Interview mit Hamed Abdel-Samad

Zur Demokratie gehört eine freie Diskussionskultur

Sie haben in Ihrer ersten Stellungnahme bei Facebook etwas ironisch geschrieben - ich zitiere: "Ich mag ein seltsames Verständnis von Demokratie haben…" Meinen Sie damit, dass Sie Ihren eigenen Kopf benutzen, um Urteile zu fällen?

Ja. So war ich immer: ich tue etwas oder ich lasse es, wenn ich davon überzeugt bin. Ich bin sehr dankbar für Kollegen und Freunde - und es waren sehr enge Freunde, die sich eingeschaltet haben und ich nehme ihre Ratschläge sehr ernst - aber ich brauchte klare Belege und ich brauchte Zeit, um selbst zu recherchieren.

Wenn man mit wirklich radikalen Menschen diskutiert, gewinnt man manchmal wenigstens neue Erkenntnisse.

Dieser Reflex in Deutschland, sofort für etwas oder dagegen zu sein, macht es schwer. Ich bin seit vielen Monaten nicht mehr in Deutschland und dadurch merke ich: es herrscht hier eine völlig andere Diskussionskultur als in England oder den USA. Ich verstehe die Vorsicht und Befindlichkeit wegen der deutschen Geschichte - aber ich finde, zur Demokratie gehört eine freie Diskussionskultur. Dazu gehört auch, mit Menschen zu diskutieren - auch wenn sie ein merkwürdiges Geschichtsverständnis haben - solange diese Leute sich nicht rassistisch äußern und das nicht politisch umsetzen, was sie über die Geschichte denken.

Das ist mein "seltsames Verständnis" von Demokratie.

Ich mag auch diesen Konsens im Geschichtsverständnis nicht unbedingt. Es mag sein, dass es die richtige Geschichtsauffassung ist - aber das bedeutet nicht, dass andere Menschen nicht anders über die Geschichte denken können. Solange es nicht zur Verherrlichung von Kriegsverbrechen oder Leugnung des Holocaust kommt. Man darf Menschen nicht für ihre Gesinnung bestrafen, sondern für ihr politisches Auftreten und dessen Konsequenzen.
 

Doch gerade dieses Verherrlichen von Kriegsverbrechen geschieht durch die Burschenschaft. Auf deren Facebookseite findet sich zum 70. Jubiläum des Kriegsendes am 8. Mai dieser Text: "Unsere Geschichte kennt keine Befreier. Sie kennt mutige Männer, selbstlose Frauen und Mütter, starke Familien sowie ein stolzes, unerschütterliches Volk. Alliierte Mythen vergessen" ergänzt durch den Kommentar "Unsere Alten haben den Krieg zwar verloren – aber wie! Die ganze Welt hat sich gegen ein kleines Land in Mitteleuropa verbündet, die größten und mächtigsten Länder dieser Erde mussten alles aufbieten, dieses umzingelte Deutschland zu Boden zu ringen. Unter Soldaten zählt der Sieg eine Menge, aber mehr noch zählt der Mut, der Anstand und das Soldatentum des Einzelnen auf dem Gefechtsfeld." Das ist doch deutlich grenzwertig.
Andererseits verstehe ich: Sie wollen nicht den einfachen Weg gehen. Sie haben ja die Burschenschaft dann mit den acht Fragen öffentlich zu einer Stellungnahme gebracht, von deren Beantwortung Sie ihre Entscheidung abhängig machen wollten.

Das hat keiner vorher geschafft. Es war von mir auch nicht bösartig gemeint, sondern ich habe mir zwei Dinge gedacht: wenn die Burschenschaft diffamiert wurde, dann hat sie hier die einmalige Chance, sich öffentlich von diesen Vorwürfen zu befreien und klarzustellen, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes steht.

Es gab zwei Möglichkeiten: entweder waschen sie sich rein und stellen klar, wie sie tatsächlich denken oder sie stolpern und entlarven sich selbst, falls sie tatsächlich keine Demokraten sind. Das Urteil darüber kann jeder für sich selbst fällen - da ich die Fragen und die Antworten öffentlich gemacht habe.
 

Es sind ja tatsächlich nur sieben Antworten auf die acht Fragen…

…die ersten beiden[1] haben sie zusammengefasst. Das fand ich natürlich sehr problematisch. Eine Frage zu Hitler kann man sehr leicht beantworten, wenn man tatsächlich ein Humanist und ein Demokrat ist. Das war ein Stolperstein, den ich nicht vorausgesehen habe.
 

