Interview

Drogenpolitik versus Selbstbestimmung

SUBSTANZ - unter diesem Titel engagiert sich eine Arbeitsgruppe für den selbstbestimmten Gebrauch psychoaktiver Substanzen, für eine Drogenpolitik, die auf rational-kritischem Vorgehen sowie allgemein menschlichen Grundsätzen basiert. Ihre Kernaussage ist: "Abstinenzdogma ist wider die menschliche Natur; jede erwachsene Person sollte über ihr Bewusstsein und ihren Körper selbst bestimmen ... dürfen!" Für den hpd sprach Evelin Frerk mit Philine Edbauer, Mitbegründerin von SUBSTANZ.

hpd: Psychoaktive Substanzen werden im allgemeinen Sprachgebrauch mit "Drogen" abgetan. SUBSTANZ sieht das anders. Wer sind die Initiatoren und an wen richtet Ihr Euch?

Philine Edbauer: Wir sind drei Leute, die sich eine andere Drogenpolitik wünschen. Eine, die wissenschaftlich fundiert ist und sich am Wohl und an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Wir möchten bestehende Initiativen für eine Liberalisierung ergänzen, indem wir statt Einzelaspekten die gesamte Thematik umfassend und nachvollziehbar aufbereiten. Wir versuchen dadurch, gesellschaftlich interessierte Leute zu erreichen, die die Bedeutung dieses Themas noch nicht im Blick haben. Legale und illegalisierte Substanzen sind Teil des Alltags unserer Gesellschaft, aber oft ein Gesprächs-Tabu. Damit sich die jetzige deutsche Anti-Drogenpolitik ändern kann, muss der gesellschaftliche Diskurs noch weiter angeregt werden. Cannabis als Medizin ist jetzt ein bekanntes Thema, es geht aber um viel mehr.

Zum Beispiel?

Selbstbestimmung. Was geht es eine Regierung eigentlich an, wie wir als erwachsene Menschen unser Bewusstsein erleben? Die Anti-Drogenpolitik nimmt uns die Möglichkeit, wissenschaftlich unterstützte Erfahrungen mit allen Substanzen zu machen. Wollen wir uns nicht mit Alkohol und Nikotin begnügen, liefert sie uns dem unkontrollierten Schwarzmarkt aus.

Hier kommt typischerweise in Gesprächen der Einwand: Muss man nicht einige Menschen vor den Drogen schützen? Tatsächlich ist es aber so, dass erstens der Schwarzmarkt keinen zuverlässigen Jugendschutz kennt, zweitens eine am Menschen orientierte Drogenpolitik einen Verbraucher_innenschutz etablieren sollte. Die Verbotspolitik hält kaum davon ab, regelmäßig illegalisierte Substanzen zu konsumieren. Nachfrage und Angebot sind flächendeckend da.

Eure Website ist jetzt im vierten Monat online. Gibt es erste Erkenntnisse?

Ich habe viele schöne Gespräche in meinem Umfeld sowie mit Menschen geführt, die ich durch das Engagement kennen lernen konnte. Interessant ist, dass zum Thema Rausch alle etwas zu sagen haben. Entweder zu eigenen Konsumerfahrungen mit legalen und illegalen Substanzen, als auch zum Beispiel zu Alkoholproblemen in der Familie. Allen ist mehr oder weniger klar, dass die jetzige Drogenpolitik problematisch ist. Ich versuche dann nur noch, das Bewusstsein zu schaffen, wie dringlich und umfassend das Thema eigentlich ist. Dazu gehört auch, weitverbreitete Irrtümer und Halbwissen zu korrigieren. 

In den Gesprächen ist mir aufgefallen, dass vielen Menschen gar nicht bewusst ist, dass sie das Recht haben, Politik nach ihren persönlichen Interessen zu beeinflussen, also zu beginnen, die jetzige Situation nicht als unveränderlich zu akzeptieren. Jeder Mensch auf dieser Welt hat das Recht darauf, sich zu entwickeln und sein Umfeld mitzugestalten. Bloß, weil Substanzen so leicht erhältlich sind, darf man es sich nicht gemütlich machen und sich damit abfinden, den Schwarzmarkt zu finanzieren und zu hoffen, dass es mit der Dosis und den Streckungen schon irgendwie gut gehe.

Cover

Sollten sich für euer Anliegen auch Menschen interessieren, die keine illegalen Drogen zu sich nehmen?

