Richard Dawkins ruft in den Boxring

Richard Dawkins ist Gegenwind gewohnt. Nun hat der renommierte Evolutionsbiologe sich gleich mit zwei öffentlichen Äußerungen in schweres Wetter begeben. Es geht um die während der Olympischen Spiele aufgeheizte Geschlechterdebatte um zwei Boxerinnen, die Dawkins seinerseits provokativ befeuerte. Und dann sein schwerer Vorwurf: Er werde wegen dieser seiner Meinungsäußerung zensiert. Facebook habe sein komplettes Profil wegen seiner auf einem anderen Kanal (X, vormals Twitter) getätigten Äußerung gelöscht.

Der Anlass: Imane Khelif aus Algerien und Lin Yu-ting aus Taiwan holten in Paris in den Boxwettbewerben ihrer jeweiligen Gewichtsklassen olympisches Gold. Schon vor den Spielen wurde heftig darüber gestritten, ob sie überhaupt hätten antreten dürfen. Laut dem seinerseits umstrittenen Boxweltverband IBA hätten die Boxerinnen keinen für Frauen üblichen XX-Chromosomensatz, sondern XY-Chromosomen. Sie hätten laut IBA "im Vergleich zu anderen weiblichen Teilnehmern Wettbewerbsvorteile". Das für die Ausrichtung der Spiele zuständige Internationale Olympische Komittee (IOC) orientierte sich indes nicht an dem Boxverband, sondern ließ Imane Khelif und Lin Yu-Ting antreten. Dass der Boxverband IBA die beiden von den Weltmeisterschaften 2023 ausgeschlossen hatte, bezeichnete das IOC als eine "willkürliche Entscheidung ohne ordnungsgemäßes Verfahren". Das im Pass angegebene Geschlecht (in beiden Fällen weiblich) sei maßgeblich für die Zulassung zu den Wettbewerben.

Nun kommt Richard Dawkins ins Spiel. Auf dem Kurznachrichtendienst X teilte er ein Bild, das einen Motorradfahrer zeigt, der einer Gruppe Radsportler davonfährt. Darunter der Kommentar: "Motorradfahrer, der sich als Radfahrer identifiziert, gewinnt die Tour de France". Die Botschaft war klar: In Wahrheit seien die beiden männliche Boxer. Und als just kurz nach dem Tweet sein Account auf Facebook nicht mehr erreichbar war, bestätigte Dawkins diese Auslegung denn auch ausdrücklich. Auf X schrieb er: "Mein kompletter Facebook-Account ist gelöscht worden, offenbar (mir gegenüber wurde keine Begründung abgegeben), weil ich auf X getweetet habe, dass genetisch männliche Boxer wie Imane Khalif (unbestritten XY) nicht gegen Frauen bei den olympischen Spielen kämpfen sollten. Natürlich ist meine Meinung offen für einen zivilisierten Streit. Aber unverblümte Zensur?"

Die Sache mit dem Facebook-Account und den Zensurvorwürfen löste sich nach ein paar Tagen in Luft auf. Dass Meta (Eigentümer von Facebook) Dawkins' Account wegen eines Tweets auf einer ganz anderen Plattform gelöscht habe, bestritt Meta. Die Pressesprecherin von Meta verwies darauf, dass der Account von Dawkins offenbar gehackt worden sei. Und dass man Missbrauch verhindern wollte, ihn daher abschaltete. Das habe nichts mit irgendwelchen von Dawkins geposteten Inhalten zu tun. Für Dawkins bestätigte ein Sprecher nur knapp gegenüber hpd: "Die Facebook-Seite ist seit dem 10.8.2024 wieder erreichbar. Richard Dawkins betrachtet die Angelegenheit damit als abgeschlossen." Auf die Frage, was Dawkins zu den Vorwürfen der Boxerinnen sage, dass diese sich durch ihre Bezeichnung als männlich in ihrer Menschenwürde verletzt fühlen, ging der Sprecher jedoch nicht ein.

