Ablösung der Staatsleistungen

Zum Abschied ein Milliardengeschenk an die Kirchen?

Am Montag findet im Innenausschuss des Bundestags eine öffentliche Anhörung über den aktuellen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen statt. Säkulare Experten sucht man unter den eingeladenen Sachverständigen vergeblich. Vertreter kirchlicher Interessen finden sich unter ihnen hingegen reichlich. 

Seit über 100 Jahren besteht der Verfassungsauftrag, die sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen. Vereinzelte Forderungen, diesen Verfassungsauftrag umzusetzen, verliefen in der Vergangenheit stets im Sande, da die Regierungsparteien sich weigerten, das heiße Eisen anzufassen und womöglich eine Verstimmung der Kirchen zu riskieren. 

Vor gut einem Jahr gab es einen erneuten Vorstoß von Seiten der Politik, sich der Sache anzunehmen. Am 13. März 2020 stellten die Oppositionsparteien FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen einen gemeinsamen Entwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen vor. Am 5. November 2020 wurde er in erster Lesung im Bundestag diskutiert und am kommenden Montag ist er (ebenso wie ein entsprechender Gegenentwurf der AfD) Gegenstand einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestags.

Staatsleistungen: Ein teures Relikt aus längst vergangenen Tagen

Seit zwei Jahrhunderten erhalten vor allem die beiden christlichen Großkirchen in Deutschland sogenannte Staatsleistungen. Diese Zahlungen haben nichts mit der Kirchensteuer zu tun und auch nichts mit der öffentlichen Förderung von sozialen Einrichtungen in christlicher Trägerschaft wie Krankenhäusern, Altenheimen oder Kindergärten. Die Staatsleistungen werden ohne jegliche Zweckbindung aus allgemeinen Steuergeldern – und damit auch aus den Steuergeldern von Nicht-Kirchenmitgliedern – vom Staat an die Kirchen gezahlt. Sie gehen zurück auf historische Vereinbarungen, die Anfang des 19. Jahrhunderts getroffen wurden, um die Kirchen für die Folgen der damaligen Säkularisation zu entschädigen. Im Jahr 2020 hatten die gezahlten Staatsleistungen laut Berechnungen der Humanistischen Union einen Umfang von knapp 570 Millionen Euro.

Dass die Kirchen für die Folgen der Säkularisation nach über hundert Jahren Zahlung der entsprechenden Gelder mehr als genug entschädigt seien, fand man bereits 1919. In Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung, der 1949 in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen wurde, legte der Gesetzgeber deshalb folgende Regelung fest:

"Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."

Die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen ist also Sache der Bundesländer, die sie zahlen. Wie sie dabei vorzugehen haben, muss jedoch durch den Bund festgelegt werden. Um ein solches "Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen" handelt es sich nun bei dem von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Gesetzentwurf.

Die Abschaffung der Staatsleistungen an die Kirchen ist schon seit langem eine Kernforderung der meisten säkularen Organisationen in Deutschland. Um verstärkt auf die andauernde Missachtung des Verfassungsauftrags aufmerksam zu machen, gründete sich das Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen (BAStA) und anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des nicht umgesetzten Ablösegebots tourte 2019 eine säkulare Buskampagne durch Deutschland, um auf den Missstand hinzuweisen.

Ein Gesetzentwurf im Interesse der Kirchen

Säkulare Organisationen begrüßen deshalb grundsätzlich den aktuellen Vorstoß, endlich die Abschaffung der Staatsleistungen an die Kirchen einzuleiten. Doch an dem konkreten Gesetzentwurf der drei Oppositionsparteien gab und gibt es deutliche Kritik. Sie entzündet sich hauptsächlich an der immensen Höhe der Ablösesumme, die den Kirchen gezahlt werden soll, um ihnen die Abschaffung der Staatsleistungen schmackhaft zu machen.

Der Gesetzentwurf von Grünen, Linken und FDP sieht vor, dass die Staatsleistungen durch Zahlung von Ablösesummen abgegolten werden sollen, die sich am sogenannten Äquivalenzprinzip orientieren und damit als maximale Höhe das 18,6-Fache der jährlich zu leistenden Zahlungen im Jahr 2020 betragen, welche bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs noch mit 548 Millionen Euro veranschlagt wurden. Hieraus ergäbe sich eine maximale Ablöseleistung von gut 10 Milliarden Euro, die durch einmalige Zahlung, Ratenzahlung oder – durch Verhandlung und Vertrag mit den Kirchen – auch in anderer Form als durch Geldleistungen, also beispielsweise durch das Überschreiben von Grundstücken oder Gebäuden, erbracht werden kann.  

