Die Muslimbruderschaft und ihre Netzwerke

Der Arbeitskreis Politischer Islam (AK Polis) hielt im Willy-Brandt-Haus in Berlin eine Veranstaltung über "Die Muslimbruderschaft (MB) – Agenda, Strukturen und politische Antworten" ab. Ziel war die Information von Mandats- und Funktionsträgern und Funktionsträgerinnen der SPD, Fachöffentlichkeit und Medien über den sogenannten Frérismus und seine Netzwerke in Europa. Die Keynote lieferte Dr. Florence Bergeaud-Blackler, Autorin des französischen Sachbuch-Bestsellers "Kalifat nach Plan", welche durch Beiträge weiterer renommierter Fachleute ergänzt wurde.

Am Freitag den 14. September 2025 trafen sich Fachleute, Politik und Medien zu einer Veranstaltung des Arbeitskreis Politischer Islam (AK Polis) im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Vorgestellt wurde der französische Sachbuch-Bestseller "Kalifat nach Plan. Frérismus und seine Netzwerke in Europa" von Dr. Florence Bergeaud-Blackler, die die Keynote hielt. Das Buch wurde vor zwei Jahren in Frankreich veröffentlicht und liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor. Das Buch untersucht den Einfluss der ursprünglich in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft in Europa und der Welt.

Laut Bergeaud-Blackler handelt es sich bei der Ideologie der Muslimbruderschaft (MB), die sie "Frérismus" nennt, um eine Form des reformistischen Salafismus, dem am Ende sein Ziel, die Errichtung eines weltweiten Kalifats, wichtiger sei, als die gelebte Praxis, was zu einer Anpassungsfähigkeit auch in säkularen, westlichen Gesellschaften führe. Grundsätzlich dürfe man nicht den Fehler machen, den Islam für eine Art "Christentum der Araber" zu halten, so Bergeaud-Blackler, da dieser eine Ausrichtung auf sowohl Diesseits, als auch Jenseits hätte. Ziel des Frérismus sei es, die Gesellschaft als ganze Scharia-konform zu machen, was aber nicht bedeute, dass deswegen alle Individuen nach der Scharia zu leben hätten. Dazu habe die MB einen klaren Plan, der aus vier Schritten bestehe: die Bevölkerung demoralisieren, die Gesellschaft destabilisieren, eine Krise auszulösen und aus dieser Krise eine neue Ordnung zu schaffen. Einfluss erhofft die MB sich nicht als Massenbewegung, sondern über eine salafistische Elite, wobei sie eine strategische Allianz mit der politischen Linken eingehe, da sie an deren Konzepte zumindest oberflächlich gut andocken könne. Die MB bediene sich dabei progressiver Sprache, zum Beispiel, wenn es um angebliche Anti-Diskriminierung gehe, nutze diese aber rein strategisch. Ihren Vortrag beendete Bergeaud-Blackler damit, mehr kritische Forschung zu fordern und Journalisten aufzufordern, genauer hinzuschauen.

In den folgenden Paneldiskussionen, kamen verschiedene, vom AK Polis eingeladene Fachexperten zu Wort. PD Dr. Sebastian Elsässer, Leiter des DFG-Projekts "Generationen des islamischen Aktivismus" an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, berichtete über die Bekämpfung der Muslimbruderschaft in arabischen Ländern, wo MB und Regierungen häufig in Konkurrenz um den konservativen Mainstream-Islam der gesellschaftlichen Mitte ständen. Der Islam gelte in diesen nicht säkular organisierten Ländern ganz selbstverständlich als gesellschaftlicher Kitt. Die Religionsvorstellungen der MB würden deshalb in arabischen Ländern auch als Systemkritik verstanden. Getragen werde die MB üblicherweise weder von den Eliten, noch von der Unterschicht, sondern von Menschen mit Aufstiegsambitionen aus der unteren Mittelschicht, oft aus ländlich geprägten Gebieten.

Nina Scholz, Politikwissenschaftlerin, Autorin von unter anderem "Alles für Allah: Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert", berichtete über Ideologische Verbindungen: MB, Hamas und Judenhass. Sie erinnerte daran, dass es sich bei der MB um die größte und einflussreichste Organisation des politischen Islam weltweit handele, deren Utopie, die Wiedererrichtung des Kalifats und eine weltweite Dominanz des Islam sei. Dazu habe die MB auch eine konkrete Strategie zur Infiltration, insbesondere auch westlicher Gesellschaften, entwickelt. Ausdrücklich wies Scholz darauf hin, dass die MB eine Demokratisierung als Angriff auf den Kern des Islam darstelle. Die Ursprünge des Antisemitismus der MB und ihres palästinensischen Ablegers Hamas lassen sich dabei bis in die 1920er Jahre zum NS-Kollaborateur al-Husseini zurückverfolgen. Dieser leitete Angriffe auf autochthone jüdische Gemeinden, während es gleichzeitig Pogrome in Ägypten gab, die von der MB angestachelt wurden. Beides widerlege die These, dass der Antisemitismus von MB und Hamas etwas mit "Siedlerkolonialismus" zu tun hätten.

