Prostitution – ein Beruf wie jeder andere?

Über nur wenige Themen wird so intensiv und emotional debattiert wie über jenes zur (Ent-)Kriminalisierung der Prostitution. Verschiedene Positionen und Modelle zur politischen Handhabung haben dabei ihre eigenen Stärken und Schwächen. Ein Überblick zum internationalen Frauentag.

Der Kauf von Sex betrifft viele gesellschaftliche Bereiche. Er kann auf einer Aggregatebene etwa mittels Statistiken ihm Rahmen soziologischer Untersuchungen betrachtet, aus einer rechtlichen Perspektive unter die Lupe genommen werden oder man greift psychologische Erfahrungswerte bei dessen Bewertung auf. An diese kann man aber auch grundlegende moralische oder ethische Maßstäbe anlegen. Ebenso kann es sich lohnen, individuell auf das Leid oder das Wohl zu blicken, das der Beruf der Prostitution mit sich bringt.

Insofern gibt es eine ganze Reihe von Laien und Expert:innen, die sich zum Teil mit völlig unterschiedlichen Methodiken mit der Thematik auseinandersetzen und politische Akteur:innen über ihre Ansichten oder Arbeiten informieren und entsprechende Veränderungen in die Wege leiten möchten. Zur Disposition im Bereich der Prostitution werden vor allem vier Aspekte gestellt: Inwiefern diese selbstbestimmt stattfindet, wie die Arbeitsbedingungen zu bewerten sind, welche strukturellen Veränderungen welchen Effekt nach sich ziehen und welche Problemfelder durch die verschiedenen Modelle verstärkt oder geschwächt werden.

Verschiedene Interessensgruppen wie etwa die Prostituierten selbst, Berufsverbände, Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und viele mehr kommen hier zu teils ähnlichen, teils jedoch auch völlig unterschiedlichen Bewertungen der Ausgangslage und stellen daher divergierende Forderungen auf. Im Wesentlichen lassen sich alle Ansätze aber entweder der Kategorie der stärkeren Liberalisierung oder aber jener der einschränkenden Vorgehensweise zuordnen. Das Hauptziel ist jedoch überall gleich: den betreffenden Menschen soll es besser gehen als zuvor und im Optimalfall sollen sie gar nicht erst in eine menschenunwürdige Situation kommen.

Das Modell der Liberalisierung

Befürworter:innen der Liberalisierung heben in aller Regel das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und freie Entfaltung der Persönlichkeit hervor, die ihrer Ansicht nach vom Staat zu gewährleisten seien. Keinem Menschen sollten demnach Vorschriften zu sexuellem Verhalten gemacht werden. Wer seinen Körper und seine Intimität anderen zur Verfügung stellen möge, sollte gemäß diesem Ansatz prinzipiell die Möglichkeit dazu haben, wobei auch die Einhaltung bestimmter Vorschriften eine wichtige Rolle spielt.

Die erhofften Effekte für die Prostituierten sind größeres Vertrauen in die Behörden und den Rechtsstaat durch konsequente Ahndung von Straftaten, statt die Tätigkeiten im Rotlichtmilieu generell zu kriminalisieren. Außerdem wird eine Befreiung von einer als ungerechtfertigt angesehenen Stigmatisierung des Berufs durch eine Liberalisierung angestrebt.

Es gibt einige Positivbeispiele, die hierfür herangezogen werden können. So hat etwa Neuseeland seit 2003 ein liberales Prostitutionsgesetz, welches einige Erfolge vorweisen kann: Hygienische Mindeststandards sind dadurch landesweit zur Pflicht geworden und werden regelmäßig durch das Gesundheitsministerium überprüft. Dabei bleibt Prostitution von Minderjährigen genauso verboten wie Zwangsprostitution, ebenso die Tätigkeit in diesem Bereich mit einem vorübergehenden Visum und mit wenigen Ausnahmen die Werbung dafür. Auch Amnesty International setzt sich seit 2015 für ein Konzept der Entkriminalisierung ein und begründet diesen Schritt unter anderem damit, dass sich dadurch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen am ehesten bewerkstelligen ließe.

