Die Bundesrechtsanwaltskammer hat ihr Abraten davon erklärt, Suizidhilfe im Nachgang des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 26. Februar 2020 neuerlich zu einem strafrechtlichen Gegenstand zu machen. Bundestagsabgeordneten rät sie zu Nachbesserungen ihrer Regulierungsüberlegungen. Sie weist auf die suizidpräventive Wirkung von Suizidhilfe hin. Allerdings übersieht sie Gefahren, die von Pflichtberatungen ausgehen.
In einer bemerkenswerten Stellungnahme hat die Bundesrechtsanwaltskammer ihr Abraten davon erklärt, Suizidhilfe im Nachgang des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 26. Februar 2020 neuerlich zu einem Gegenstand des Strafrechts zu machen.
Darüber hinaus äußerte die Bundesrechtsanwaltskammer sich zu den Gesetzentwürfen der Bundestagsabgeordneten Helling-Plahr, Dr. Sitte und Dr. Lauterbach einer- sowie Künast und Keul andererseits, wie auch zu jenem aus dem Bundesgesundheitsministerium. In den beiden letzteren erkennt sie eindeutig verfassungswidrige Passagen. Am Entwurf der beiden GRÜNEN-Politikerinnen kritisiert sie in erster Linie, dass zwischen schwerkranken und anderen suizidgewillten Personen unterschieden wird, obwohl das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, dass Krankheit gar keine Voraussetzung ist. Auch könnten Formulierungen dieses Entwurfs Rechtsunsicherheiten für Suizidhelfer vergrößern, anstatt verkleinern. Für Ärzte würde der Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums Rechtsunsicherheit sogar ausdrücklich schaffen.
Nachbesserungsempfehlung für Helling-Plahr, Dr. Sitte und Dr. Lauterbach
Dem Gesetzentwurf von Helling-Plahr et al. legt die Bundesrechtsanwaltskammer hingegen einige Änderungen nahe, mit denen eine Verfassungskonformität durchaus erzielbar sein könnte. Eine neuerliche Regulierung erachtet sie deshalb als sinnvoll, weil Ärzte darin eindeutig verständlich nachlesen könnten, dass Suizidhilfe für sie strafrechtlich unbedenklich ist. Obwohl damit etwas scheinbar erlaubt würde, obwohl es gar nicht verboten ist. Allerdings legt die Rechtsanwaltskammer Wert darauf, dass nichtmedikamentöse Suizidhilfen – insbesondere dann, wenn andere gefährdet würden, etwa durch Schienensuizide – anders behandelt und durchaus mit abschreckend wirkenden Rechtsfolgen belegt werden sollten. Damit unterstützt sie die professionalisierte Suizidhilfe indirekt. Gleichwohl sollen nicht nur Ärzte Suizidhilfe leisten dürfen, allerdings wird es ohne sie keinen Medikamentenzugang geben. Der rechtssichere Medikamentenzugang ist für sie ein weiterer Grund für eine explizite gesetzliche Niederlegung.
Suizidpräventive Wirkung von Suizidhilfe
Die Bundesrechtsanwaltskammer äußerte sich auch zu Ausschlussgründen. So sollte Depression ihr zufolge kein pauschaler Ausschlussgrund sein können. Die Beweggründe einer suizidgewillten Person müssen niemand anderem als ihr selbst einsichtig sein. Aber natürlich können in Erkrankungen allgemein subjektive Gründe liegen. Und eine solche muss auch eine Depression sein können. Die Bundesrechtsanwaltskammer weist überdies darauf hin, dass "psychische Störung" an sich begrifflich zu unspezifisch ist, um ein Ausschlussgrund für Suizidhilfe zu sein. Auch hier könnte per Regulierung geeigneter definiert werden. Daneben vergisst sie erfreulicherweise nicht, darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit einer assistierten Selbsttötung zumindest bedingt suizidpräventiv wirken kann, wie auch schon vom Bundesverfassungsgericht erörtert. Das ist sehr wichtig!
Der Verein DIGNITAS-Deutschland kann die Argumente der Bundesrechtsanwaltskammer nachvollziehen, befürchtet und vermutet aber, dass es Gegnern von Selbstbestimmung über nicht öffentliche Verhandlungen gelingen könnte, doch Einflüsse in ein letztlich erfolgreich verabschiedetes Gesetz einzubringen, das Suizidhilfe in unzumutbarer und inakzeptabler Weise erschweren würde. Nahrung für die Befürchtungen speist sich aus Beispielen wie jenem, dass der Bundesgesundheitsminister ja bereits einmal einen gewissen Adressatenkreis um Einreichung von Vorschlägen gebeten hatte, der nahezu ausschließlich aus Gegnern von Freiheit und Selbstbestimmung am Lebensende bestand. Befürworter von Selbstbestimmung schloss und schließt Jens Spahn als sachverständige Informationsquelle aus.
Gefahren durch Pflichtberatungen mit Verfallsdatum
Nicht einverstanden sein kann DIGNITAS-Deutschland mit Pflichtberatungen sowie erst recht nicht mit begrenzten Haltbarkeitsdaten dann erforderlicher Bescheinigungen. Wenn eine Person befürchten müsste, dass die Möglichkeit, eine Suizidhilfe in Anspruch nehmen zu können, ein Verfallsdatum hat, dann könnte dies zu der Inanspruchnahme führen, obwohl gerade diese Zusicherung sie davon abhält, voreilig einen riskanten Suizid zu verwirklichen. Mit einer solchen Bedingung würde die präventive Wirkung professioneller Suizidhilfe verwirkt. Die Bindungswirkung von einmal geschlossenen Verträgen zugrunde liegenden Willenserklärungen läuft schließlich auch nicht einfach ab, so dass Krankenversicherungen und Ähnliches regelmäßig neu bestätigt werden müssten. Pflichten zur Offenbarung intimster Angelegenheiten im Rahmen solcher Beratungen können in den Augen von DIGNITAS-Deutschland gar nicht hingenommen werden.
Das Risiko einer Regulierung ist größer als jede Chance, denn derzeit funktioniert Suizidhilfe in Deutschland reibungslos.