "Öffnung und Ausweitung von aktiver Sterbehilfe bis zur Legalisierung der Tötung auf Verlangen auf der anderen Seite."
Doch nun endlich zum neuesten "Trick", der Argumentationsfigur der ethischen "Inkonsequenz". Bei der Berliner Veranstaltung fungierte ein Herr aus dem Publikum quasi als Stichwortgeber für Högl mit der folgenden Geschichte: Er selbst habe eine vollständig gelähmte, lebensmüde Patientin gekannt. Da diese gar keinen Suizid mehr hätte begehen können, wäre es doch eine große Ungerechtigkeit, wenn demgegenüber unheilbar Schwerkranke ärztliche Hilfe dazu in Anspruch nehmen könnten. Aha, hier hat sich doch noch ein radikaler Anhänger "aktiver Sterbehilfe" zu Wort gemeldet, konnte man zunächst vermuten. Doch weit gefehlt. Im Laufe des Dialogs mit Högl auf dem Podium kam heraus: Beide waren sich einig, dass eine geregelte ärztliche Suizidhilfe strikt abzulehnen sei – eben wegen dieses ethischen Problems der Ungerechtigkeit. Ethisch konsequent sei es doch, allen den Zugang zur Suizidhilfe zu gewähren und - und wer sich selbst nicht (mehr) töten könnte, dann eben die Tötung auf Verlangen. Deren Zulassung sei also die zwangsläufige Folge der Suizidhilfe, auch wenn diese zunächst nur für tödlich Erkrankte gelten solle. Ein "sauberer" Unterschied zwischen Assistenz zur Selbsttötung und Tötung auf Verlangen (die natürlich abzulehnen sei) existiere nicht. Offenbar hat man sich auf der von mir besuchten Veranstaltung schon den "letzten Schrei" der Medizinethik zu eigen gemacht, den diese zur Ablehnung von Suizidbeihilfe zu bieten hat: Nämlich dass eine Zulassung des ärztlich assistierten Suizids nach sehr restriktiven Kriterien (wie ihn Karl Lauterbach, Carola Reimann und Peter Hintze nur für tödlich Erkrankte vorschlagen) inkonsequent, inhuman und ungerecht wäre.
Zwar deklariert Kipke allzu offensichtlich seine a priori Verdammung zu einer logischen Schlussfolgerung, im Namen der Konsequenz nun jede Form der Suizidhilfe untersagen zu wollen. Doch er hat in seiner Argumentation an sich weitgehend Recht. Diese sollte von Suizidhilfebefürwortern unbedingt ernst genommen werden. Kipkes stärkstes Argument lautet: "Dahl meint, die Suizidassistenz dürfe zunächst auf 'diejenigen Patienten' beschränkt werden, 'die dieser Hilfe am meisten bedürfen.' Doch leiden Menschen mit einer terminalen Krankheit mehr als Menschen mit einer schweren, aber nicht tödlichen Krankheit? Das ist abwegig. Wenn man den assistierten Suizid grundsätzlich befürwortet, ließe sich eher für das Gegenteil argumentieren: Menschen, die nicht ohnehin in absehbarer Zeit durch den Tod erlöst werden, bedürften viel eher der Suizidassistenz."
Wie darauf reagieren? Eine so defensive Erwiderung wie die von Dahl bringt jedenfalls nicht viel. Denn er verteidigt ja tatsächlich eine (zunächst) begrenzte Zulassung des ärztlich assistierten Suizids, die nur für tödlich Erkrankte gelten soll. Dies entspricht Vorschlägen, welche auf politischer Ebene Lauterbach, Reimann und Hintze unterbreitet haben. Sie beziehen sich ihrerseits auf einen Gesetzentwurf, den der Jurist Jochen Taupitz zusammen mit drei renommierten Ärzten (Medizinethikern) ausformuliert hat. Vorbild ist das Modell für streng geregelte ärztliche Suizidhilfe im US-Bundesstaat Oregon. Dort war und ist allerdings ansonsten Suizidhilfe streng verboten – was den entscheidende Unterschied zur Ausgangslage in Deutschland ausmacht. Taupitz und seine Mitstreiter machen ein zukünftiges allgemeines Verbot der Suizidhilfe in Deutschland folglich zur Voraussetzung für ihren Vorschlag der Zulassung nach strengen Sorgfaltskriterien. Denn wenn gegen diese verstoßen wird, müssen natürlich Sanktionen drohen. Vorbehalte gegen die Vorschläge von Lauterbach u.a. macht zwar auch Dahl geltend. Es fällt schwer zu glauben, dass er sie aber im Grundsatz zu befürworten scheint. Dahl nimmt damit nicht mehr und nicht weniger in Kauf, als dass die Suizidhilfe z. B. bei chronisch kranken Hochbetagten im Gegenzug erst einmal kriminalisiert wird – um sie dann irgendwann später (Dahl nennt einen Zeitraum von vielleicht 10 Jahren) wieder zu legalisieren, so wie es heute ja bereits der Fall ist?