Auf der anderen Seite gibt es auch Negativbeispiele wie etwa Deutschland. Dort zeigte sich, dass die weitreichende Liberalisierung die bestehenden Probleme nicht gelöst, sondern sie in einigen Bereichen sogar noch verschärft hat. In einem Bericht des Familienministeriums über die Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes fünf Jahre nach dessen Einführung heißt es, dass die soziale Absicherung, die Arbeitsbedingungen, die Ausstiegsmöglichkeiten und die Kriminalitätsbekämpfung sich nicht verbessert hätten.

Aufgrund mehrerer Länder mit einer ähnlich ernüchternden Entwicklung plädieren die Gegner:innen einer Liberalisierung für restriktivere Maßnahmen gegenüber den Freier:innen und Bordellbetreiber:innen. Die Kritiker:innen geben zu bedenken, dass Befürworter:innen der Liberalisierung häufig ein romantisiertes Bild der Prostitution besäßen oder aber die Erfahrungen von einigen Wenigen (meist im gehobenen Preissegment Tätigen) überbewerteten und verallgemeinerten, de facto jedoch für einen sehr großen Teil der Prostituierten üble Arbeitsbedingungen herrschten und sehr oft eben nicht von einer selbstbestimmten Tätigkeit gesprochen werden könne.

Das "Nordische Modell"

Seit dem Jahr 1998 gibt es ein Sexkaufverbot in Schweden. Zwar ist es gestattet, Sex anzubieten, nicht aber, diesen zu erwerben. Dabei werden folglich die Freier:innen kriminalisiert, nicht jedoch die Prostituierten. Diese gesetzliche Regelung, die mittlerweile von Norwegen, Island, Kanada, Nordirland, Irland, Frankreich und Israel übernommen wurde, wird als "Nordisches Modell" bezeichnet. Auch die Europäische Union empfiehlt seit 2014 den Mitgliedsstaaten, die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen zu kriminalisieren und möchte verstärkt gegen Menschenhandel vorgehen, welchem ein enger Zusammenhang mit Prostitution zugeschrieben wird.

Die Argumente, die in den Debatten dafür angeführt wurden, fußten einerseits auf den bereits geschilderten Einwänden gegenüber der Liberalisierung und der häufig mit einer solchen einhergehenden Deregulierung. Andererseits wird aber auch in den Vordergrund gestellt, dass durch die Möglichkeit des Sexkaufs, welcher in großer Mehrheit von Männern in Anspruch genommen wird, suggeriert werde, dass Männer ein wie auch immer geartetes Anrecht auf die Intimität von Frauen besäßen.

Die restriktive Herangehensweise wird auch deshalb unterstützt, weil Liberalisierungen in einigen Ländern zu einem Anstieg von Prostitutionstourismus geführt hat und sich allgemein feststellen lässt, dass in Ländern ohne ein entsprechendes Verbot in einem größeren Umfang Menschenhandel registriert wird. Zudem ist der Ausstieg aus dem vielerorts von Kriminalität geprägten Rotlichtmilieu nur mit enormen Hindernissen möglich. Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes wirbt im Einklang mit diesen Argumentationsführungen für das "Nordische Modell" bei gleichzeitiger Intensivierung der Ausstiegsprogramme.

Die Begründungen für eine Einschränkung gehen meist auf eine Fokussierung auf das erzeugte Leid zurück. Es handele sich demnach bei der Prostitution nicht um eine Art "Gewerbe mit leicht erhöhtem Risikofaktor", sondern um eine wesentliche Triebfeder für Menschenhandel, welche damit einhergehe, dass Frauen in der Prostitution eine zwölf Mal höhere Sterblichkeitsrate aufweisen und ein 18-fach erhöhtes Risiko besitzen, ermordet zu werden – und zwar unabhängig davon, ob sie legal oder illegal tätig sind. Eine Verharmlosung von käuflichem Sex spiele außerdem nur den Zuhälter:innen in die Hände, die falsche Erwartungen weckten. Deshalb wird bei diesem Ansatz über eine Kriminalisierung der Freier:innen auch versucht, eine Sensibilisierung der Gesellschaft über die auch vorhandenen Schattenseiten der Prostitution zu erreichen.

