BERLIN. (hpd) Michael Schmidt-Salomon hatte bereits vor seiner Abreise nach Griechenland, wo er u.a. über sein bei griechischen Linken beliebtes Buch "Keine Macht den Doofen" diskutierte, Stellung zu dem Anti-Singer-Protest in Deutschland bezogen. Nach seiner Rückkehr aus Athen legte der Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung noch einmal nach, wobei seine Kritik an den linken Unterstützern des Protests ungewöhnlich scharf ausfiel.
Gegenüber dem Humanistischen Pressedienst (hpd) erklärte Schmidt-Salomon am heutigen Donnerstagmorgen, dass er insbesondere über die linken Anti-Singer-Kommentare, die ihn in Athen erreichten, schockiert sei: "Leider ist die Linke, wie bereits in den 1990er Jahren, auf die Propaganda christlich-fundamentalistischer 'Lebensschützer' hereingefallen und hat sich vor den Karren extrem rechter Interessengruppen spannen lassen. Offenbar ist es vielen Linken überhaupt nicht bewusst, dass die von Peter Singer vorgenommene Unterscheidung zwischen menschlichen Personen und nicht-personalem menschlichen Leben notwendig ist, um die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs zu legitimieren. Gibt man nämlich die wertende Unterscheidung zwischen den personalen Interessen der Mutter und den nichtpersonalen Interessen des Embryos bzw. Fötus auf, hat dies zur Folge, dass jeder Schwangerschaftsabbruch als 'Mord' eingestuft werden müsste. Genau dies ist das zentrale Anliegen der Gruppierungen, die den Anti-Singer-Protest vor einigen Jahrzehnten initiierten. Es ging und geht ihnen dabei nicht vorrangig um eine Verbesserung der Lebensbedingungen für behinderte oder schwerkranke Menschen (ein Ziel, für das sich bekanntlich auch Peter Singer einsetzt!), sondern um die Rettung des christlichen Menschenbildes sowie um das politische Bestreben, jede Form des Schwangerschaftsabbruchs und der Sterbehilfe zu verbieten (wogegen sich Singers Philosophie entschieden richtet)."
Was die religiösen Strippenzieher des Anti-Singer-Protests eigentlich bezwecken, könne man, so Schmidt-Salomon, leicht erkennen, wenn man die jüngsten Verlautbarungen der Katholischen Nachrichtenagentur lese (wörtlich übernommen von der Springer Presse, siehe "Die Welt") oder sich den einschlägigen Kommentar des konservativen christlichen Journalisten Alexander Kissler im Magazin "Cicero" vor Augen führe: "Hinter dem Anti-Singer-Protest steht eine undifferenzierte, religiöse Position, die versucht, menschliche Selbstbestimmungsrechte mit Verweis auf die angebliche 'Heiligkeit des Lebens' auszuhebeln. Zustimmung zu einer solch rückwärtsgewandten Haltung sollte man eigentlich nur im rechten Spektrum der CSU oder in der Partei der bibeltreuen Christen vermuten. Tatsächlich aber sind erschreckend viele Linke und Grüne der Propaganda der 'Marsch-fürs-Leben'-Aktivsten auf den Leim gegangen, so dass die genuin rechte Anti-Singer-Bewegung hier in Deutschland – anders als in anderen Teilen der Welt – einen vermeintlich 'progressiven' Anstrich erhält. Es ist wirklich beschämend, dass Linke solch reaktionäre Positionen unterstützen und so wenig aus den Debatten der letzten Jahre gelernt haben, dass sie nicht einmal ahnen, welch rechte Gesinnung sie mit ihrem Anti-Singer-Protest bedienen. Allem Anschein nach reichen ein paar grob aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus, um bei einigen Linken einen intellektuellen Kurzschluss auszulösen, der jede Form von kritischer Reflektion schlagartig unterbindet. Hätte ich nicht schon vor einiger Zeit in ‘Keine Macht den Doofen’ über das im politischen Spektrum besonders virulente Phänomen der 'Schwarmdummheit' geschrieben, wäre ich spätestens durch die Vorgänge der letzten Woche auf dieses Thema gestoßen."