Ein noch stärkeres Argument von Kipke lautet: "Es ist inkonsequent, einerseits aus Achtung vor der Selbstbestimmung und aus Gründen der Humanität die Zulässigkeit der ärztlichen Suizidassistenz zu fordern, andererseits sie auf Menschen mit unheilbaren und tödlichen Krankheiten zu beschränken." Kipke fährt fort: "Und nicht nur das: Auch die Ablehnung der kommerziellen Suizidassistenz und der Tötung auf Verlangen lässt sich ethisch nicht rechtfertigen, wenn man die ärztliche Suizidhilfe für zulässig hält." Zunächst müsste offensiv darauf geantwortet werden: "Nun ja, wäre das denn so schlimm". Dann sollten humanistische Anhänger der bleibenden Straffreiheit von Suizidhilfe differenzieren: Wer sich – statt an den Benelux-Ländern – an der Schweiz orientiert, wird empirisch feststellen können: Die dort seit vielen Jahrzehnten etablierte, gesellschaftlich angesehene Suizidhilfe hat mitnichten dazu geführt, die ärztliche Tötung auf Verlangen in der Schweiz einzuführen. Es handelt sich also um eine glatte Fehldarstellung von Tatsachen, wenn eine Zwangsläufigkeit behauptet wird. Soweit ist die Argumentation gegen Kipke, Högl und andere relativ einfach. Doch es bleibt eine ernsthafte Schwierigkeit: Wer ein Recht auf Suizidhilfe fordert, gerät tatsächlich unweigerlich in den Strudel der Inkonsequenz. Wer sollte darüber befinden, was nicht mehr erträgliches Leiden oder auch nur Lebensüberdrüssigkeit, Sinnverlust oder eine ausweglose (psychische, finanzielle) Situation des Scheiterns ist? Im Sinne einer verabsolutierten Selbstbestimmung kann das nur der Betroffene selbst sein – so schließlich auch Strafgefangene (oder wie in Belgien ein Sicherheitsverwahrter), die an ihrer erbärmlichen Existenz verzweifeln und zerbrechen?
Jedenfalls müssen die Suizidhilfebefürworter darauf angemessen reagieren. Ihre Strategie reicht schon längst nicht mehr: Sich gemeinsame Stärke vorzumachen durch die (Selbst-)Vergewisserung, dass doch alle nur für selbstbestimmtes Sterben eintreten. Denn damit werden durchaus auseinanderdriftende Zielrichtungen verkleistert und nach außen hin die notwendige Klarheit verfehlt. Jedenfalls haben die Anhänger der Suizidhilfe sich davor zu hüten, eine Ablehnung von "geschäftsmäßigen" Formen billigend in Kauf zu nehmen - und zwar völlig unabhängig davon, dass ihnen Herr Kusch vom Verein SterbehilfeDeutschland vielleicht sehr unsympathisch sein könnte. Der Versuchung, die eigene Vorgehensweise oder den eigenen Verein positiv dagegen abzugrenzen, muss unbedingt widerstanden werden. Wir sollten für ein positives Deutsches Modell werben, welches eine Vielfalt von unterschiedlichen Möglichkeiten gleichzeitig umfasst. Dazu würde gehören: ärztliche Suizidassistenz mit Abgabe von Natriumpentobarbital ebenso wie organisierte Suizidhilfe durch erfahrene Vereine, Suizidkonfliktberatung und -verhütung ebenso wie Ausbau palliativer Versorgungsstrukturen (und zwar v.a. in den Händen von Hausärzten und keinesfalls nur für Patienten in Todesnähe) sowie konsequente Ausschöpfung von Verzicht auf lebensverlängernde Behandlung und v.a. auf künstliche Ernährung.
Schließlich gehört dazu, die Forderung eines verbrieften Rechtes auf letzte Hilfe im Sinn von Suizidbegleitung aufzugeben. Vielmehr geht es nicht ohne Gewissensentscheidungen und ohne Selbstbestimmung auch der potentiellen Suizidhelfer/innen, diese sollten als Individuen, Einrichtungen oder Sterbehilfevereine ihre eigenen Sorgfaltskriterien entwickeln können. Eine staatlich verordnete Festlegung strenger Zulassungsvoraussetzungen (z. B. dass es erst einer psychiatrischen Begutachtung oder einer bestimmten Fristsetzung vor der Gewährung von Suizidhilfe geben muss), kann zumindest erst recht nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht von Sterbewilligen in Übereinstimmung gebracht. Wo Kipke Recht hat, hat er Recht.