Der Gesetzentwurf sieht ferner vor, dass die Länder innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Grundsätzegesetzes eine geeignete Landesgesetzgebung zur Ablösung der Staatsleistungen zu erlassen haben und dass innerhalb von zwanzig Jahren nach Inkrafttreten des Grundsätzegesetzes die Ablösung abgeschlossen sein muss. Während dieser Zeit fließen neben der Ablösesumme die Staatsleistungen weiter. Dies sei, so die Begründung der Parteien, notwendig, da die Staatsleistungen Pachtersatzzahlungen im weitesten Sinne seien, und müssten deshalb bis zur vollständigen Ablösung weiter an die Kirchen gezahlt werden. Da die Staatsleistungen jährliche Anpassungen nach oben erfahren, bedeutet dies innerhalb der kommenden 20 Jahre weitere 12 bis 14 Milliarden Euro an Staatsleistungen neben der Ablösesumme von gut 10 Milliarden Euro. Bisher an die Kirchen gezahlte Staatsleistungen sollen laut Gesetzentwurf ausdrücklich keine Berücksichtigung finden.

Kritik und Alternativvorschläge säkularer Organisationen

Säkulare Organisationen und Experten, die anders als Kirchenvertreter bei den Beratungen zum Gesetzentwurf nicht hinzugezogen worden waren, kritisieren den Gesetzentwurf und sehen erheblichen Klärungsbedarf. Insbesondere die Ablösesumme sowie die enorme Höhe der Gelder, die bis zum vollständigen Abschluss der Ablösung noch an die Kirchen fließen sollen, stoßen bei ihnen auf Kritik. Sie weisen darauf hin, dass die Kirchen seit über hundert Jahren "überzahlt" worden sind, weil der Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen bereits seit hundert Jahren vom Gesetzgeber missachtet wird. Die Humanistische Union vertritt deshalb die Auffassung, "dass angesichts der geleisteten immensen Zahlungen, die an sich nach dem Grundgesetz schon vor langer Zeit hätten abgelöst werden müssen, eine Ablösungsentschädigung an die ohnehin reichen Kirchen überhaupt nicht mehr in Betracht kommt, auf keinen Fall in dem jetzt vom Gesetzentwurf vorgesehenen Milliardenumfang". Außerdem müsse die Weiterzahlung der Staatsleistungen sofort beendet werden.

Eine alternative Ablösungs-Variante erarbeitete das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) in seinem Änderungsantrag zum vorgestellten Entwurf für das Grundsätzegesetz. Statt der gezahlten Staatsleistungen im Jahr 2020 werden hier als Grundlage für die Berechnung einer Ablösesumme die gezahlten Staatsleistungen im Jahr 1919 genommen – jenem Jahr also, in dem die Ablösung als Verfassungsauftrag festgeschrieben wurde. Im Übrigen, so das ifw, handele es sich bei Staatsleistungen auch nicht um "immerwährende Leistungen", die mit dem 18,6-Fachen des Jahreswertes abzugleichen seien, sondern lediglich um "Leistungen von unbestimmter Dauer", die nur mit dem 9,3-Fachen des Jahreswertes abzugelten seien. Daneben soll es laut Änderungsantrag eine Anrechnung zu viel gezahlter Staatsleistungen auf die jeweilige Ablösesumme sowie keine Fortzahlung der Staatsleistungen neben einer ratenweisen Ablösezahlung geben. Diese und andere Änderungen gegenüber dem Gesetzentwurf von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen begründet das ifw ausführlich und errechnet eine Ablösesumme von lediglich 135 Millionen Euro.

Keine säkularen Sachverständigen – aber viele kirchennahe

Ob der den Mitgliedern des Bundestags bereits im Dezember 2020 zur Verfügung gestellte Änderungsantrag des ifw bei der am kommenden Montag stattfindenden Anhörung des Innenausschusses Beachtung findet, ist allerdings fraglich. Ebenso wie man bereits bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs keine säkularen Organisationen beratend hinzugezogen hatte, sind auch unter den sieben zur Anhörung am 12. April geladenen Sachverständigen keine säkularen Vertreter zu finden. Im Gegenteil – ein Blick auf die Tätigkeiten der aktuellen Sachverständigen lässt bei den meisten sogar eine mehr oder weniger große Nähe zu Religion und Kirche vermuten:

Rechtsanwalt Dr. Michael Adam ist stellvertretender Vorsitzender der Christen in der AfD, Mitglied eines päpstlichen Ordens und setzt sich "privat für die Wahrung der Interessen und vor allem das Überleben der Christen im Heiligen Land ein". Prof. Dr. Claus Dieter Classen ist Verfasser des führenden Lehrbuchs zum Religionsrecht, Vertrauensdozent des Evangelischen Studienwerks Villigst an der Universität Greifswald und kritisierte jüngst die aus säkularer Sicht erfreulichen Urteile des EuGH zum kirchlichen Arbeitsrecht und zur Zulässigkeit eines Schächtverbots. Prof. Dr. Hans Michael Heinig ist Professor für Staatskirchenrecht an der Universität Göttingen sowie Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland. Prof. Dr. Ansgar Hense ist Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands und Prof. Dr. Joachim Wieland, LL. M., Mit-Herausgeber des "Evangelischen Staatslexikons".