Wer für das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und der Sterbehilfe eintrete, der habe tatsächlich gute Gründe, gegen Peter Singer zu protestieren, da Singer als Philosoph die rationalsten Begründungen für individuelle Selbstbestimmungsrechte geliefert habe, sagte Schmidt-Salomon: "Alle anderen müssen Singers Argumenten natürlich nicht in jeder Hinsicht folgen. Aber sie sollten es sich wirklich dreimal überlegen, ob sie als tumbe Marionetten der christlichen 'Lebensschutz'-Bewegung agieren wollen, die in ihrer verabscheuungswürdigen Propaganda nicht einmal davor zurückschreckt, einen linksliberalen säkularen Juden, der drei seiner Großeltern in deutschen Konzentrationslagern verlor, mit Nazivergleichen zu überziehen – angetrieben von der Hoffnung, ihn durch derartige Diffamierungen endlich für alle Zeiten mundtot machen zu können."
14 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Gut gegeben, Michael! Deine deutlichen Worte waren überfällig!
Antihexenjagd am Permanenter Link
Linker Gegenaufruf gegen die Umgangsart von 'Kein Forum für Peter Singer':
http://gegendiehexenjagdaufsinger.blogsport.de/
Elke am Permanenter Link
Es geht Singer doch überhaupt nicht um die Legitimierung von Tötung Behinderter, wie ihm immer vorgeworfen wird.
Sven Schultze am Permanenter Link
"Schwarmdummheit" - falls es so etwas tatsächlich geben sollte - ist komplex und zu ihr gehören wohl auch immer beide Seiten.
malte am Permanenter Link
Ich glaube nicht, dass linke Singer-Kritiker "auf die Propaganda der Lebensschützer hereingefallen" sind.
Wieso Singer gerade in Deutschland auch linke Kritiker auf den Plan ruft, ist doch gar nicht schwer zu erklären: Das Thema "Euthanasie" ist durch die deutsche Geschichte vorbelastet. Ich finde "antifaschistische Reflexe" im Prinzip auch sehr vernünftig, in dem Sinne, dass bei bestimmten Aussagen erst einmal die Alarmglocken läuten. Nur darf man eben bei diesem "Läuten" nicht stehenbleiben, es muss schon eine intensivere Auseinandersetzung folgen - wovon bei den Anti-Singer-Protesten oft nicht die Rede sein kann.
Absurderweise geht der Protest ja diesmal von einer PRO-CHOICE-Initiative aus - also von Leuten die FÜR das Recht auf Abtreibung sind (https://no218nofundis.wordpress.com/). Wie inkonsistent diese Leute argumentieren (sie sind offenbar auch gegen PND und PID) hat Michael Schmidt-Salomon durchaus treffend festgestellt.
Julian Estragon am Permanenter Link
Das ist allerdings haarsträubend. Wenn christliche "Lebensschützer" die PID ablehnen, dann ergibt das wenigstens eine kohärente Position.
Anne Robel am Permanenter Link
Falls es jemand noch nicht weiß, DIE LINKE ruft jedes Jahr zur Gegendemo gegen den absurden Marsch der Lebensschützer in Berlin auf. Also ganz auf den Leim gegangen können sie nicht sein......
Marcel am Permanenter Link
Vieles am geschilderten unfairen Umgang mit Peter Singer erinnert mich an den Umgang so einiger Protagonisten mit Menschen, die sich für Männer und Jungen einsetzen.
kritische Feministin am Permanenter Link
Die immer wieder geäußerte Behauptung, vor allem „Lebenschützer“ würden Singer kritisieren, soll nur die Kritik diskreditieren.