Imane Kelif und Lin Yu-ting ließen sich nämlich nicht nur für ihre Goldmedaillen feiern, sondern sehen sich auch als Opfer der Debatte. Nabil Boudi, der als Kelifs Anwalt arbeitet, kündigte per Pressemitteilung eine Beschwerde wegen Cybermobbings bei der Pariser Staatsanwaltschaft an. Die Ermittlungen sollen klären, wer, so Boudi, die "frauenfeindliche, rassistische und sexistische Kampagne" initiiert und wer sie angeheizt habe.

Die Auseinandersetzung um geschlechtliche Identität wird vor allem von konservativen Kreisen mittlerweile als eine Art Kulturkrieg geführt. Dawkins findet sich nun auf einmal in einer Reihe von Mitstreitern, in deren Gesellschaft er sich kaum wohl fühlen dürfte. Etwa mit der wegen ihrer Äußerungen zu Transmenschen umstrittenen "Harry Potter"-Autorin J.K. Rowling, mit Tech-Milliardär Elon Musk, der italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni oder auch dem US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Sie alle argumentieren sinngemäß: Seht her, eure Wokeness mit dem Eintreten für jede nur denkbare Minderheit führt dazu, dass Männer nun sogar ganz offiziell Frauen verprügeln dürfen.

Es geht in dieser Diskussion nicht um Menschen, die trans sind und geschlechtsangleichende Maßnahmen (Hormontherapien, Operationen) haben durchführen lassen. Und es ist nachvollziehbar, dass sich Khelif und Lin Yu-ting durch eine weltweit geführte öffentliche Debatte über ihr "wahres Geschlecht" zutiefst verletzt fühlen dürften. Doch ebenso problematisch wäre es auch, über das Thema einfach hinwegzusehen. Dawkins hatte in seinem Tweet die Bemerkung "XY undisputed" in Klammern gesetzt (siehe oben): "unbestritten XY". Damit bezog er sich offenbar auf die Behauptung des Boxweltverbands IBA, die beiden hätten einen männlichen Chromosomensatz – wogegen sie rechtlich nicht vorgegangen sind.

"Wer mehr Testosteron hat, hat höhere Chancen auf einen Sieg"

Angelica Lindén Hirschberg ist Gynäkologie-Professorin aus Stockholm, die sich intensiv mit dem Spitzensport beschäftigt. In einem Interview mit der Zeit kann sie zwar nicht aus eigener Analyse bestätigen, ob die Sportlerinnen mit einem Chromosomensatz mit männlichen Eigenschaften, also XY statt zwei X-Chromosomen, geboren wurden, wie es in seltenen Fällen anzutreffen ist. Wenn es aber so wäre, so sind laut der Expertin diese Konsequenzen denkbar: Betroffene haben mehr Testosteron im Körper, was sich "massiv auf die Muskelmasse und Muskelstärke auswirkt". Auch könne ein hoher Testosteronspiegel aggressiver, risikobewusster und zäher machen. "Wer mehr Testosteron hat, hat höhere Chancen auf einen Sieg."

Nun könnte man sagen, dass es doch auch sonst im Spitzensport körperliche Unterschiede gibt, die gegenüber der Konkurrenz Vorteile bedeuten. Dazu Hirschberg: "Diese Vorteile sind nicht im Entferntesten mit jenen zu vergleichen, die ein zehn- bis zwanzigfach erhöhter Testosteronwert einem verschafft." Hirschberg sagt ausdrücklich nicht, dass Frauen mit XY-Chromosomen keine Frauen seien, es gehe hier nicht um Geschlechtsidentität. Aber gerade bei Kampfsportarten müssten nicht nur Wettbewerbsvorteile bedacht werden, die ein erhöhter Testosteronspiegel mit sich bringe. Es gehe auch um die Sicherheit der Gegnerinnen: "Wenn Frauen gegen Frauen mit einem vermännlichten Körper antreten, dann ist für sie das Verletzungsrisiko erhöht."

Um dem entgegenzuwirken, könnte in solchen Fällen der Testosteronspiegel mit medizinischen Mitteln gesenkt werden. Das mag eine Lösung für den Sport sein, die angeheizte gesellschaftliche Debatte beendet es freilich nicht. Eine Debatte, die bis hin zu der bizarren Position läuft, dass es gar keine biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen gebe und diese nur sozial konstruiert seien.

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