Pressekonferenz von Dignitas und DGHS

"Die Freiheit hat gesiegt"

Gestern hatten Dignitas und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) in die Bundespressekonferenz eingeladen, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus der letzten Woche, das Paragraf 217 gekippt hatte, aus ihrer Sicht zu analysieren und neue Möglichkeiten und Wege der beiden Organisationen zu präsentieren.

Aufgrund des Urteils habe es in den vergangenen Tagen einen Ansturm von Neumitgliedern gegeben, verkündete Prof. Robert Roßbruch, Vizepräsident der DGHS, zu Beginn. Auch mehrere Ärzte, die ihre Bereitschaft signalisiert hätten, Suizidassistenz zu leisten, hätten sich gemeldet. Die Entscheidung aus Karlsruhe müsse "als eine Sternstunde des Verfassungsgerichts und des Verfassungsrechts gewertet werden". Sie sei in ihren zentralen Aussagen von historischer Tragweite und werde über die Grenzen Deutschlands hinaus Wirkkraft entfalten: Mit seiner Entscheidung habe das Gericht die derzeit in der Schweiz und den Niederlanden erbittert geführte Debatte über den Alterssuizid in Deutschland vorweggenommen und bereits dem Grundsatz nach beantwortet.

Das Urteil bedeute, dass "ein suizidwilliger Mensch, unter der Voraussetzung, dass sein Suizidwunsch nicht nur vorübergehend und freiverantwortlich ist, auch faktisch die Möglichkeit erhalten muss, ein tödlich wirkendes Betäubungsmittel, zum Beispiel Natriumpentobarbital, erwerben zu können, um sich zur Not mit Hilfe eines Dritten sicher und schmerzfrei suizidieren zu können", so Roßbruch. "Der Staat und die Gesellschaft haben dem Einzelnen, wenn er sein Leben wohlüberlegt und freiverantwortlich beenden möchte, keine Vorgaben darüber zu machen, wann wie und unter welchen Voraussetzungen er dies zu tun hat. (…) Eine Pflicht zur Inanspruchnahme palliativmedizinischer Behandlung besteht ebenfalls entgegen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (…) nicht."

Die DGHS begrüße den Vorschlag des Gerichts ausdrücklich, das Berufsrechts der Ärzte und Apotheker neu auszurichten. Die verfasste Ärzteschaft sei aufgefordert, ihr diesbezügliches Standesrecht nicht nur zu liberalisieren, sondern in eine verfassungskonforme Form zu bringen. "Damit Ärzte und Ärztinnen auch in unserem Land Suizidhilfe leisten können – wenn sie es wollen –, ohne befürchten zu müssen, dass ihnen standesrechtliche Sanktionen drohen". Der Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts über die Zurückhaltung von Natriumpentobarbital beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sei beim Bundesverfassungsgericht noch anhängig, die Entscheidung steht noch aus. Auch beim Betäubungsmittelgesetz werde es eine Liberalisierung geben, schätzt Roßbruch, so dass es möglich sein wird, dieses sicherste und schmerzfreiste aller geeigneten Präparate im Bedarfsfall zu bekommen.

Als nächstes ergriff Ludwig Minelli, der Gründer und Generalsekretär von Dignitas Schweiz, das Wort. An sich sollten Ausländer sich nicht zur Politik im Gastland äußern, findet er, das hier sei allerdings eine Ausnahme: "Es geht um Menschenrechte", die grundsätzlich universal seien. "Ich betrachte meinen Auftritt hier als einen Akt im Bereich der europäischen Innenpolitik." Das Urteil habe ihn gefreut: "Die Freiheit hat gesiegt." Es mache ihn aber auch nachdenklich: "Wie kommt es, dass im November 2015 eine Mehrheit von 360 Mitgliedern des Deutschen Bundestages nicht genügend Gespür hatte für die Werte, für die Grundsätze der Verfassung?" Auch dem damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck habe dieses Gespür gefehlt, als er es abgelehnt habe, dem Bundesverfassungsgericht Paragraf 217 als verfassungsmäßig fragwürdig vorzulegen.

Minelli fühle sich aber auch bestätigt: "Einmal mehr musste und konnte, wie stets in der Geschichte, ein Menschenrecht gegen erbitterten Widerstand der katholischen und in Deutschland auch der evangelischen Kirche durchgesetzt werden." Die Konsequenz aus der Karlsruher Entscheidung solle sein, grundsätzlich einmal Freiheit zuzulassen und nicht sofort wieder ein Gesetz zu machen. Man solle zunächst Erfahrung sammeln und die Forschung in diesem Bereich stärken. Sollte es in der Praxis zu irgendwelchen Ungereimtheiten kommen, könne man sich überlegen, ob gewisse Regulierungen notwendig seien.