Des Weiteren referierte Scholz über die Person und Positionen Yusuf al-Qaradawis, des 2022 verstorbenen, meistgesehenen Fernsehpredigers der arabischen Welt. Dieser bezeichnete den Holocaust als Strafe Gottes an den Juden durch Hitler, welche "nächstes Mal durch die Hand der Gläubigen" verübt werden sollte. Qaradawis Bücher seien in allen Moscheen der MB käuflich erwerblich, auch in Deutschland, und lägen auf Arabisch, Türkisch und Deutsch vor. Ihren Vortrag beendete Scholz mit der Forderung, islamistischen Organisationen, auch solchen des legalistischen Islamismus, alle Fördergelder zu entziehen. Weiterhin forderte sie die Politik auf, jegliche Zusammenarbeit zu meiden und stattdessen Lehrstühle und Dokumentationsstellen zu finanzieren. Ein weiteres wichtiges Element im Kampf gegen den legalistischen Islamismus seien insbesondere auch Unvereinbarkeitsbeschlüsse politischer Parteien.

Den nächsten Vortrag hielt der investigative Journalist und Filmemacher, Sascha Adamek, Autor u.a. des Buches "Scharia-Kapitalismus: Den Kampf gegen unsere Freiheit finanzieren wir selbst". Er referierte über "Berlin – Prototyp erfolgreicher MB-Unterwanderung". Ausgehend vom Fallbeispiel der Neuköllner Begegnungsstätte, verwies er darauf, dass es die Berichterstattung unabhängiger Medien schwäche, wenn der Verfassungsschutz MB-nahe Vereine nicht mehr als solche benenne, da man so angreifbarer für Klagen sei. Außerdem verwies er darauf, dass Berlin Katar bei der Finanzierung islamistischer Strukturen inzwischen Konkurrenz mache.

Ähnliches trug Dr. Carsten Frerk, Leiter der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) vor, der über Erkenntnisse und blinde Flecken zur CLAIM-Allianz referierte. Er zeichnete deren Weg von der Gründung des Inssan e.V. 2002 über JUMA (jung, muslimisch, aktiv) bis 2018 zur Gründung der CLAIM-Allianz nach. Besonders auffällig war die Beteiligung eines sehr engen Personenkreises, dessen bekanntestes Mitglied Sawsan Chebli, ehemalige politische Beamtin (SPD) und Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei darstellt. Insbesondere über einen Besuch von Aktiven in den USA bei MB nahen Organisationen ließe sich auch eindeutig ein Bezug zur MB herstellen, bei dem Chebli jedoch nicht anwesend war. Ein Anliegen von CLAIM, so Frerk, sei die Etablierung von "anti-muslimischem Rassismus" als Kampfbegriff um Deutungshoheit.

Der folgende Vortrag über Muslimenfeindlichkeit und Queerfeindlichkeit der MB von Tugay Saraç, Projektleiter der Anlaufstelle Islam und Diversity (AID) an der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin stellte die Frage, wie es sein kann, dass es Vereinen wie DITIB und der Islamische Gemeinschaft Millî Görüş gelungen sei, mit der Politik an einen Tisch zu kommen, der der AfD zu recht konsequent verweigert wird. Er berichtete über Queerfeindlichkeit in der muslimischen Community und den Unwillen der muslimischen Verbände, diese auch nur zu benennen. Er beendete seinen Vortrag mit dem Aufruf an die Politik, nicht auf die falschen Partner zu setzen.

Anschließend referierte Sigrid Hermann, Betreiberin des Watchblogs "Islamismus und Gesellschaft", darüber, was man zum Thema Muslimbruderschaft und "Islamic Relief" wissen sollte. Heiko Heinisch, vom wissenschaftlichen Beirats der Dokumentationsstelle Politischer Islam, die gerade erst ihren Jahresbericht 2024 veröffentlicht hatte, sprach über die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Er erinnerte daran, dass es die größte islamistische Organisation in Deutschland handle, deren Netzwerk sich weltweit von "Japan bis USA und Kanada" erstrecke. Entstanden aus der Ablehnung der kemalistischen Modernisierung der Türkei, sei sie heute "die Moschee-Gemeinde der AKP", deren Ziel es sei, ein osmanisches Kalifat zu errichten. Es bestehe jedoch bereits seit den 1980er Jahren ein Kontakt zwischen IGMG und MB, die sich in der Diaspora auf die Ummah, als gemeinsamen Nenner einigen könnten.

Abgerundet wurde die Veranstaltung durch einen Vortrag von Hartmut Licht, Kriminologe und Leitender Regierungsdirektor a.D. des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hamburg. Er referierte über Vereinsverbote als Instrument und sprach über Hürden und Wirksamkeit. Er betonte, dass Art. 9 GG die Versammlungsfreiheit schon immer mit Grenzen versehen hätte, deren Hürden aber zu Recht hoch lägen. Auch hätten nachrichtendienstliche Behörden immer einen Spagat zwischen Quellenschutz und Offenlegung zu bewältigen. Insgesamt gäbe es Beispiele, wo ein Verbot eher als Erfolg gewertet werden könne, z.B. das Verbot des Islamischem Zentrums Hamburg, und solche, die nicht als Erfolg gewertet werden könnten. In letzterem Fall erwähnt er ausdrücklich das gescheiterte Compact-Verbot als Mahnmal. Auch Licht betont die Notwendigkeit, seitens der Politik Kontakte zu vermeiden und Geldflüsse zu stoppen. Den wichtigsten Hebel gegen legalistische Verfassungsfeinde, und er betont: "Es sind Verfassungsfeinde", sieht Licht jedoch in einer aufgeklärten Zivilgesellschaft.

Zusammenfassend kann man sagen, dass dem Arbeitskreis Politischer Islam (AK Polis) eine höchst informative Veranstaltung gelungen ist, die hochkarätige Fachexperten versammeln konnte. Es bleibt zu hoffen, dass die Ratschläge der Experten auch ihren Weg in die offizielle Politik der Parteien finden. Das Willy-Brandt-Haus als Veranstaltungsort war dafür schon einmal ein Ort, der Hoffnung macht.

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