Selbstbestimmungsbefürworter und Abtreibungsgegner in Berlin auf der Straße

Alle Jahre wieder: Am vergangenen Wochenende war Berlin einmal mehr Schauplatz der Demonstrationen von Menschen, die für das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung eintreten und jenen, die dieses unter dem Argument des Lebensschutzes ablehnen.

Auf der Seite der Selbstbestimmungsbefürworter:innen nahmen nach Angaben des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung 3.000 Menschen an ihrer Kundgebung für die Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch und damit die Entkriminalisierung von ungewollt Schwangeren und Ärzt:innen teil. Diese begann um 12 Uhr auf dem Pariser Platz auf der östlichen Seite des Brandenburger Tors, während sich eine Stunde später auf dem Platz des 18. März auf der anderen Seite des Berliner Symbols die Teilnehmenden des fundamentalistischen "Marschs für das Leben" sammelten, welche Selbstbestimmung vor der Geburt und am Ende des Lebens ablehnen. Laut Bundesverband Lebensrecht waren es 4.500 Personen, die schweigend und mit in diesem Jahr braunen Holzkreuzen durch Berlin Mitte zogen.

"Sie nennen sich Lebensschützer, doch das ist reine Heuchelei. Mit ihren Positionen riskieren sie weltweit das Leben von ungewollt Schwangeren, die keinen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbruch haben. Oder sorgen mit LGBTIQ-freien Zonen für lebensbedrohliche Bedingungen von queeren Personen – wie wir in anderen Ländern leider schon beobachten können", so Silke Stöckle, Sprecherin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung in einer Pressemitteilung. "Dem diskriminierenden Schweigemarsch konnten wir ein lautes und buntes Programm entgegensetzen."

2021 ist das Jahr der Jubiläen – seit zehn Jahren gibt es den Aktionstag für Selbstbestimmung, sexuelle Vielfalt und bunte Lebensentwürfe und seit 150 Jahren besteht der Paragraph 218. Annika Kreitlow von Medical Students for Choice informierte über die strafrechtlichen Folgen für Mediziner:innen und dem daraus resultierenden Versorgungsproblem für ungewollt Schwangere, wenn die Paragraphen 219a und 218 weiterhin im Strafgesetzbuch bestehen bleiben.

Die Abschlusskundgebung informierte über ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland und international. Vertreter:innen der queeren Community informierten über Missstände und Diskriminierung. Darunter George Nebieridze, georgischer Journalist und Aktivist, der über die Situation queerer Menschen in Georgien berichtete. Als internationaler Überraschungsgast war Abortion Pride Activist Aviva Ruiz aus New York vor Ort und performte als "Abtreibungs-Päpstin" "Thank God for Abortion".

Teilnehmende des "Marschs für das Leben" 2021
Teilnehmende des "Marschs für das Leben" 2021, diesmal mit braunen Holzkreuzen. Die Maskenquote war bei diesem Demonstrationszug deutlich geringer als bei den Selbstbestimmungsbefürwortern. (Foto: © Gisa Bodenstein)

Während des Marsches der selbsternannten Lebensschützer, der neben vereinzelten Gebeten in Stille begangen wird, sorgte das queerfeministische Bündnis What the Fuck immer wieder für Zwischenrufe. Der Gegenprotest war mit Sprechchören von "My body, my choice, raise your voice!" oder "Hätt' Maria abgetrieben, wärt' ihr uns erspart geblieben" an unterschiedlichen Punkten des Demonstrationszuges deutlich zu hören. Dabei gab es auch kreative Umsetzungen, etwa einzelne Aktivist:innen, die auf E-Rollern oder Fahrrädern neben dem Zug herfuhren und Parolen skandierten.

Die Polizei positionierte sich zwischen Pro-Life und Pro-Choice-Aktivisten
Die Polizei positionierte sich zwischen Pro-Life- und Pro-Choice-Aktivisten, um die Gruppen voneinander ferzuhalten. (Foto: © Gisa Bodenstein)

Auffallend war die sehr unterschiedliche Bereitschaft, Mund-Nasen-Bedeckungen zu tragen: Beide Demonstrationen fanden unter der Auflage statt, zum Schutz vor dem Coronavirus Masken zu tragen. Doch während in den Reihen der Befürworter reproduktiver Rechte niemand ohne Gesichtsbedeckung zu sehen war, war die Maskenquote unter den Abtreibungsgegnern äußerst lückenhaft. Dies verdeutlichte einmal mehr: Die selbsternannten Lebensschützer sind nur daran interessiert, ungeborenes Leben auf die Welt zu zwingen. Der Schutz des bereits geborenen Lebens, beispielsweise die Bewahrung ihrer Mitmenschen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus, scheint sie weit weniger umzutreiben.

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