Kommentar zum Berliner Kopftuchurteil

Mehr Fragen als Antworten

Die Berufungsklägerin, Frau E. Ö., ist aufgrund von Krankheit nicht erschienen. Einen persönlichen Eindruck zu gewinnen war der Öffentlichkeit deshalb nicht möglich.

Es werden Schriftsätze ausgetauscht.

Mit einer schriftlichen Erklärung der Prozessbevollmächtigten wird den Presse- und MedienvertreterInnen untersagt, den vollständigen Namen der Klägerin zu nennen bzw. Bildmaterial zu veröffentlichen. "Bei Verstoß werden die Rechte meiner Mandantin nötigenfalls mit gerichtlicher Hilfe durchgesetzt", lässt die Rechtsanwältin Maryam Haschemi Yekani wissen.

Weiter ist zu lesen: "Die Klägerin ist überzeugt, dass es in dem vorliegenden Verfahren nicht nur um ihr persönliches Anliegen und ihre Person geht, sondern um die Klärung rechtlicher Fragen, welche für viele weitere Fälle in Berlin von Bedeutung sein werden."

In einem zweiten Schreiben an das Landesarbeitsgericht, ebenfalls vom 9. Februar 2017 stellt die Klägerin "Auszüge der Stellungnahme der Klägerin für die Presse zur Verfügung", darin heißt es:

Auch wenn ich diese Klage in erster Linie für mich und meinen Ziele führe; es geht hier nicht um mich, sondern um die Zukunft eines nicht zu vernachlässigenden Teils der Gesellschaft. Es sollte auch beachtet werden, das sich dieses Gesetz (Berliner Neutralitätsgesetz – Anmerkung) auch auf andere Berufsbereiche auswirkt und dort als Rechtfertigung für Verbote genutzt wird. Pauschales Kopftuchverbot ist verfassungswidrig. Das Neutralitätsgesetz, so wie es ist, ist verfassungswidrig und muss abgeschafft oder geändert werden. Ich finde mich klar im Recht. Gleichzeitig empfinde ich es als belastend und ungerecht, notfalls alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht gehen zu müssen, um zu meinem Recht zu kommen. Ganz abgesehen von den hohen finanziellen Kosten der Verfahren, für die ich persönlich aufkommen muss. ... Trotz des bestehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts 2015 für Nordrhein-Westfalen und des bestätigenden Urteils 2016 für Baden-Württemberg.

Die vorsitzende Richterin trägt den Vorgang der deutschen Staatsbürgerin vor, der zu deren Entschädigungsklage führte, die abgelehnt wurde. (Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 14.04.2016, Aktenzeichen 58 Ca 13376/15)

Die Klägerin hatte sich um eine Stelle der in Berlin dringend gesuchten GrundschullehrerInnen beworben und am 29.4.2015 in dem Vorstellungsgespräch ihre Absicht erklärt, mit dem Kopftuch zu unterrichten. Der Bewerberin Frau Ö. wurde mitgeteilt, die Schulleiterin, bei der das Bewerbungsgespräch stattgefunden habe, wolle sie nicht mit dem Kopftuch unterrichten lassen. Ob das eine generelle Absage ihrer Bewerbung sei wollte Frau Ö. daraufhin wissen – nein war die Antwort.

Am 25. 3. 2015 kam eine weitere Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Einen Monat später machte die Klägerin eine Entschädigung geltend. Das Berliner Abgeordnetenhaus beschäftigte sich mit dem Vorgang. Der Wissenschaftliche Dienst machte dazu Vorschläge. Frau Ö. erhielt neue Jobangebote. Sie reichte Klage ein.

Die Vorsitzende referiert weiter: Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nicht unmittelbar benachteiligt worden. Der Grund sei, dass sie beim Unterricht das islamische Kopftuch tragen möchte. Das sei das Grundrecht der Klägerin. Die Berliner Regelung ist es nicht. Hier leben verschiedene Religionen nebeneinander und das ist zu berücksichtigen. Dem gegenüber sagt die Klägerin, das Berliner Neutralitätsgesetz sei verfassungswidrig, es läge eine Benachteiligung vor, denn so hätte sie die Stelle nicht annehmen können.

In dieser Berufungsverhandlung sei zu prüfen, ob die Klägerin einen Anspruch auf Entschädigung hat. Männliche muslimische Bewerber sind optisch unauffällig. Man kann zu dem Schluss kommen, weibliche muslimische Lehramtsbewerber, (die ein Kopftuch im Unterricht tragen wollen - Anmerkung) sind von vornherein aus dem Schulunterricht der Sekundar-Stufe herausgenommen.

Die Prozessbevollmächtigte stellt fest, die Klägerin hätte das Arbeitsangebot nicht annehmen können.

Frau Ö. fordert heute eine "angemessene Entschädigung wegen einer Benachteiligung ihrer Religion, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird", dieses wird von der Vorsitzenden diktiert, dann vorgelesen und genehmigt.

Der Klägerin steht auch heute die Annahme offen, an Grundschulen zu unterrichten.

Wäre das eine Option, diese Frage stellt die Vorsitzende an die Prozeßbevollmächtigte.

Die Anwältin der Klägerin: "Sie ist an ein Kopftuch gebunden." Damit macht sie klar, dass es bei der Bewerberin um Glaubensüberzeugung geht und an der Kleidung erkennbar ist. Die Anwältin führt religiösen Schmuck an und das die Klägerin sich einen Arbeitsplatz wünscht, der ihrer beruflichem Qualifikation entspricht. Ein Arbeitsplatz, der von vor herein einen bestimmten Schultyp ausschließt, das ist ein Problem.

Die Anwältin stellt fest: Die Klägerin wurde in jedem Fall benachteiligt.

Die Vorsitzende: "Wir drehen uns im Kreis." Die Berliner haben sich haben sich mit dem Neutralitäts-Gesetz etwas gedacht.

Klar wird, es geht tatsächlich um eine Entschädigungszahlung. Der Rechtsanwalt der Beklagten schüttelt den Kopf. Die Vorsitzende stellt fest, dass jeder bei seiner Rechtsauffassung bleibt und stellt Modelle in den Raum, möglich sei

  1. Die Verhandlung auszusetzen und an das Bundesarbeitsgericht zu geben,
  2. das Urteil, das hier zur Berufung ansteht ist verfassungskonform und das Gericht wird eine Entscheidung verkünden,
  3. die Parteien einigen sich.

Eine Pause für Beratungen folgt.

Die Seite der Klägerin stellt die Frage, welche Lehrkraft ist neutral. Die Vorsitzende bricht eine Diskussion dazu ab und verweist auf das Bundesverfassungsgericht.

Das Gericht zieht sich zurück. Das Urteil: "Im Berufsverfahren wurde unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern der Lehrstelle entsprechend 8.680,00 festgesetzt."

Im März 2017 wird das Urteil schriftlich vorliegen.