Als Dritte sprach Sandra Martino, erste Vorsitzende von Dignitas Deutschland. Das Tabu der Selbsttötung, das durch Paragraf 217 noch wesentlich verstärkt worden sei, führe dazu, dass sich Menschen mit Suizidgedanken nicht trauten, darüber zu sprechen und in der Not zu riskanten Suizidmethoden griffen. "Solange Suizidprävention Angelegenheit von Menschen und Gruppen darstellt, welche den Suizid ablehnen und unbedingt verhindern wollen, wird sich daran nichts ändern. Daher will die DGHS gemeinsam mit Dignitas Schweiz und ihrer Sektion in Deutschland ab jetzt eine ergebnisoffene Beratung zur Suizidversuchsprävention anbieten, in der offen und ohne Angst vor Repressalien über Suizid und Suizidgedanken gesprochen werden kann. Die Beratungsstelle "Schluss.PUNKT" bietet dafür nun eine kostenlose Telefonhotline an. "Denn nur schon das Wissen um die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebensendes gibt betroffenen Menschen die Sicherheit, um in Ruhe sämtliche Optionen, deren Risiken und Konsequenzen, (…) reflektieren zu können."

"Diese Angst vor diesem sogenannten Druck wird von den Gegnern geschürt"

Eine staatliche Regulierungspraxis mit Beratungspflicht und Wartezeiten analog der zum Schwangerschafsabbruch halte er nicht für sinnvoll, antwortete der Jurist Roßbruch einer Journalistin, die nach zu erfüllenden Kriterien für eine Selbsttötung gefragt hatte. Man könne keine statischen Grenzen oder Fristen festsetzen. Es sei ein individueller Prozess, der sich nicht quantitativ festlegen lasse, ergänzte Martino.

Weder eine Demenz noch eine psychische Erkrankung stelle eine Freiverantwortlichkeit automatisch in Frage, das müsse im Einzelfall ein Fachgutachten prüfen, war eine weitere Antwort der Dignitas- und DGHS-Vertreter auf eine Journalistenfrage. Bei Kindern, sollten sie eine Leidensverkürzung verlangen, wo noch keine Freiverantwortlichkeit vorliege, müsse man genau prüfen, über verschiedene Instanzen absichern und mit den Eltern beraten. "Ich sehe keinen Grund, dass ein Kind, das schwer krank ist, (…) länger leiden sollte als ein erwachsener Mensch", so die Vorsitzende von Dignitas Deutschland. Bisher habe es aber keine entsprechende Anfrage gegeben.

Auf die Frage einer Journalistin zu den Kosten angesichts des Vorwurfs der Geschäftemacherei entgegnete der DGHS-Vize, die Beratung sei immer kostenlos und werde durch Mitgliedsbeiträge finanziert. Mit dem jeweiligen Arzt werde es wohl eine freie Vereinbarung geben. Man werde aber darauf achten, dass dies nicht mit Gewinnerzielungsabsicht geschehe, sondern nur die ärztlichen Kosten abgerechnet würden, "das ist für uns das entscheidende Kriterium". "Das Ziel ist eine 'schwarze Null'", ergänzte Sandra Martino. Die Auslagen müssten gedeckt sein, die Möglichkeit einer Freitodbegleitung dürfe aber auch nicht vom Geld abhängen. Bei wirklich bescheidenen finanziellen Verhältnissen müsste das über Quersubventionen und Spendengelder übernommen werden können.

Eine weitere Frage bezog sich auf die Prüfung der Freiverantwortlichkeit: Bei der neuen Beratungsstelle gebe es einen Gesprächsleitfaden; die Berater fragten nach den Gründen für den Sterbewunsch und gingen ihnen auf den Grund, entgegnete die Vorsitzende von Dignitas Deutschland, alle Alternativen müssten dem Sterbewilligen bekannt sein. Minelli fügte hinzu: "In der Schweiz sprechen wir (…) [davon], ob die Urteilsfähigkeit vorhanden ist für einen solchen Schritt." Diese könne man nicht bestätigen, man könne nur bestätigen, dass keine Gründe vorliegen, an ihr zu zweifeln. Im Kindesalter, bei psychischen Störungen oder bei Rauschzuständen müsse man sie näher abklären, ansonsten gebe es keine Zweifel, so regle es das Schweizerische Zivilgesetzbuch.

Die Frage nach der Sorge vor Missbrauch, die seit der Urteilsverkündung wieder vermehrt von Sterbehilfegegnern vorgebracht wird, beantwortete Ludwig Minelli damit, dass es in der 21-jährigen Erfahrung von Dignitas in der Schweiz noch nie vorgekommen sei, dass sie den Eindruck gehabt hätten, jemand sei unfreiwillig zu ihnen gekommen. "Diese Angst vor diesem sogenannten Druck wird von den Gegnern geschürt." Robert Roßbruch ergänzte: "Das sind Behauptungen, aus meiner Sicht entbehrt das jeglicher Evidenz." Empirisch sei das Gegenteil bewiesen.

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