Die Anti-Drogenpolitik, so bezeichnen wir die jetzige Drogenpolitik, geht auch Leute an, die nichts Illegales konsumieren. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass uns die Regierung vorgibt, wie wir unser Bedürfnis nach Rauschmomenten zu leben haben. Alkohol erleben wir als selbstverständlich. Er gilt als gesellschaftlicher Begleiter, aber weitaus unbedenklichere Substanzen wie Pilze oder LSD werden uns in reiner Qualität vorenthalten. 

Die globale Anti-Drogenpolitik ist historisch gesehen im Gesamten nur etwa 100 Jahre jung und richtet Schaden an und das von Drogenkriegen bis zur Marginalisierung von Gruppen...

…Marginalisierung von Gruppen?

People of Color und gesellschaftliche Randgruppen werden weitaus öfter für ihren Besitz bestraft und medial diffamiert als Leute aus gesellschaftlich mächtigeren Gruppen. Vergessen wird, sie sind nicht per se Randgruppen, sondern Prozesse wie Rassismus und Kriminalisierung drängen die Menschen dahin. Nach einer Verurteilung sind sie nicht nur einmalige Straftäter_innen, die ihre Schuld durch Sozialarbeit oder im Gefängnis begleichen, sondern moralisch Schwache im Verdacht, der Gesellschaft zu schaden. Obwohl Substanzkonsum zum Alltag dieser Gesellschaft gehört, werden Konsumierende illegalisierter Substanzen in einer fiktiven Parallelgesellschaft betrachtet. Hier sollte man übrigens nicht übersehen, dass es sich beim Besitz dieser Substanzen eigentlich nicht um eine Straftat handeln dürfte, weil Besitz keinem anderem schadet.

Wie wird im Alltag zur Stigmatisierung beigetragen?

Ein Beispiel: Sagt man von jemanden, er oder sie sei abhängig, ist das etwas Negatives oder zu Bemitleidendes. Die Person wird aufgrund eines bestimmten Verhaltens als gesamte Person degradiert.

Es fehlt im Diskurs eine fundierte Unterscheidung zwischen Abhängigkeit und Sucht. Jeder Mensch ist von vielem abhängig, sei es warmes Essen, Geld, Freundschaft, das Handy oder eben eine Line Koks zu besonderen Anlässen. Abhängigkeit muss nicht mit Leid einhergehen. Sie kann zum Lebensstil gehören. Diese Abhängigkeiten nehmen einem nicht die Fähigkeit, die eigenen Beziehungen dazu kritisch zu reflektieren und bewusste Entscheidungen zu treffen.

Nur wenige Prozent der Konsumierenden geraten in eine Sucht. Hinsichtlich Sucht sind die meist verbreiteten Substanzen in Deutschland Alkohol und rezeptfreie Medikamente. Menschen mit Sucht als Opfer von Substanzen oder Willensschwäche zu stigmatisieren hilft ihnen nicht. Es braucht vielmehr eine Auseinandersetzung damit, durch welche sozialen und persönlichen Umständen sie dem Substanzkonsum, dem Shoppen oder Wettspiel solch einen Stellenwert in ihrem Leben einnehmen ließen.

Diese Nachfragen ergeben individuelle Antworten, die eine Summe aus persönlichen und sozialen Umständen bilden. Aus den sozialen Umständen lassen sich Aussagen über die Zustände unserer Gesellschaft ableiten, die höchst diskussionswürdig sind. Zum Beispiel die Reduzierung des Leistungsdrucks in unserem Schulsystem.

Dem Betäubungsmittelgesetz – so heißt es – fehle es an wissenschaftlicher Grundlage. Worauf basiert diese Aussage?

Im März 2017 wurde ein Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der Grünen im Bundestag durch Gegenstimmen aus der CDU und SPD abgelehnt. Gefordert war die wissenschaftliche Prüfung der Wirksamkeit des Betäubungsmittelgesetzes durch externe Expert_innen. Die letzte große inhaltliche Änderung des Gesetzes war 1971. Abgesehen vom Inhalt selbst, ist allein die Behauptung, eine wissenschaftliche Prüfung sei nach über 40 Jahren Forschung nicht erforderlich, eine Absage an den Anspruch einer wissenschaftlichen Fundierung unserer Gesetze.

Ein Blick auf die Philippinen: Es wird dort von einem Drogenkrieg gesprochen. Wie schätzt ihr das ein? Was könnte man tun, um den Konflikt zu lösen?

In der letzten Zeit gibt es in Deutschland und Europa einige öffentliche Bekundungen diverser Gruppen, die den Präsidenten Duterte auffordern, seinen sogenannten Drogenkrieg in den Philippinen zu stoppen. Ich finde, man macht es sich sehr leicht, mit der Menschenrechts-Checkliste auf ein fernes Land zu schauen und zu behaupten, die seien moralisch nicht so weit wie wir und deswegen können wir ihnen erzählen, wie es besser geht.