Fun-Fact: Herr Schmidt-Salomon behauptet, dass die von „Peter Singer vorgenommene Unterscheidung zwischen menschlichen Personen und nicht-personalem menschlichen Leben notwendig ist, um die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs zu legitimieren.“
Auch hier machen unserem Propheten, ähh, Philosophen seine Wissenslücken offensichtlich schwer zu schaffen. Aber, wie gesagt, wir helfen gern. Man kann davon ausgehen, dass es einen Unterschied macht, ob wir von einem Fötus in einem anderen Körper oder von einem geborenen Baby sprechen. Wir geben zu, das ist nicht einfach zu begreifen für Herrn Schmidt-Salomon: Einen Unterschied zu machen zwischen einem geborenen Menschen, den man nicht töten darf, und einem ungeborenen Menschen, dessen Leben mit dem der Schwangeren verbunden ist. (Lasst uns jetzt bitte nicht über Spätabbrüche diskutieren, oder wenn: selbst wenn der Fötus schon lebensfähig sein sollte, steckt er immer noch im Körper der Frau, ergo: ihre Entscheidung.) Feministinnen haben sich schon immer auf die Geburt als definitive Grenze bezogen. Das mag manchem Philosophen, die lieber über die „wertende Unterscheidung zwischen den personalen Interessen der Mutter und den nichtpersonalen Interessen des Embryos bzw. Fötus“ nachdenken, etwas platt erscheinen, funktioniert aber sehr gut, es macht einen überhaupt nicht gemein mit „Lebensschützern“ – denen im allgemeinen bei der Lektüre dieses Blogs die Haare zu Berge stehen dürften! Singer und sein gläubiger Anhang finden diese Grenze willkürlich und wollen sie gern weiter hinausschieben. Singer macht auch gar keinen Hehl aus seinem Motiv. Er möchte Eltern und Ärzten die Gelegenheit geben, sich für das Umbringen der Babys zu entscheiden, deren Behinderung man bei der Pränataldiagnostik nicht entdeckt hat oder entdecken konnte… Und man kann durchaus gegen das Abtreibungsverbot sein und trotzdem selektive Abbrüche angesichts des „falschen Geschlechts“ oder des „falschen Körpers“ für ein ernstes Problem halten.
https://no218nofundis.wordpress.com/2015/05/22/zu-michael-schmidt-salomon-und-der-giordano-bruno-stiftung/
malte am Permanenter Link
Den Widerstand Linker auf "Propaganda der Lebensschützer" zurückzuführen, halte ich ebenfalls für verfehlt - siehe mein Kommentar oben.
Was du hier schreibst, ist allerdings noch größerer Unsinn. Du drückst dich darum, anzuerkennen, dass deine eigene Position gar nicht so weit von der Singers entfernt ist. Du meinst, ungeborene Kinder hätten noch kein Lebensrecht, bei Singer gilt das auch noch kurz nach der Geburt. Und dieser letztlich graduelle Unterschied wird jetzt zu einem riesigen Dissens aufgeblasen, der Nazi-Vergleiche und Redeverbote rechtfertigen soll? Natürlich muss man Singers Position in diesem Punkt nicht teilen - das tue ich auch nicht. Aber man sollte zumindest eine argumentative Begründung für die eigene Position liefern. Von dir kommt nur das lächerliche Traditionsargument, dass "Feministinnen das immer schon so gemacht haben".
Und natürlich ist es ein Widerspruch, gleichzeitig für das Recht auf Abtreibung und gegen PID/PND einzutreten. Wenn du der Ansicht bist, dass die Frau das Recht hat, über eine Abtreibung zu entscheiden, dann musst du auch damit leben, dass sie für die Abtreibung vielleicht Gründe hat, die dir nicht gefallen. Was ist denn das für eine Einstellung: "Dein Körper gehört dir - allerdings nur, wenn du meine Weltsicht teilst".
Gabriele Röwer am Permanenter Link
Ich bitte in der allgemeinen Aufregung pro und contra Michael Schmidt-Salomon/Peter Singer auch dies zu bedenken:
Gabriele Röwer
Jörg Hartmann am Permanenter Link
PND/PID doof finden (ob vor oder - wie bei Singer - noch ein paar Tage nach der Geburt) und gleichzeitig gegen Kriminalisierung von Abtreibung sein geht vorzüglich - aber eben nur entweder durch Unterscheidung von per
Jörg Hartmann am Permanenter Link
Einer ganzen Reihe von Leuten, die Singer mit Nazis vergleichen, geht es sowieso nicht um Anti-Ableism sondern um Anti-Anti-Speziesismus.
UNKRAUT am Permanenter Link
Als "unpazifistischer radikaler Linker" erstmal Danke für die Kritik von M.Schmidt-Salomon, denn sich um die Chance der Überprüfung eigener Positionen zu bringen, fördert nicht nur die Selbstgefälligkeits-Sc