Während sich Protestanten auf den 500. Jahrestag der Reformation vorbereiten, zeigen neue Umfragen des Pew Research Center, dass sich die theologischen Unterschiede, die das westliche Christentum im 16. Jahrhundert gespalten haben, sowohl in Westeuropa als auch in den Vereinigten Staaten auf ein Maß verringert haben, das Christen in vergangenen Jahrhunderten möglicherweise schockiert hätte. In ganz Europa und den USA herrscht die Ansicht vor, dass sich Protestanten und Katholiken in Religionsfragen heutzutage eher ähneln als unterscheiden.
Und obwohl die Reformation in Europa zu verheerenden Kriegen und Verfolgung führte, die über ein Jahrhundert andauerten, drücken sowohl Protestanten als auch Katholiken heute über den Kontinent hinweg überwiegend ihre Bereitschaft aus, sich gegenseitig als Nachbarn und sogar als Familienmitglieder zu akzeptieren.
Obwohl Martin Luther und andere protestantische Reformatoren im 16. Jahrhundert erklärten, dass ewige Erlösung allein durch Glauben allein erreicht wird (eine Überzeugung, die im Lateinischen als sola fide bezeichnet wird), zeigen die Umfragen, dass viele Protestanten heute sagen, dass ewige Erlösung durch eine Kombination von Glauben und guter Werke erreicht wird - das ist die traditionelle katholische Lehre. In der Tat, in den meisten der befragten westeuropäischen Ländern gibt es mehr Protestanten, die glauben, dass Erlösung von Glauben und guten Werken abhängt, als jene, die sagen, dass Erlösung allein durch Glauben kommt.
Das sind die wichtigsten Erkenntnisse aus zwei separaten Umfragen, die das Pew Research Center in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Monaten durchgeführt hat. In Westeuropa führte das Center vom 11. April bis 2. August 2017 telefonische Umfragen unter 24.599 Personen in 15 Ländern durch. In den USA wurde die Umfrage vom 30. Mai bis zum 9. August 2017 unter 5.198 Teilnehmern des American Trends Panel des Pew Research Center online durchgeführt (allerdings wurden alle Fragen, die in der Umfrage analysiert wurden, nur bei einer Hälfte der Teilnehmer gefragt).
Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Umfragen - beide enthalten Fragen dazu, wie Protestanten und Katholiken einander sehen, und beide fragten die Umfrageteilnehmer zu ihren Ansichten über Erlösung. Dennoch werden die Ergebnisse der beiden Erhebungen separat dargestellt, weil sie mit verschiedenen Methoden durchgeführt wurden (die europäischen Umfragen fanden telefonisch statt, die U.S.-Umfrage wurde online durchgeführt) und weil sie einige unterschiedliche Fragen enthielten.
Zu den wichtigsten Erkenntnissen in "Fünf Jahrhunderte nach der Reformation ist die katholisch-protestantischen Spaltung in Westeuropa verblasst" gehören:
- In jedem der befragten europäischen Länder sagen etwa neun oder mehr von zehn Protestanten und Katholiken, dass sie bereit sind, Mitglieder der anderen Konfession als Nachbarn zu akzeptieren. Und große Mehrheiten beider Gruppen sagen, sie wären bereit, Mitglieder der anderen Gruppe in ihren Familien zu akzeptieren. Zum Beispiel sagen 98% der deutschen Protestanten, dass sie Katholiken als Mitglieder ihrer Familie akzeptieren würden, und ein ähnlicher Anteil der deutschen Katholiken (97%) sagt das gleiche über die Protestanten.
- In fast allen befragten europäischen Ländern halten Mehrheiten oder Pluralitäten der Katholiken und Protestanten an der traditionell katholischen Auffassung fest, dass sowohl Glaube als auch gute Werke notwendig sind, um Erlösung zu erlangen. In der Tat, in jedem Land außer Norwegen (wo 51% der Protestanten sagen, dass die Erlösung durch Glauben allein kommt) ist der Glaube an sola fide auch bei den Protestanten eine Minderheit.
- Katholiken und Protestanten in Westeuropa geben in der Regel eine geringe Einhaltung religiösen Brauchtums an: Ein Median von nur 8% der Protestanten und 14% der Katholiken sagen, dass sie wöchentlich oder öfter Gottesdienste besuchen. Aber Europäer, die sagen, dass Religion in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt, haben eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit, die traditionelle Einstellung ihrer jeweiligen Kirche in Bezug auf Erlösung zu haben. Zum Beispiel, 31% der Protestanten in Schweden, die sagen, Religion ist "sehr" oder "etwas" wichtig in ihrem Leben glauben an sola fide, im Vergleich zu 10% aller anderen schwedischen Protestanten.