Kritiker:innen werfen dem "Nordischen Modell" allerdings vor, dass durch dieses Prostitution verstärkt im Verborgenen stattfinde und den dort nur schwer staatlich zu erfassenden Menschen kaum bis gar nicht geholfen werden könne. Betroffene würden dadurch nur noch unsichtbarer und ungeschützter als ohnehin bereits. Auch wird moniert, dass es etwa in Schweden für Prostituierte schwieriger geworden sei, sich an die Behörden zu wenden, da diese bei einem Vergehen im Zuge einer Inanspruchnahme von Sexkauf als Mitwissende oder Mittäter:innen betrachtet würden. Außerdem seien verstärkt moralische Hürden vorhanden, Missstände anzuprangern und Unterstützung zu suchen, da durch die Bestrafung von Freier:innen die gesamte Branche stigmatisiert werde. Etwa die Ausstiegshilfe habe zudem mit einem Verbot einen ungleich schwereren Job zu leisten, weil sie die Betroffenen kaum noch erreichen könne.

Darüber hinaus befürchtet die Deutsche Aidshilfe, dass dieses Modell auch weitere Verbote nach sich zöge und dann etwa das Betreiben eines Bordells illegal sei. Zudem führe ihrer Ansicht nach die Kriminalisierung zu einem erhöhten Risiko der Betroffenen, Opfer von Gewalt zu werden und sich sexuell übertragbare Infektionen zuzuziehen.

Deutschland: Ein Dreh- und Angelpunkt für Menschenhandel

Mit Blick auf die Bundesrepublik muss konstatiert werden, dass die Liberalisierung nicht die gewünschten Effekte nach sich gezogen hat – ganz im Gegenteil. Etwa der Menschenhandel wird in Deutschland vornehmlich im Bereich der Prostitution betrieben. Seitdem wir eines der liberalsten Prostitutionsgesetze Europas haben, nehmen Sextourismus und Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung in Deutschland rasant zu. Die Leidtragenden sind dabei fast ausschließlich Frauen. Die Bezeichnung Deutschlands als "Bordell Europas" ist insofern nicht ganz unbegründet.

Ob nun eine Veränderung des Gesetzes hin zu einer Liberalisierung etwa nach neuseeländischem Vorbild oder aber eine, die sich am "Nordischen Modell" orientiert, sinnvoller ist, ist Gegenstand der aktuellen, kontrovers geführten Debatte. Einigkeit besteht allerdings darüber, dass die letzte Anpassung des Gesetzes im Jahr 2017 kein Schritt in die richtige Richtung war, sondern unter anderem eine unnötige Gängelung zur Folge hatte. Zustimmung scheint es ferner aus beiden "Lagern" dafür zu geben, dass über die Politik zu implementierende, neue Rahmenbedingungen unabdingbar sind. Genauso wie ein breiterer gesellschaftlicher Dialog, Aufklärungskampagnen in Schulen und das Benennen von Fakten und Schieflagen. Konsens scheint außerdem darüber zu bestehen, dass es schärferer Kontrollen in den entsprechenden Einrichtungen ebenso wie der Schaffung von mehr Vertrauen in die Behörden bedarf.

Einige Fragen bleiben indes offen: Ist der Verkauf von Intimität wirklich ein Beruf wie jeder andere? Würde es Prostitution in einem mit heute vergleichbaren Maße überhaupt noch geben, sollte es irgendwann ein bedingungsloses Grundeinkommen oder eine andere Form der umfassenden finanziellen Absicherung geben? Und sollten nicht auch weitere Ideen aufgegriffen und diskutiert werden, da es Prostitution – unabhängig davon, für welches Modell sich ein Staat entscheidet – (vorerst) auch weiterhin geben wird?

Ein noch weitestgehend unbeachteter Ansatz beinhaltet einen Führer:innenschein für Freier:innen, der für Sexkäufer:innen zur Pflicht werden soll. Für den Erwerb desselben könnte notwendiges Wissen vermittelt werden, etwa zu den Themen Sicherheit, Hygiene, Rechte und Consent. Bei Verstößen könnte dieser zeitweise und bei wiederholtem beleidigendem oder respektlosem Verhalten dauerhaft entzogen werden, sodass entsprechende Etablissements diesen Personen dann den Zugang verwehren. Auch denkbar wäre die Schaffung eines Anreizsystems, das Freier:innen belohnt, die Missstände den Behörden melden, sodass diese zeitnah und effektiv eingreifen können.

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