Will man wirklich verstehen, was in den Philippinen vor sich geht und helfen, brauchbare Lösungsansätze zu entwickeln, ist es vielmehr erforderlich, sich tiefer gehend die Kolonialzeit durch die Spanier und die USA bis heute genauer anzusehen. Die katholische Kirche hatte und hat dabei eine besondere Bedeutung. Die Politik der letzten Jahrzehnte war vom kalten Krieg der USA beeinflusst.

Dabei muss man sich vom Fokus auf die Substanzen lösen, denn die spielen in diesem sogenannten Drogenkrieg eine untergeordnete Rolle. Die eben beschriebene Stigmatisierung und Kriminalisierung marginalisierter Gruppen und Personen sind der Nährboden für Dutertes Politik. Der Kampf gegen eine vermeintlich böse Gruppe, deren Auslöschung die Probleme des Landes lösen sollen, verleiht Duterte Macht und Vertrauen. Die USA dient seit den 70ern mit ihrem eigenen "War on Drugs" und "Law and Order" als Vorbild.

Zu verstehen, dass nicht Substanzen das Problem sind, sondern die Drogenpolitik, ist ein erster nötiger Schritt, um der Untersuchung und Lösungsfindung gegenüber offen eingestellt zu sein.

Zur Rolle der christlichen Kirchen, die sich den Forderungen gegen Dutertes Politik anschließen: Sie tragen nichts zur Beendigung des globalen Drogenkriegs bei, solange sie sich nicht mit den Zusammenhängen beschäftigen und ihre eigene Rolle in den jeweiligen Gesellschaften über die letzten Jahrhunderte hinweg reflektieren. Ihre Glaubwürdigkeit ist eingeschränkt, solange sie einerseits die Abstinenz von illegalisierten Substanzen fordern und gleichzeitig dem Wein huldigen. Ihre wirtschaftlichen Interessen an der Wein-, Schnaps- und Bierproduktion stehen einer Regulierung aller Substanzen inklusive Alkohol entgegen. Denn zum Beispiel ein wirksamer Jugendschutz erfordert ein Alkohol-Werbeverbot.

Gibt es weitere Projekte?

Für den Herbst 2017 können wir ein Buch ankündigen: "Liberalisierung psychoaktiver Substanzen – Warum ein Umdenken dringend erforderlich ist". Autor ist Frank Sembowski, ebenfalls SUBSTANZ -Mitbegründer.

Das Buch möchten wir mit Veranstaltungen begleiten. Zuvor starten wir eine Interview-Reihe. Über die Kontaktaufnahme von Menschen, die interessante Erfahrungen zum Thema gemacht haben freuen wir uns. "Nebenher" schreiben wir an weiteren Artikeln für die Website. Dabei werden wir die Bundestagswahl begleiten. Und ich arbeite gerade an einem Erfahrungsbericht über das Alkohol-Trinken und darüber, ihn nicht zu trinken.

Zum Ende ein SUBSTANZ-Zitat aus der Homepage: "Wir setzen uns für die Freiheit der Persönlichkeit ein – nicht für eine Doktrin des Rausches."
Schönen Dank Philine Edbauer für diesen ersten Einblick in die SUBSTANZ-Arbeitsgruppe, die sich der Aufklärung weitverbreiteter Irrtümer und die Korrektur von Halbwissen verschrieben haben. 

"Entranced" © Nick Ansted, Art und Design Oregon
"Entranced" © Nick Ansted, Art und Design Oregon

Die Initiatoren lernten sich im Sommer 2015 bei einem Treffen der Giordano-Bruno-Stiftung kennen. Die Missstimmung über die Auswirkungen der jetzigen Anti-Drogenpolitik bildeten den Anfang ihrer gemeinsamen Arbeit, die dem Streben des Menschen nach persönlichen Glück eine zentrale Bedeutung beimisst.

Das SUBSTANZ-Team bilden:
Stefan Dewald, Elektronikingenieur (FH),
Technischer Redakteur mit persönlicher Motivation:
Feind von irrationalen, lebensfernen und historisch-zufälligen Entscheidungen

Philine Edbauer, sie studiert International Management und Regionalstudien Asien/Afrika in Berlin. Kommunikation ist ihr Schwerpunkt in der Arbeitsgruppe. Sie ist Ansprechpartnerin für Kooperationen, Workshops und Vorträge.

Frank Sembowski, Dipl.-Biologe
Schwerpunkt: Wissenschaftliche Redaktion