- Die Auswirkungen der Säkularisierung in Westeuropa sind offensichtlich, aber es gibt dennoch Ausnahmen. Zum Beispiel haben die Niederlande ein relativ hohes Maß an Konfessionslosigkeit, wobei sich etwa die Hälfte der niederländischen Erwachsenen (48%) als atheistisch, agnostisch oder religiös "ohne Zugehörigkeit" beschreibt. Doch niederländische Protestanten zeichnen sich auch durch einige der höchsten Anteile an Kirchgängern aus: 43% sagen, dass sie mindestens einmal pro Woche in die Kirche gehen.
Zu den wichtigsten Erkenntnissen in "U.S.-Protestanten definieren sich nicht durch die Kontroversen der Reformation 500 Jahre später" gehören:
- Etwa die Hälfte der U.S.-Protestanten (52%) sagen, dass gute Werke und Glaube an Gott zum Himmel führen, historisch eine katholische Position. Die andere Hälfte (46%) sagt, dass Glaube allein nötig ist, um Erlösung zu erlangen.
- U.S.-Protestanten sind bei einem weiteren Thema gespalten, das eine Schlüsselrolle in der Reformation gespielt hat: 46% sagen, dass die Bibel Christen alle notwendigen religiösen Anleitungen gibt – ein traditionell protestantischer Glaube, der als sola scriptura bekannt ist. Aber 52% sagen, dass Christen religiöse Anleitung sowohl in kirchlicher Lehre und Tradition als auch in der Bibel suchen sollen – eine Überzeugung, die in der katholischen Kirche vorherrscht.
- Nur 30% aller U.S.-Protestanten glauben sowohl an sola fide als auch an sola scriptura.
- Der Glaube an sola fide und sola scriptura ist weit häufiger bei weißen evangelikalen Protestanten vertreten als bei anderen weißen Protestanten oder schwarzen Protestanten in den Vereinigten Staaten. Unter selbst-identifizierten weißen Evangelikalen äußern 44% beide Überzeugungen, und diese Zahl steigt auf 59% unter den weißen Evangelikalen, die sagen, dass sie mindestens einmal pro Woche zur Kirche gehen.
- In einer Reihe von Multiple-Choice-Fragen identifizieren die meisten U.S.-Amerikaner (65%) die Reformation korrekt als den Begriff, der gewöhnlich verwendet wird, um auf die historische Periode zu verweisen, in der sich Protestanten von der katholischen Kirche abgespalten haben. Und ein ähnlicher Anteil (67%) identifiziert Martin Luther als Person, deren Schriften und Handlungen die Reformation inspirierten. Weit weniger (23%) wissen, dass nur die Protestanten traditionell lehren, dass die Erlösung allein durch Glauben kommt; 45% sagen irrtümlich, dass sowohl Protestantismus als auch Katholizismus traditionell diese Position halten, während 19% sagen, dass keine der beiden Konfessionen sola fide lehrt, und einer von zehn U.S.-Amerikanern (11%) sagt, dass nur der Katholizismus traditionell lehrt, dass die Erlösung allein durch Glauben kommt.
- Ansichten über sola fide sind an den Wissensstand darüber gebunden. Unter den U.S.-Protestanten ist das Wissen, dass nur der Protestantismus traditionell lehrt, dass die Erlösung durch den Glauben allein kommt, eng mit dem Glauben verbunden, dass die Erlösung allein durch den Glauben kommt. Unter den Protestanten, die wissen, dass nur der Protestantismus traditionell lehrt, dass Erlösung allein durch Glauben kommt, glauben etwa drei Viertel (77%) an sola fide. Aber unter dem viel größeren Anteil der Protestanten, denen nicht bewusst ist, dass sola fide nur eine evangelische Lehre ist, glauben weit weniger (35%), dass Glaube allein reicht, um in den Himmel zu kommen.
Das Pew Research Center ist ein neutraler Fact Tank, der die Öffentlichkeit über Themen, Meinungen und Trends informiert, die Amerika und die Welt bewegen. Das Center bezieht keine politischen Positionen. Es ist eine Tochtergesellschaft von The Pew Charitable Trusts, die die primäre Finanzierung für das Center stellen.