Für mich war auch die Antwort auf die fünfte Frage: "Darf auch ein Deutscher ägyptischer Abstammung Mitglied bei der Burschenschaft Germania Marburg werden?" sehr interessant. Denn in der Satzung der Burschenschaft heißt es: "Um Mitglied werden zu können, muss man männlich sein und dem deutschen Volk angehören."

Das war dann auch für mich die Entscheidung: Wenn sie mir die Frage - so wie geschehen - abschlägig beantworten, dann steht für mich eindeutig fest, dass ich dort nicht auftreten kann. Wenn ich nicht gut genug bin, um in einem Verein mitzumachen, dann bin sich sicher auch nicht gut genug, um bei diesem Verein zu reden. Vor allem nicht zum Thema Islam.

Das haben sie auch verstanden und deshalb kamen sie mit dieser Absage meiner zuvor.
 

Was hätten Sie getan, wenn die Burschenschaft nicht die Veranstaltung von sich aus abgesagt hätte?

Ich hätte dann auf die Antworten des Verfassungsschutzes und des Zentralrats der Juden gewartet. Dann hätte ich das alles ausgewertet.

Wie gesagt; ich neigte dazu, dorthin zu gehen und die richtigen Worte zu wählen. Ich bin nicht dumm. Und ich trete nicht zum ersten mal auf. Ich kann mein Publikum gut "riechen" - beim ersten Ablauf erkenne ich, ob Menschen da sind, die mitdiskutieren wollen, die sich informieren wollen oder die gekommen sind, um sich ein bestimmtes Bild zu bestätigen.

Ich geh mit meinem Publikum entsprechend um und ich dreh den Spieß - wenn nötig - auch um.
 

Es gibt bei dieser Lesereise offensichtlich auch noch eine Veranstaltung bei der AfD im Lauenburgischen. Wie können Sie das erklären? Das ist doch definitiv die politisch andere Seite, mit der Sie da diskutieren wollen...

...ja; warum soll ich nur mit Menschen diskutieren, die meiner Meinung sind? Was macht das für einen Sinn, dass man nur mit Gleichgesinnten spricht? Wie ich schon gesagt habe: Ich rede mit jedem, der auf dem Boden der Demokratie steht, der nicht zu Gewalt aufruft und der auch diskussionsbereit ist.

Die Tatsache, dass ich über den islamischen Faschismus spreche, bedeutet nicht, dass ich nicht auch konstruktiv über Muslime in Deutschland insgesamt rede. Zum Beispiel über die Art und Weise, wie man über sie diskutiert.

Bin ich als Islamkritiker denn unglaubwürdig, wenn ich sage, man kann die Muslime nicht alle über einen Kamm scheren? Es gibt die Ideologie und es gibt den politischen Islam - und es gibt die Mehrheit der Muslime, die im Alltag ihrem Leben ganz normal nachgehen.

Wir sollten nicht immer nur über IS und Al-Kaida sprechen - wir reden hier über Menschen und es gibt einen Unterschied - den ich immer wieder betone - zwischen Ideologie und den Menschen. Das muss man in der Politik berücksichtigen und in der Sprache. Die AfD ist eine zugelassene politische Partei - und eindeutig nicht meine Partei - aber es handelt sich um eine Partei, die öffentlich auftritt, die sich im Augenblick gerade im inneren Konflikt und mitten in einer Richtungsdiskussion befindet. Warum soll ich die boykottieren? Ich kann durch meine Arbeit vielleicht dazu beitragen, dass die Diskussion innerhalb der AfD gesünder verläuft in Sachen Islam.
 

Herzlichen Dank für das Gespräch.
 

Das Interview führte Frank Nicolai für den hpd.
 


[1] Die Fragen lauteten: 1. Ist Hitler für Sie ein Verbrecher und Massenmörder? 2. Wie stehen Sie zum Nationalsozialismus und zum Dritten Reich insgesamt?
Antwort: Da wir keine rückwärtsgewandte Burschenschaft sind, sondern uns mit den Problemen und Themen unserer Zeit beschäftigen wollen, spielen das dritte Reich und Hitler, wie auch allgemein die deutsche Geschichte für uns nur insofern eine Rolle, wie wir daraus realistische Lehren und Handlungsmaximen für unser heutiges Handeln ableiten können. Wir lehnen es ab mit etwas in Verbindung gebracht zu werden oder uns für etwas zu rechtfertigen, das in unserem Selbstverständnis als Burschenschaft, noch für die Lösung unserer heutigen Probleme, einfach keine Rolle spielt.