Streitgespräch von Hamed Abdel-Samad und Mouhanad Khorchide

Wie hältst Du es mit dem Islam?

BONN. (hpd) Soll man den Islam ablehnen oder reformieren? Über diese Frage führten der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad und der Theologe Mouhanad Khorchide ein Streitgespräch mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Dieses macht die Differenzen deutlich und fordert zur Selbstpositionierung auf. Dabei kann man aber eine inhaltliche und eine strategische Ebene unterscheiden.

Wie hältst Du es mit dem Islam? Diese neue Gretchen-Frage bewegt die Gemüter. Dabei kommt dem Kontext von Islam und Islamismus bzw. Islam und Gewalt ein herausragender Stellenwert zu. Denn es gibt in der Geschichte und Lehre dieser Religion durchaus Anknüpfungspunkte, die von Fundamentalisten und Konservativen für ihre Deutungen und von Djihadisten und Salafisten für ihre Taten legitimatorisch genutzt werden können. Bezogen auf diese Einsicht lassen sich unterschiedliche Forderungen formulieren bzw. Positionen einnehmen: Man kann die Angemessenheit des Islam gänzlich in Frage stellen, man kann aber auch eine Neuinterpretation der Religion vornehmen. Diese Auffassungen repräsentieren in der Diskussion in Deutschland einerseits der Politikwissenschaftler und Publizist Hamed Adel-Samad und andererseits der Professor für Islamische Theologie Mouhanad Khorchide. Beide führten unter der Leitung von Stefan Ort, dem Stellvertretenden Chefredakteur der Herder Korrespondenz, ein ausführliches Streitgespräch.

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Es liegt in der Buchausgabe mit dem Titel "Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren" vor. In zwölf Abschnitten werden die unterschiedlichsten Themen erörtert. Darauf bezogen variieren die beiden Diskutanten ihre Positionen. Zunächst geht es um die Einstellung von Religion und Gewalt, die Rolle von Mohammed als Kriegsherr, den Umgang mit dem "Islamischen Staat" oder die Deutung des Koran als Gottes- oder Menschenwort. Jedem Kapitel hat man Kernzitate aus der Kontroverse vorangestellt, wodurch die Differenzen deutlich werden. Abdel-Samad äußert beispielsweise: "Der Islam konnte sich nicht an die Moderne anpassen, weil der Islam sich an nichts anpassen will, weil er letztlich alles von oben bestimmen und kontrollieren will" (S. 16). Und Khorchide kommentiert exemplarisch: "Eine bestimmte Lesart des Islam hat auf jeden Fall ein großes Gewaltproblem. Wir dürfen aber nicht pauschalisieren. Aussagen, dass der Islam durchweg friedlich oder durchweg gewaltbereit sei, gehen an der Realität vorbei" (S. 17).

Danach erörtern die Diskutanten die Anforderungen einer demokratischen Gesellschaft, Bedeutung und Inhalte eines Euro-Islam, die liberalen Muslime in Deutschland oder den Islam als zivilgesellschaftliche Größe. Abdel-Samad bemerkt hier beispielsweise: "Liberale Muslime, die es ja gibt, sind in erster Linie liberale Menschen, die dann auch Muslime sind. Der Islam lässt aber kaum differenzierte Identitätsschichten zu. Zuerst kommt für ihn das Muslim-Sein, einschließlich eines bestimmten Katalogs, den es abzuarbeiten gilt, indem man ein bestimmtes Leben führt" (S. 114). Und Khorchide meint exemplarisch: "Ich kann nur für das Muslimische Forum Deutschland sprechen, dessen Gründungsmitglied ich bin. Wir haben mehrere Arbeitsgruppen gebildet, in denen die Theologie ein Schwerpunkt der Aktivitäten ist, daneben gibt es viele weitere Schwerpunkte. Ich bin optimistisch" (S. 114). Angesichts derart unterschiedlicher Auffassungen kann nicht verwundern, dass die Diskutanten zu keinem Konsens kommen. Die Differenz besteht zwischen Ablehnung und Umdeutung.

Das Buch dokumentiert in der Gesamtschau die Kontroversen in dieser Frage, wobei eben durch den Charakter des Streitgesprächs die Positionen auch zugespitzt deutlich werden. Es fällt auf, dass beide Diskutanten häufig Formulierungen wie "der Islam macht dies" oder "der Islam passt sich an" nutzen. Dabei ignorieren sie, dass der Islam gar nichts tun kann, sondern nur Menschen in seinem Namen etwas tun können.

In der Gesamtschau dürften die Argumente von Abdel-Samad trotz mancher Schiefen und Überspitzungen überzeugender wirken. Denn ähnlich wie das Christentum ist auch der Islam unterschiedlich deutbar. Da er aber eine andere Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte hatte, muss sich eine Neuinterpretation gegen derartige Traditionen stellen. Dies dürfte von daher schwieriger sein. Gleichwohl kommt dem Ansatz von Khorchide auch große Bedeutung zu, dabei aber mehr aus strategischer Perspektive. Denn angesichts der Gläubigkeit vieler Muslime ist der Schritt zur Abkehr kaum und der zur Modernisierung mehr wahrscheinlich.

Hamed Abdel-Samad/Mouhanad Khorchide, "Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren". Ein Streitgespräch, Freiburg 2016 (Herder-Verlag), 127 S., ISBN: 978-3-451-27146-5, 14,99 Euro

Vgl. auch das dreiteilige hpd-Interview mit Hamed Abdel-Samad und Mouhanad Khorchide, das als "Ideen-Vorlage" für das Buch gelten kann:
Teil 1
Teil 2
Teil 3