Vgl. dazu auch:
Alles oder Nichts!? - Roland Kipke zur aktuellen Sterbehilfedebatte von Edgar Dahl
Wer A sagt, kann nichts gegen B sagen - Zur aktuellen Sterbehilfedebatte von Roland Kipke
Die Freiheit zum Tode - Ein Plädoyer für den assistierten Suizid von Edgar Dahl
11 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Beide waren sich einig, dass eine geregelte ärztliche Suizidhilfe strikt abzulehnen sei" - solch Schummelei widert mich an; und überhaupt: Mein Ende gehört mir. Punktum.
Johannes Gerdes am Permanenter Link
Gegen das von den Gegnern der Sterbehilfe immer wieder unterstellte Profitinteresse der
Sterbehelfer stelle ich fest, dass die Kirchen
ein sehr großes Profitinteresse an der Pflege
Franz Josef Koller am Permanenter Link
Frau Neumans Überlegungen kann ich voll zustimmen!
Die Politiker, die organisierte oder geschäftsmäßige Sterbehilfe strafrechtlich verbieten wollen sollen doch, neben Ihrer moralischen Entrüstung, endlich klar benennen, welcher angeblichen Verbrechen sich Kusch und Andere schuldig machen - und ob da nicht unser vorbildliches, geltendes Recht bei konsequenter Anwendung Schutz bietet!
Gita Neumann am Permanenter Link
Lieber Herr Koller,
Sie haben mit dem Hinweis auf FVNF völlig recht - siehe meine Antwort unten.
Edgar Dahl am Permanenter Link
Ich fühle mich von der Kritik nicht angesprochen. In meinem am 9.
"Abschließend sei darauf hingewiesen, dass mein hier dargestellter Vorschlag zur Regelung des ärztlich-assistierten Suizids keiner Gesetzesänderung bedarf. Wie eingangs erwähnt, ist die Beihilfe zur Selbsttötung in der Bundesrepublik straffrei und sollte es auch weiterhin bleiben."*
Mit anderen Worten: Ich habe mich nie für eine Kriminalisierung der straffreien "Beihilfe zur Selbsttötung" ausgesprochen. Ich habe vielmehr dafür argumentiert, dass die Landesärztekammern ihr Standesrecht so ändern sollten, damit es fortan auch Medizinern möglich wird, eine Hilfe bei der Selbsttötung zu leisten, ohne standesrechtliche Sanktionen fürchten zu müssen.
* http://www.spektrum.de/news/mein-leben-mein-sterben-meine-entscheidung/1312133
Gita Neumann am Permanenter Link
Lieber Edgar,
"Angesichts der viel beschworenen Gefahren eines Missbrauchs ist es daher durchaus vernünftig, sich zunächst einmal auf die Einführung des ärztlich-assistierten Suizids zu beschränken. ... Da es bei der geplanten Gesetzgebung buchstäblich um Leben und Tod geht, ist es schließlich auch rational, zunächst einmal Vorsicht walten zu lassen und vorerst lediglich terminal erkrankten Menschen die Option des ärztlich-assistierten Suizids zur Verfügung zu stellen."
Tatsächlich stehen für diese Gruppe immerhin die - ja auch praktizierte - Möglichkeit der terminalen Sedierung durch die Palliaitivmedizin zur Verfügung und - sofern es sich um Krebskranke handelt - auch die komfortable Einzelzimmer-Versorgung in einem Hospiz (für ca. 7.300 Euro im Monat ohne dass auch nur ein Euro vom Patienten zuzuzahlen wäre). Das alles gilt für chronisch kranke, nicht minder leidende (!) Hochbetagte nicht - da kommt allenfalls ein Pflegeheim in Frage. Wer ist also vorrangig mehr "bedürftig" für Angebote im Rahmen von Suizidhilfe. - begleitung und -konfliktberatung ist, bleibt durchaus fraglich. Jedenfalls darf die letztgenannte Gruppe keinesfalls unter einer "Privilegierung" der erstgenannten Todkranken leiden, in dem die Suizidhilfe für alte und gebrechliche Menschen kriminalisiert wird (wie es ja der Taupitz-Vorschlag vorsieht und auch logisch unabdingbar ist).
Für das Privileg nur der ärzlichen Suizidhilfe mag zwar einiges sprechen - aber auch da gilt: Die Hilfe durch Laien oder auch durch Vereine darf dazu nicht kriminalisiert werden (sei es das Begleiten eines Suizdgeschehens, die Beschaffen geeigneter Mittel - das müssen ja nicht immer neue Medikamente sein - oder die Besorgung von entsprechenden Informationen oder auch das Angebot von Gesprächen zum Suizidwunsch, mit Aussicht, diese mitzutragen).
