Seit Beginn des Monats sind Schwangerschaftsabbrüche im US-Bundesstaat Texas de facto vollständig verboten. Nun erhalten ungewollt Schwangere Beistand aus einer unerwarteten Richtung: von der atheistischen Weltanschauungsgemeinschaft The Satanic Temple. Diese stellt das Argument der freien Religionsausübung auf den Kopf und verlangt die Herausgabe von Abtreibungsmedikamenten, da Schwangerschaftsabbrüche bei den Satanist*innen ein religiöses Ritual darstellten.
Das dürfte sich Ken Paxton, seines Zeichens Generalstaatsanwalt des Bundesstaats Texas, wohl anders vorgestellt haben. "Sicher wird Paxton […] stolz darauf sein, dass Texas' robuste Gesetze zum Schutz der Religionsfreiheit, die er selbst so fieberhaft vorangetrieben hat, künftige Abtreibungsrituale vor überflüssigen Eingriffen des Staates schützen werden", so Lucien Greaves, Sprecher des Satanic Temple, in einer Pressemitteilung.
Roe vs. Wade ist Vergangenheit
Tatsächlich befindet sich Texas momentan im verfassungsrechtlichen Limbo. Theoretisch sollten die Präzedenzentscheidungen Roe vs. Wade und Planned Parenthood vs. Casey auch in Texas gelten und eine Abtreibung damit mindestens bis zur 21. Schwangerschaftswoche legal sein.
Doch der Supreme Court lehnte eine Beschwerde gegen das Gesetz aus fadenscheinigen Gründen ab: Das Gericht argumentierte, da das Gesetz Abtreibungen nicht de jure verbiete, sondern lediglich Privatpersonen und Organisationen das Recht einräume, ungewollt Schwangere und Anbieter*innen von Abtreibungen zu verklagen, sei es eine Frage der Umsetzung und nicht des Gesetzes selbst, ob sich der Supreme Court damit beschäftigen werde.
Heißt übersetzt: Wir können zwar ganzen Bundesstaaten nicht das Recht einräumen, Abtreibungen zu verbieten, aber wir können die Anti-Abtreibungs-Aktivist*innen unter der Fahne der freien Religionsausübung dazu ermächtigen, Abtreibungswillige mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln des Staatsapparats zu peinigen. Es drängen sich gewisse Parallelen zum "Wilden Westen" auf, jener irrwitzigen Zeit, in der Personen per Flugblatt und Kopfgeld zu Freiwild erklärt wurden.
Abtreibung als religiöser Akt?
Doch es existiert eine letzte Bastion des Widerstands, dessen Strategie tatsächlich aufgehen könnte: die in Salem, Massachusetts beheimatete atheistische Organisation The Satanic Temple (TST). Diese ist, anders als der Name impliziert, keine satanistische Religions-, sondern eher eine atheistische Weltanschauungsgemeinschaft, deren sakrosanktestes Axiom die körperliche Autonomie des Individuums ist. So lautet das dritte ihrer sieben Gebote: "Der eigene Körper ist unverletzlich und ausschließlich dem eigenen Willen unterworfen."
"Während Jurist*innen mit dem Konflikt zwischen Roe vs. Wade und dem Heartbeat Law ringen, ermöglichen wir Satanist*innen Frauen in Texas auf kreative Weise den Zugang zu Abtreibungen: nämlich mit dem Argument freier Religionsausübung. Bereits seit einigen Jahren nutzt der Satanic Temple seinen rechtlichen Status als Religionsgemeinschaft, um klarzustellen, dass der Zugang zu Abtreibungen ein religiöses Grundrecht ist", wird die Organisation von der Website lawandcrime.com zitiert.
Es ist nicht das erste Mal, dass TST juristisch gegen die Abtreibungsregelungen des Bundesstaats vorgeht. Jetzt will er mittels einer Anfrage nach dem Religious Freedom Restoration Act (RFRA) bei der Food and Drug Administration (FDA) eine Ausnahmegenehmigung für den Erhalt der Abtreibungsmedikamente Mifepriston und Misoprostol erhalten. Der RFRA wurde eingeführt, um den indigenen Einwohner*innen der USA Zugang zu der von ihnen verehrten psychoaktiven Substanz Peyote zu gewähren. Diese ist substantieller Teil der indigenen Rituale, jedoch als Schedule-1-Droge auf Bundesebene ebenso illegal wie Heroin oder LSD.
Der Satanic Temple versucht es nun mit dem gleichen Argument: "Unsere Mitglieder nutzen diese Medikamente in einem rituellen Setting. Das satanische Abtreibungsritual ist ein Sakrament, das den Akt des Schwangerschaftsabbruchs umgibt und miteinschließt. Es ist so konzipiert, dass es Gefühle der Schuld und der Scham bekämpft und der Abtreibungswilligen die vollständige Kontrolle über ihren Geist und ihren Körper zurückgibt", schreibt die Organisation in ihrem Brief an die FDA.
Auf seiner Website beschreibt der TST, wie ein satanisches Abtreibungsritual aussieht: "Das satanische Abtreibungsritual bietet spirituelle Begleitung und stärkt körperliche Autonomie, Selbstbewusstsein und Entscheidungsfreiheit in Übereinstimmung mit den Sieben Geboten. Das Ritual ist nicht dafür gedacht, Menschen von einer Abtreibung zu überzeugen. Stattdessen gibt es dem Abtreibungsprozess etwas Heiliges, indem durch ein sicheres und wissenschaftliches Vorgehen das Vertrauen in die eigene Entscheidung und die reproduktiven Rechte gestärkt wird."