Meinung

WARNUNG: Dieser Text könnte Ihre religiösen Gefühle verletzen!

BERLIN. (hpd) Es gibt Zeiten, da beneidet man als Journalist Gernot Hassknecht, den cholerischen älteren Herrn aus der ZDF-Satiresendung heute-show, der brüllend seinen Frust über die Unsäglichkeiten der Gegenwart kundtut. Ein Bedürfnis, das mich in jüngster Zeit angesichts der Unmengen an verletzten religiösen Gefühlen und ihrer heldenhaften Verarztung durch die Justiz mehr als einmal überkam.

Saudi-Arabien hat es schon wieder getan: Ein Mann wurde verurteilt, weil er im Internet die Existenz Gottes geleugnet hat. Einer von vielen verurteilten Atheisten in den letzten Monaten. Und sie werden nicht zu irgendwelchen Pillepalle-Strafen verurteilt, sondern zu so handfesten Dingen wie 10 Jahren Haft und 2000 Peitschenhieben. Manchmal auch zum Tode, die saudische Justiz lässt sich da nicht lumpen. Von der deutschen Politik wird diesbezüglich nicht großartig interveniert. Auch dass in Saudi-Arabien seit 2014 das Äußern atheistischer Gedanken per Gesetz als Akt des Terrors gilt, ist der Politik in Berlin herzlich egal. Meinungsfreiheit? Scheiß drauf! Öl ist wichtiger. Außerdem geht's ja nur um Atheisten. Wären Christen in Not, so wäre in der deutsch-saudischen Diplomatie wahrscheinlich schon längst der Teufel los.  

Kaum war mein Blutdruck angesichts der aktuellen Verurteilung eines Atheisten in Saudi-Arabien gesunken, da wurde ein Fall aus Russland bekannt. Dort steht seit 2013 die Verletzung der Gefühle von Gläubigen unter Strafe. Und diese Gefühle sind verdammt leicht zu verletzen, wie ein 28-jähriger Atheist nach einem Webchat feststellen musste, in dem er die Bibel als Märchensammlung bezeichnet und den Satz "Es gibt keinen Gott" geschrieben hatte. Nach einem Monat Begutachtung in einer psychiatrischen Einrichtung steht der für geistig völlig gesund befundene junge Mann nun vor Gericht. Ihn erwartet eine Strafe von bis zu einem Jahr Haft.

Die weltweit zunehmende Tendenz zur Verfolgung von Atheisten zeigt sich jedoch nicht nur an den jüngsten Beispielen im fernen Russland oder im muslimischen Saudi-Arabien. Auch in Deutschland scheint aktuell die Sorge der Justiz um die Gefühle religiöser Menschen zuzunehmen. Erst im Februar wurde im westfälischen Lüdinghausen ein Mann zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er mit ketzerischen Sprüchen auf der Heckscheibe seines Autos herumfuhr. In Deutschland. Im 21. Jahrhundert.

Freilich steht in Deutschland offiziell nicht das Verletzen religiöser Gefühle als solches unter Strafe, sondern der Verletzungsakt muss auch geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Und dieser scheint in den Augen des Lüdinghauser Gerichts bereits durch den Spruch "Jesus – 2000 Jahre rumhängen und noch immer kein Krampf" massiv gefährdet zu sein. Wer glaubt, dass es bei diesem Urteil tatsächlich um den öffentlichen Frieden ging und nicht um die Verletzung religiöser Gefühle, der glaubt auch an das Christkindchen.

Nur um es noch einmal deutlich zu sagen: In allen hier genannten Fällen haben die Verurteilten niemandem etwas getan, sie haben niemanden geschlagen, niemanden beraubt, gegen niemanden zu Mordexzessen aufgerufen. Sie werden bestraft, weil sie religiöse Gefühle verletzt haben. Oder weil die Möglichkeit besteht, dass sie mit ihren Äußerungen die Gefühle religiöser Menschen verletzen könnten, die sich dann – im Falle der deutschen Gesetzgebung – so sehr echauffieren müssten, dass wiederum die Möglichkeit besteht, dass der öffentliche Friede eventuell gefährdet sein könnte.

Es ist so absurd, dass man aus dem Kopfschütteln kaum heraus kommt. Noch absurder wird es, wenn man bedenkt, wie es gläubige Menschen im Namen von Religionen ihrerseits mit dem Verletzen halten. Sie scheinen ein regelrechtes Faible dafür zu haben. Allerdings eher, was das Verletzen von Körpern betrifft. 

Die entsprechende Liste ist lang und eindrucksvoll. Im Großen reicht sie von den katholischen Inquisitoren des Mittelalters bis zu den Islamisten der Gegenwart, die hinsichtlich ihrer Lieblingsbeschäftigung erstaunliche Übereinstimmungen aufweisen: Dem möglichst brutalen Ermorden von Nicht- und Andersgläubigen. Aber auch im Kleinen hat die Liste etwas zu bieten. Sogar im ganz Kleinen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Kindern im Genitalbereich herumzupfuschen. Nein, ich spreche nicht vom Dauerthema "Missbrauch in der katholischen Kirche", sondern vom kuriosen Ritus, kleinen Jungs ein Zeichen der Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft ihrer Eltern ins Geschlechtsteil einzukerben.

Der neuste Eintrag auf der Liste "Religion und Körperverletzung" stammt übrigens aus Pakistan. Der Rat für islamische Ideologie erklärte dort in der vergangenen Woche ein gerade erst verabschiedetes Gesetz zum Schutz von Frauen vor körperlicher und sexueller Gewalt für unislamisch, da es dem Koran widerspreche.

Und nicht nur das. "Das Gesetz", so ließ der Vorsitzende der größten religiösen Partei Pakistans verlauten, "würde Männer verunsichern".

Wahrscheinlich verletzt es auch ihre religiösen Gefühle.