"Dieses Urteil ist eine Schande für den Rechtsstaat!" So kommentiert Matthias Katsch, Geschäftsführer der Organisation Eckiger Tisch, ein aktuelles Urteil des Landgerichts Köln in einem Fall klerikalen Missbrauchs. Der Eckige Tisch setzt sich für Menschen ein, die als Kinder oder Jugendliche sexualisierte Gewalt im Kontext der katholischen Kirche erfahren haben. Das Landgericht Köln hatte am Dienstag die Klage einer Missbrauchs-Betroffenen auf 830.000 Euro Schmerzensgeld gegen das Erzbistum Köln abgewiesen. Die heute 58 Jahre alte Frau war in ihrer Kindheit über Jahre von einem Priester als dessen Pflegetochter schwer sexuell missbraucht worden.
Die Klägerin war im Alter von zwölf Jahren vom Jugendamt einem damals 28-jährigen angehenden Priester als Pflegekind anvertraut worden. Immer wieder vergewaltigte der Mann das Mädchen. In der Folge kam es auch zu zwei Schwangerschaftsabbrüchen. Der Priester selbst wurde später vom Strafgericht zu zwölf Jahren Haft verurteilt. In dem jetzigen zivilrechtlichen Prozess um eine Amtshaftung ging es um die Frage, ob die Kirche als Dienstherrin des Priesters Schmerzensgeld bezahlen muss.
Grundsätzlich ist das rechtlich möglich. Das Landgericht Köln hatte selbst vor zwei Jahren in einem Missbrauchsfall dem Opfer ein Schmerzensgeld von 300.000 Euro gegen das Erzbistum Köln zugesprochen und damit die katholische Kirche als Dienstherrin des Täters in die Pflicht genommen. Allerdings ist Voraussetzung für einen solchen Amtshaftungsanspruch gegen die Kirche (sie ist ja Körperschaft öffentlichen Rechts), dass die Taten "in Ausübung eines öffentlichen Amtes" begangen wurden. Ein solcher Zusammenhang zwischen den Missbrauchstaten und dem kirchlichen Amt des Täters sei hier aber nicht gegeben, urteilte das Gericht in dem aktuellen Fall. Der Priester habe gewissermaßen als Privatperson gehandelt. Das Mädchen sei damals dem angehenden Priester als Pflegekind anvertraut worden. Das Sorgerechtsverhältnis sei durch einen staatlichen, nicht aber durch einen kirchlichen Akt begründet worden.
Matthias Katsch vom Bündnis Eckiger Tisch macht das zornig. Er sagt: "Kein Jugendamt hätte es einem 28-jährigen unverheirateten Mann ohne abgeschlossene Berufsausbildung und in unsicheren Einkommensverhältnissen erlaubt, ein minderjähriges Mädchen in seine Wohnung aufzunehmen. Sein Wunsch hätte Verdacht erregt. Dies war nur möglich, weil es sich um einen katholischen Priester handelte. Der automatisch und qua Amt in gesicherten Verhältnissen lebt, und der eingebettet in eine amtskirchliche Struktur, zusammen mit einem Dienstvorgesetzten in einer Dienstwohnung wohnt."
Dass die Richter nicht bereit gewesen seien anzuerkennen, dass diese Verbrechen nur möglich waren, weil der Täter ein Priester der katholischen Kirche war, zeuge entweder von einer Voreingenommenheit zugunsten der Kölner Kirche oder von einer Verweigerung logischen Denkens, sagt Katsch. Das Priesteramt habe die Verbrechen doch erst ermöglicht, sagt Katsch: "Wenn die Kirche die Männer, denen sie den Verzicht auf Partnerschaft, Bindung und Sex auferlegt, nicht ausreichend kontrolliert und verhindert, dass sie zu einer Gefahr für Kinder und Jugendliche werden, dann haftet sie für ihr Organisationsversagen."
Auch der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen kritisiert das Urteil. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte er, dass ein Amtsträger in seiner Freizeit Privatmensch außer Dienst ist, passe zu normalen Staatsbeamten. Zu katholischen Priestern passe dies nicht, wie sich anhand des theologischen Selbstverständnisses der katholischen Kirche und auch nach ihrem Recht leicht erschließen lasse. Der frühere Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner habe dieses Amtsverständnis einmal treffend auf den Punkt gebracht, als er Weihekandidaten ins Stammbuch schrieb, Priester könne es "nie rein privat geben". Sie seien "entprivatisiert in den Raum der Kirche", davon gebe es "keine Beurlaubung". Im vorliegenden Fall komme hinzu, dass der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Höffner die Pflichten des Klerikers, der die Minderjährige als Pflegekind aufnehmen wollte, so konkretisiert habe, dass er das Mädchen gerade als Kleriker, auch religiös, betreuen sollte.
Eberhard Luetjohann, Anwalt der Klägerin, erklärt, warum die Kirche aus seiner Sicht Verantwortung tragen müsse. Eben weil sie nicht einfach auf den staatlichen Akt verweisen könne, dass das Jugendamt dem angehenden Priester die Verantwortung für das Pflegekind übertragen habe. Das Jugendamt habe doch gerade im Vertrauen auf das Amt und die dahinter stehende Institution Kirche gehandelt. Luetjohann sagt: "Irgendein Angestellter, der alleinstehend ist, bekommt ein solches Amt (des Pflegevaters, Anm. d. Red.) nicht. Das ist das Kapital, das Vertrauenskapital des Klerus gewesen. Und das hat der Mann ausgenutzt und missbraucht."
Der Eckige Tisch will den Fall nicht verloren geben. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, kann also noch angefochten werden. Matthias Katsch verspricht: "Wir werden die betroffene Frau unterstützen, wenn sie sich entschließen sollte, in die nächste Instanz zu gehen. Wir rufen zu Spenden für die erheblichen Prozesskosten auf. Denn wenn die Kirche mit diesem Urteil davonkommt, dann kann sich keine betroffene Person mehr vor Gericht trauen, wenn sie mit den zugeteilten Anerkennungsleistungen nicht einverstanden ist."