Beide Studien wurden von The Pew Charitable Trusts finanziert. Die Westeuropa-Umfrage wurde zusätzlich mit Geldern der John Templeton Foundation unterstützt im Rahmen des Pew-Templeton Global Religious Futures Project.
8 Kommentare
Kommentare
Dennis Riehle am Permanenter Link
Das unterschiedliche Verständnis des Abendmahls wird aus meiner Sicht ebenso noch recht lange eine Differenz zwischen den Konfessionen darstellen wie die sich in dieser Frage ohnehin häufig ergebende Auseinandersetzun
Zwar mögen auch das alles Verhandlungsmassen sein, die bei einem guten Willen überwinden - beziehungsweise aufgeweicht - werden könnten, um sich dann in der Ungenauigkeit zu treffen und wiederzuvereinen. Dafür bräuchte es aber allseits die Bereitschaft und diese scheint in den aktuellen und kommenden Generationen der Kirchen nicht derart gegeben, als dass man die Unterschiede zwischen den beiden Konfessionen heute bereits kleinreden sollte.
Wolfgang am Permanenter Link
Man kann es auch mit ganz einfachen Worten sagen:
Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
Altes bewährtes Sprichwort, noch heute.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ist die Ökumene - nein, das Antischisma - nahe?
Roland Weber am Permanenter Link
Dieses "Beliebigkeits-Christentum" speist sich aus zwei Quellen:
2. Das Volk selbst ist vom theologischen Grundwissen schon sehr weit entfernt und reduziert sich auf allbekannte Rituale und Banalitäten. Wenn jemand für sich selbst nur ein diffuses Christ-sein vor sich hat, aus welchen und mit welchen Gründen will er dann überzeugend in einen Disput oder Streit mit einem Anders- oder gar Nicht-Gläubigen treten? Es ist nicht der Frieden der Einsicht und Toleranz, sondern der Frieden der Bequemlichkeit, Nützlichkeit, Ahnungslosigkeit und Verdrängung.
Markus Schiele am Permanenter Link
Eine erneute Bestätigung dafür, dass ein Großteil der "Gläubigen" gar nicht weiß, woran sie - ihrer eigenen Lehre gemäß - zu glauben haben.
Noncredist am Permanenter Link
Passend dazu hat man in sich NRW entschlossen, zukünftig katholischer und evangelischer Religionsunterricht bei Bedarf einfach zusammenzufassen und die Kinder demnach "einheitlich" religiös zu indoktr...
Quelle: http://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/gemeinsamer-religionsunterricht-100.html
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Diese scheinbare "Übereinstimmung" zwischen Katholiken und Protestanten rührt ausschließlich daher, dass die kontroversen Themen konequent ausgeblendet werden. Aber davon gibt es jede Menge:
Die Katholiken hängen an ihren Dogmen, die Protestanten wissen nicht, was das ist.
Die Katholiken kommen beim Zählen ihrer Sakramente auf 7, bei den Protestanten ist bei 2 Schluss.
Die Katholiken taufen Säuglinge, die Protestanten haben keinen Plan, was richtig ist.
Die Katholiken haben einen Chef, der Chef aller Christen sein will, die anderen sehen das nicht so.
Die Katholiken meinen, ihre Pfarrer müssten die Sünden der Schäfchen kennen, die anderen nicht.
Die Liste lässt sich beliebig erweitern.
Fest steht nur, der Papst würde sich viel eifriger für die Ökumene einsetzen, wenn sich da nicht dauernd die Protestanten einmischen würden.
little Louis am Permanenter Link
Gebe fast allen hier recht und habe viel geschmunzelt (Wir sollten nie den Humor verlieren), da ich selbst immer wieder feststelle, wie wenig Folklorechristen darüber wissen, was sie eigentlich zu glauben haben.
Aber nochwas: Ich traf kürzlich auf eine etwas ältere Dame aus einem angrenzenden osteuropäischen (europäischen) Staat. Sie sortierte stundenlang Marienbildchen und
"philosophierte" dabei über den globalen Einfluss der jüdisch - freimaurischen Weltverschwörung auf fast alle Politiker. Da wurde selbst mir als politischem hardcore- Verschwörungstheoretiker etwas mulmig.
Vielleicht sind da die die Folklorechristen, die in Italien (vor 30Jahren und heimlich) die Sexistin Chicholina ins Parlament gewählt haben, doch die bessere Alternative. Aber halt, selbst diese Dame war ja nicht nur für vieles offen, sondern zusätzlich auch (heimlich) "dienstlich" unterwegs.Es gibt halt immer wieder Nahrung für V- Theoretiker.