Nachdem bereits Deutschland im Februar dieses Jahres die Sterbehilfe (wieder) legalisiert hat, kippte nun auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in Österreich das bisherige Verbot. Es verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, urteilte der VfGH in Wien. Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasse "sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben", teilten die Richter mit. Die neue Regelung soll zum Jahreswechsel 2021/22 in Kraft treten.
Diese Erkenntnisse sind das Ergebnis einer Verfassungsklage gegen das strafrechtliche Verbot von Suizidhilfe und aktiver Sterbehilfe in Österreich, welche im Auftrag des Vereins DIGNITAS durch die Wiener Anwaltskanzlei ETHOS eingereicht worden war. Der mit dem Verfahren betraute Anwalt Mag. Dr. Wolfram Proksch zeigte sich in einem Interview über das Ergebnis hocherfreut. Ähnlich positiv gestaltete sich auch die Reaktion von Wolfgang Obermüller, Politiksprecher der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL): "Wir sehen die Entscheidung des VfGH als einen historischen Durchbruch. Mit ihr wurde eine zutiefst inhumane Strafbestimmung aus der Zeit des Austrofaschismus aufgehoben. Es ist eine Entscheidung, die schwerkranken Menschen, die nicht mehr länger leiden möchten, das Sterben ein Stück humaner macht."
Im hpd wurde schon mehrfach über die diesbezüglichen Entwicklungen in der Alpenrepublik berichtet (siehe unten). Mehrere Organisationen haben versucht, eine Änderung der gesetzlichen Regelungen herbeizuführen. Der Humanistische Verband Österreichs (HVÖ) etwa produzierte ein Video mit dem prominenten Künstler Josi Prokopetz und der Botschaft: "Das letzte Stamperl trink ich selber."
Am Freitag, den 11. Dezember, also genau am Folgetag des Internationalen Tags der Menschenrechte, um 17 Uhr, verkündete der Präsident des Verfassungsgerichtshofes Christoph Grabenwarter die Entscheidung des Höchstgerichts zum Antrag zur aktiven Sterbehilfe.
Im Rahmen der höchstinstanzlichen juristischen Überprüfung wurden zwei Paragrafen begutachtet, deren Missachtung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren nach sich zieht. Der VfGH hat nun also entschieden, dass zwar "Töten auf Verlangen" (Paragraf 77 StBG) zur Gänze verboten bleibt. Bei dem (aus dem Austrofaschismus stammenden) Paragrafen 78 StGB "Mitwirkung am Selbstmord" bleibt allerdings nur ein Tatbestand, die Verleitung zum Selbstmord, strafbar. Das Verbot der Hilfeleistung zum Selbstmord hat der VfGH nun aufgehoben. Bislang machte sich nämlich schon strafbar, wer Reisen ins Ausland organisierte, damit beispielsweise Verwandte die lokale Sterbehilfe in Anspruch nehmen konnten.
Die Richter kamen zu dem Schluss, dass es verfassungswidrig sei, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Grabenwarter erklärte, dass der Suizidwillige ein Recht darauf habe, Hilfe von einem Dritten in Anspruch zu nehmen. Das gehöre zum selbstbestimmten Sterben dazu. Grabenwarter führte dazu wörtlich aus:
"Dieses Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst das Recht auf die Gestaltung des Lebens ebenso wie das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben. Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst auch das Recht des Sterbewilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen. Das Verbot der Selbsttötung mit Hilfe eines Dritten kann einen besonders intensiven Eingriff in das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung darstellen. Beruht die Entscheidung zur Selbsttötung auf der freien Selbstbestimmung des Betroffenen, so ist dies vom Gesetzgeber zu respektieren."
Der Gesetzgeber wird vom VfGH nun beauftragt, dementsprechende Bestimmungen zu erlassen, welche auch dem Missbrauch dieser Selbstbestimmungsrechte verhindern sollen. Das Jahr 2021 wird von Organisationen wie der ÖGHL und den diversen Verbänden dazu genutzt werden, jene Infrastruktur zu schaffen, welche eine praktische Umsetzung dieser Bestimmungen ermöglicht.
Die Entscheidung des VfGH stellt ohne Zweifel einen Paukenschlag in der österreichischen Justiz dar. Viele Menschen atmen nun erleichtert auf, weil ihnen eine Sorge genommen wurde. Somit ist ganz Österreich glücklich. Ganz Österreich? Aber nein. Es gibt da eine kleine, aber sehr mächtige Gruppe von Menschen, die nicht aufhören wird, hier massiven Widerstand zu leisten.
So ist es nicht verwunderlich, dass die katholischen Bischöfe diese Entscheidung des Verfassungsgerichtes massiv kritisieren: "Jeder Mensch in Österreich konnte bislang davon ausgehen, dass sein Leben als bedingungslos wertvoll erachtet wird – bis zu seinem natürlichen Tod"; diesem Konsens habe das Gericht mit seiner Entscheidung "eine wesentliche Grundlage" entzogen.
Wenn eine kleine antiklerikale Bemerkung am Schluss gestattet ist: Das mit dem Wert des Lebens und dem natürlichen Tod ist gerade bei der katholischen Kirche so eine Sache. Oft genug wurde hier dem Schicksal und der Natur massiv nachgeholfen. Anders formuliert: Das Geschäft der Kirche war seit jeher der Tod, allerdings nicht der freiwillige!
Siehe zum Thema auch folgende hpd-Artikel:
2 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
„Jeder Mensch in Österreich konnte bislang davon ausgehen, dass sein Leben als bedingungslos wertvoll erachtet wird – bis zu seinem natürlichen Tod". So die Bischöfe.
Er hatte ja auch kein Problem damit die Kinder der Ägypter zu töten und fast die ganze Menschheit zu ersäufen. So wertvoll scheint ihm selbst das gesunde Leben, selbst das Leben von Kindern nicht zu sein! Seit wann hat denn die Kirche den Wert des Lebens entdeckt? Sie war immer die, die für die Todesstrafe eingetreten ist.
Riotbert am Permanenter Link
Mit "bedingungslos wertvoll" meinen sie natürlich gegen den Willen der Person, die es nicht mehr lebenswert findet und die trotzdem zum Weiterleben gezwungen werden soll.