Replik von Michael Schmidt-Salomon

Ein (gewolltes) Missverständnis?

Daniela Wakonigg hat den Klimaforscher Andrey Ganopolski zu meinem Artikel über den Klimawandel befragt, ihn aber offenkundig nicht korrekt über den Inhalt meines Textes informiert. Dadurch ist der Eindruck entstanden, dass Ganopolski den menschlichen Beitrag zur Verhinderung einer Kaltzeit prinzipiell leugnen würde, was jedoch nicht den Tatsachen entspricht.

In einem Artikel des Wissenschaftsmagazins "scinexx" (der im Unterschied zu dem mir vorliegenden Nature-Fachaufsatz öffentlich zugänglich und somit auch für jeden überprüfbar ist) fasst Andrey Ganopolski das zentrale Ergebnis seiner Untersuchungen folgendermaßen zusammen: "Unsere Studie zeigt, dass bereits relativ moderate zusätzliche CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Öl, Kohle und Gas ausreichen, um die nächste Eiszeit um weitere 50.000 Jahre zu verzögern (…) Unter dem Strich bedeutet dies, dass wir einen kompletten Eiszeitzyklus überspringen, was beispiellos ist (…) Es ist wirklich verblüffend: Der Mensch ist in der Lage, einen der fundamentalen Mechanismen zu stören, die die Welt geformt haben, wie wir sie heute kennen."

Wie aber vertragen sich diese Ausführungen von 2016 mit den Antworten von Ganopolski in dem aktuellen hpd-Artikel? Hat der Forscher seine Meinung etwa komplett geändert? Wohl kaum, denn das würde ja bedeuten, dass er den Einfluss des Menschen auf das Weltklima leugnen würde (wenn der Mensch seit der industriellen Revolution wirksam zur Klimaerwärmung beiträgt, so verhindert er im Umkehrschluss eine Klimaerkaltung). Offenbar wurde Ganopolski in dem Interview bloß der Eindruck vermittelt, ich hätte behauptet, dass er persönlich den Einfluss des vorindustriellen Menschen auf das Weltklima als besonders stark erachten würde. Dies ist aber nicht der Fall. Tatsächlich hatte ich geschrieben, dass er und sein Team in ihrem Nature-Artikel auf "einen möglichen Einfluss des Menschen in der vorindustriellen Zeit" verweisen (nämlich: Ruddiman, W. F. The anthropogenic greenhouse era began thousands of years ago. Clim. Change 61, 261–293 (2003)). Wenig später heißt es in meinem Aufsatz (die in diesem Kontext wichtige Passage ist hier fett markiert): "War der Einfluss des Menschen auf das Weltklima in der vorindustriellen Zeit noch schwach ausgeprägt (weshalb er in der Forschung unterschiedlich bewertet wird), so ist er heute unübersehbar." Vermutlich wurde Ganopolski diese Relativierung ebenso vorenthalten wie meine mehrfachen Hinweise darauf, dass wir heute selbstverständlich wirksame Gegenmaßnahmen zu der "erdgeschichtlich rasanten Klimaerwärmung" einleiten müssen. 

Es wäre besser gewesen, wenn Daniela Wakonigg vor der Veröffentlichung ihres Artikels bei mir nachgefragt hätte, weil man solche Missverständnisse normalerweise in einem vernünftigen Gespräch ausräumen kann. Aber das war allem Anschein nach gar nicht gewollt, was mich ein wenig beunruhigt. Denn dieser Vorfall zeigt ein weiteres Mal, dass wir auch in der säkularen Szene bei manchen Themen nicht rational miteinander diskutieren können, dass auch wir allzu leicht dem Lagerdenken verfallen, dass es auch bei uns allzu häufig nicht um einen gemeinsamen Erkenntnisfortschritt geht, sondern bloß um einen verbissenen Kampf um Sieg oder Niederlage.

Wie dem auch sei: Ich habe nun, um derartige Missverständnisse zu erschweren, auf der gbs-Website eine kleine Änderung an meinem Text vorgenommen. Dort heißt es nun (die Ergänzung ist hier fett markiert): War der Einfluss des Menschen auf das Weltklima in der vorindustriellen Zeit noch schwach ausgeprägt (weshalb er in der Forschung unterschiedlich bewertet wird, Ganopolski & Co. bezeichnen ihn zum Beispiel als "sehr unsicher"), so ist er heute unübersehbar." Wir überlegen derzeit, ob wir dem Forscher vom Potsdam-Institut meinen Klimawandel-Artikel komplett in Englisch vorlegen sollten, so dass er (bei Interesse) selbst darüber urteilen kann. Mich persönlich würde es in diesem Zusammenhang auch sehr interessieren, warum er (im Unterschied zu anderen Forschern) die Folgen einer glazialen Eiszeit als weniger schlimm erachtet als die Folgen einer echten Warmzeit (losgelöst vom Problem der Geschwindigkeit des Übergangs, die ohne menschlichen Einfluss zweifellos sehr viel geringer wäre). 

Übrigens: In der heute auf der gbs-Website veröffentlichten Nachbemerkung zu meinem Klimawandel-Artikel verweise ich auf einen Punkt, der mir im Zusammenhang mit der aktuellen Kontroverse bedeutsam erscheint, da er möglicherweise den Grund für die harten Angriffe offenlegt: Mitunter wurde der vorliegende Artikel so ausgelegt, als wolle er die "Fridays for Future"-Bewegung schwächen, doch das Gegenteil ist der Fall: Es geht darum, den Blick zu weiten, um mögliche Gegenargumente besser entkräften zu können. Hier bietet sich eine Analogie zur Debatte um den politischen Islam an: Progressive politische Kräfte haben eine rationale Kritik am politischen Islam weitgehend tabuisiert, um ja nicht AfD & Pegida in die Hände zu spielen. Aber genau dieses Kritikdefizit hat AfD & Pegida letztlich gestärkt, da sie unter dieser Voraussetzung mit halben Wahrheiten ganze Erfolge erzielen konnten. Ein solcher Fehler sollte uns im Umgang mit Rechtspopulisten nicht noch einmal unterlaufen. Leider aber sieht es in der Klimadebatte momentan genau danach aus, da rationale Argumente, die beispielsweise das unreflektierte Natur- und Menschenbild vieler Ökologiebewegter hinterfragen ("Bewahrung der Schöpfung"), ausgeblendet werden sollen, um die "moralisch gute Sache" nicht zu gefährden (obwohl man sich gerade durch eine moralistische Denkhaltung, die "unschickliche" Tatsachen ausblendet, unnötig angreifbar macht).

Unterstützen Sie uns bei Steady!