Kommentar

Stillende Mutter aus Kirche geworfen?

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Die stillende "Gottesmutter" ("Maria Lactans") ist ein beliebtes Motiv in der christlichen Kunstgeschichte (hier der Ausschnitt einer Statue von 1380 aus dem Germanischen Nationalmuseum)
"Maria Lactans"

Ein Mitarbeiter einer evangelischen Kirche in Wiesbaden soll einer stillenden Mutter nahegelegt haben, dies an einem anderen Ort zu tun. Die Kirche rudert derweil zurück und spricht von einem Missverständnis. Selbst dann sagt dieser Vorfall jedoch einiges über die dahinter stehende Geisteshaltung aus.

Laut aktuellen Medienberichten soll ein Mitarbeiter der evangelischen Marktkirche in Wiesbaden am Wochenende des dritten Advent einer Frau, die ihren viermonatigen Säugling in der Kirche stillte, nahegelegt haben, dies an einem anderen Ort zu tun – und zwar auf der Toilette. "Uns tut das sehr Leid, es ist ein Riesenmissverständnis", betonte Volker Rahn, Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, gegenüber der Welt. "Der Mitarbeiter wollte ihr eigentlich einen ruhigen Raum zeigen und sie hat das als Rauswurf verstanden. Es ist überhaupt kein Problem, wir freuen uns, wenn Schwangere und stillende Mütter bei uns in der Kirche (...) Ruhe suchen."

Außer der Mutter mit ihrem Kind sollen sich gerade einmal circa 20 andere Personen in der Kirche befunden haben, berichtete das evangelische Portal idea.de. Die Mutter sagte der Bild am Sonntag, sie habe die Kirche aufgesucht, weil es dort warm sei, während es draußen regnete. "Ich dachte mir, (…) ich bin willkommen." Eigentlich ein klassischer Fall dessen, wie die Kirche sich selbst gerne darstellt und verstanden wissen will: Als Zufluchtsort für die Mühseligen und Beladenen.

Die Frau habe nach eigener Aussage die anderen anwesenden Personen nicht gestört. Sie habe sich in die letzte Bankreihe gesetzt, teilweise sei ihr freundlich zugelächelt worden. Ein älterer Mitarbeiter der Wiesbadener Kirche habe sie dann jedoch genervt aufgefordert, entweder auf der Toilette weiterzustillen oder aber die Kirche zu verlassen – denn in 40 Minuten beginne ein Orgelkonzert.

Selbst wenn es sich so zugetragen haben sollte, wie der Pressesprecher sagt, kann man sich trotzdem über das Ansinnen des Kirchenmitarbeiters wundern: Warum muss man einer stillenden Frau überhaupt einen anderen ruhigen Ort anbieten (ungeachtet dessen, dass es in der wenig besuchten Kirche ja ruhig war und das Stillen sicherlich nicht so lange gedauert hätte, bis das Orgelkonzert beginnt)? Genau diesen Ort, nämlich den Kirchenraum, hatte sich die Frau ja selbst ausgewählt. Aus dem Angebot spricht die Haltung, dass eine stillende Mutter aus der Öffentlichkeit entfernt werden muss.

Obwohl sich die Situation in den letzten Jahren erfreulicherweise normalisiert hat und Stillen in der Öffentlichkeit mittlerweile wesentlich mehr akzeptiert wird, scheint sich bei einigen dann doch noch die Auffassung gehalten zu haben, es sei etwas Unanständiges. Dabei sollte eigentlich jedem klar sein, dass es zur menschlichen Natur als Säugetier (!) gehört, seinen Nachwuchs mit eigener Milch zu füttern, es ist nun mal die einzig normale Ernährungsform für ein Baby. Letzteres stellt sogar die Kirche nicht infrage, nicht umsonst gibt es in der christlichen Kunstgeschichte zahlreiche Darstellungen der stillenden Maria, genannt "Maria Lactans". Mit entsprechender Normalität sollte man dem Stillen – innerhalb wie außerhalb einer Kirche – begegnen.

Auch Papst Franziskus vom Schwesterverein katholische Kirche stellte 2015 bei einer Taufe in der Sixtinischen Kapelle klar: "Ihr Mütter, gebt Euren Kindern Milch, jetzt gleich, wenn sie Hunger haben, gebt ihnen Milch". Bei diesem Machtwort des obersten Katholiken wird Widerspruch von "normalsterblichen" Angestellten schwierig. Sollte die katholische Kirche damit tatsächlich einmal progressiver sein als die evangelische?

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