Wir haben als Humanistischer Verband versucht, die verschiedenen Punkte unter einen Hut zu bringen, siehe Broschüre:
http://www.humanismus.de/sites/humanismus.de/files/Am_Ende_des_Weges.pdf
Am 3. Juni werden wir zusammen mit den Herren L. Minelli und R. Kusch sowie zwei Bundestagsabgeordneten, die Gruppenanträge vertreten (Dr. P. Sitte von der Linken und Prof. K. Lauterbach von der SPD) eine Podiumsdiskussion druchführen (Ort: Akademie der Wissenschaften, Zeit: 18.30 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung unter mail@patientenverfuegung.de). Unser Ziel ist, die Praxis der für Deutsche Bürger/innen zugänglichen Suizidhilfevereine auf faire Weise vorzustellen - denn es droht ihnen ein allein auf Vorbehalten basierendes Verbot. Und ihren Vertretern werden mit der Androhung von Gefängnisstrafen konfrontiert sein. Und zwar schon im November diesen Jahres - denn es zeichnet sich eine Bundestagsmehrheit in dieser Frage ab und der Zeitplan steht! Dagegen sind klare Ansagen von uns absolut erforderlich und es sollte kein Boden für Missverständnisse mehr bereitet werden.
Wir sehen uns dann ja am 3.6.!
Beste Grüße
Gita Neumann
P.S. Zur Möglichkeit von Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit im obigen Kommentar: Völlig einverstanden, danke für den Hinweis (habe das an dieser Stelle nur nicht weiter ausführen können). Es handelt sich, sofern durch Laien oder Ärzte begleitet, um eine Zwischenform zwischen Hilfe zum suizidalem Handeln und Sterben-Lassen aufgrund von Unterlassung.
Edgar Dahl am Permanenter Link
Tut mir leid, doch ich sehe nicht, dass ich mich in einen Widerspruch verwickelt hätte. Was ist so schwer daran zu verstehen, dass ich Hintze und Taupitz lediglich gegen einen ungerechtfertigten Vorwurf verteidige?
Auch wenn ich persönlich die Grenze anders ziehe als Hintze und Taupitz, bleibt es dabei, dass eine Grenzziehung aus pragmatischen Gründen legitim und daher keineswegs logisch inkonsistent ist.
Edgar Dahl am Permanenter Link
Habt ihr nicht auch Peg Sandeen aus Oregon eingeladen?
Gita Neumann am Permanenter Link
Lieber Egdar,
lass uns mal die Schärfe rausnehmen.
Wir sind doch weit entfernt davon, Suizidhilferegelungen in anderen Ländern "Untauglichkeit" vorzuhalten.
Dass unsere hierzulande ja prinzipiell für alle (auch für nicht Todkranke) zugänglichen Möglichkeiten durch SterbehilfeDeutschland, bei sich zu Hause kompetente Suizidhilfe zu bekommen, verboten werden sollen. Wenn der Verzicht auf ein solches Verbot mit der Zulassung von ärztlicher Suizidhilfe durch Natriumpentobarbital (dann auch ggbf. unter Oregon-Kriterien) einhergehen könnte, wäre das natürlich ein sehr guter Weg, auch international gesehen. Aber offenbar sieht das ja Taupitz selbst anders - und auch Hintze läßt keinen Zweifel an einem Junktim aufkommen: Nur sollen den Antrag zur Kriminalisierung organisierter Suizidhilfe anderer Parlamentariergruppen parallel zu dem von ihm (sowie Lauterbach und Reimann) vertretenenen Vorschlag einer "Oregon-Lösung" einbringen.
Wie man das Dilemma im Rahmen einer deutschen Suizidhilferegeung vielleicht gesetztlich lösen könnte, hat der Humanistische Verband ja in der Broschüre "Am Ende des Weges" vorgeschlagen.
Bestge Grüße
Gita Neumann
Edgar Dahl am Permanenter Link
Liebe Gita,
entschuldige bitte. Meine Antwort war keineswegs so scharf gemeint, wie sie vielleicht angekommen ist. Ich habe noch einmal Deine Broschüre "Am Ende des Lebens" gelesen und stimme mit allem überein, was Du darin sagst. Vor allem fand ich wichtig, dass Du noch einmal die Notwendigkeit betont hast, Ärzten das Verschreiben von Natriumpentobarbital zu ermöglichen.
Bis zum 3. Juni!
Herzlichst
Edgar
Edgar Dahl am Permanenter Link
Der Hauptgrund dafür, dass es in Deutschland keine ärztliche Praxis der Freitodhilfe gibt, ist keineswegs die "Sprachlosigkeit", sondern die Rechtsunsicherheit.