Beteiligung säkularer Experten gefordert

Der Koordinierungsrat Säkularer Organisationen (KORSO) kritisiert sowohl, dass der vorliegende Gesetzentwurf von FDP, Linken und Grünen ohne Einbeziehung nicht-kirchlicher, säkularer Gruppen entstanden ist, als auch, dass unter den dazu von den Fraktionen geladenen Sachverständigen keine aus dem säkularen Spektrum gehört werden. "Seit über hundert Jahren erhalten die Kirchen Geldsummen in Milliardenhöhe aus Steuermitteln, die ihnen laut Verfassung nicht zustehen", heißt es in einer Pressemitteilung des KORSO. "Seit 1949 sind auf diesem Wege rund 19 Milliarden Euro an die Kirchen geflossen. (…) Diese Gelder stammen großteils aus Steuermitteln aller Bürgerinnen und Bürger, ungeachtet ihrer Kirchenzugehörigkeit. Betroffen sind auch Angehörige anderer Religionsgemeinschaften und Konfessionsfreie, zusammen also fast die Hälfte aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland."

Auch die Humanistische Union (HU) kritisiert das Nicht-Einbeziehen säkularer Experten. Für sie stellt der Entwurf von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen "prinzipiell keinen sachgerechten und den Anforderungen der Verfassung entsprechenden Lösungsansatz dar", heißt es in einer Stellungnahme der HU vom 7. April. "Er sollte abgelehnt, ein neuer Entwurf sollte nach ausführlicher öffentlicher Diskussion, unter Einbeziehung auch nicht kirchlicher, säkularer Gruppen erarbeitet werden."

Der Bund für Geistesfreiheit (bfg) München hat anlässlich der Anhörung im Bundestag zu den historischen Staatsleistungen am 12. April Kundgebungen vor dem Erzbischöflichen Palais in der Kardinal-Faulhaber-Straße sowie vor dem evangelischen Landeskirchenamt in der Katharina-von-Bora-Straße in München angekündigt. Denn auch bei Michael Wladarsch, Vorsitzender des bfg München, trifft der Gesetzentwurf der drei Oppositionsparteien auf völliges Unverständnis: "Nach über 200 Jahren 'Entschädigungszahlungen' an die Kirchen gibt es zum Abschluss noch eine zweistellige Milliardensumme hinten drauf – eigentlich ein Fall für die Rechnungshöfe der Länder und des Bundes. Zudem könnte der Betrag sogar noch höher werden, wie man von Abgeordneten der Union und der SPD hören konnte, denen der Vorschlag der Oppositionsfraktionen nicht weit genug geht."

Politik im Interesse der Kirchen, nicht in dem der Steuerzahler

Dass dieses Szenario keineswegs aus der Luft gegriffen ist, zeigt ein Aufsatz der am Montag ebenfalls zur Anhörung geladenen Sachverständigen Prof. Dr. Diana zu Hohenlohe in der Zeitschrift für Evangelisches Kirchenrecht. Dort erklärt sie, dass in der Literatur als grober Anhaltspunkt das 25-Fache der jährlichen Staatsleistungen als angemessene Ablösesumme vorgeschlagen wird – was die Geldforderungen des aktuellen Gesetzentwurfs (das 18,6-Fache) deutlich übertrifft.

Allerdings empfiehlt sie in ihrem Aufsatz den Kirchen auch, sich auf eine Ablösung der Staatsleistungen einzulassen, da sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt von der Ablösung profitieren könnten: "Zum einen würden sie Planungssicherheit für die Zukunft erhalten. Sie bekämen eine Summe, mit der sie eigenständig wirtschaften sowie den in den nächsten Jahren auf ihre Haushalte zusteuernden erheblichen Anstieg der Pensions- und Beihilfelasten meistern könnten", so Hohenlohe. Vor allem aber müssten sie nicht mehr befürchten, dass sie "aufgrund einer möglicherweise weiter zunehmenden Kirchenfeindlichkeit in Politik und Gesellschaft irgendwann mit Nichts in den Händen zurückgelassen oder mit beinahe Nichts abgespeist werden".

Dass sich Politiker, die ihr Amt dem Volk und nicht den Kirchen zu verdanken haben, beim Thema Staatsleistungen offenbar nur von Sachverständigen beraten lassen, die primär die Interessen der Kirchen im Blick haben, ist ein Skandal. Aufgabe dieser Politiker wäre es, die Interessen der Steuerzahler zu vertreten und entsprechende Experten zu konsultieren. Doch angesichts der anhaltenden und immer wieder offen zur Schau gestellten Verflechtung von Politik und Religion scheint das eigentlich Selbstverständliche wohl ein höchst unrealistischer Traum zu sein.

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