Grundauffassungen im Parteiprogramm im Übergang zur Verfassungswidrigkeit

Die AfD, der Islam und die Religionsfreiheit

BONN. (hpd) Der Blick in das AfD-Grundsatzprogramm macht deutlich: Die Auffassungen zum Islam und den Muslimen sind nicht wirklich durchdacht und widerspruchsfrei. Einzelne Forderungen laufen gar auf den Übergang zur Verfassungswidrigkeit hinaus.

Bereits vor dem Programmparteitag der "Alternative für Deutschland" (AfD) am 30. April und 1. Mai 2016 wurde intensiv über die genaue Ausrichtung der Partei zum Islam bzw. zu den Muslimen diskutiert. Die Beschlüsse konnte man längere Zeit nicht nachlesen. Denn es dauerte ungewöhnlich lang, bevor der offizielle Programmtext veröffentlicht wurde. Jetzt ist er im Internet auf der Seite der Partei abrufbar. Das Programm enthält fast 100 Textseiten und widmet sich den unterschiedlichsten Politikfeldern. Im 7. Kapitel "Kultur, Sprache und Identität" finden sich in dem Punkt 7.6 "Der Islam im Spannungsverhältnis zu unserer Werteordnung" auch einschlägige Ausführungen (S. 48-50). Sie stehen im Mittelpunkt der folgenden Reflexionen, die nach der Angemessenheit der erwähnten Einschätzungen und nach deren Spannungsverhältnis zu unserer Werteordnung fragen. Die AfD gibt sich nach der erwähnten Formulierung als deren Verteidiger. Gleichwohl fragt sich, wie sie zu bestimmten Grundprinzipien moderner Demokratie selbst steht.

Blickt man in das erwähnte Kapitel, so heißt es dort zunächst: Die AfD bekenne sich "uneingeschränkt zur Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. Sie fordert jedoch, der Religionsausübung durch die staatlichen Gesetze, die Menschenrechte und unsere Werte Schranken zu setzen" (S. 48). Der erste Satz bedeutet, dass die erwähnten Freiheiten, die ja uneingeschränkt seien, eben für alle Bekenntnisse und Glaubensformen gelten sollen. Dies schließt demnach den Islam mit ein. Der zweite Satz betont eine Einschränkung, wenn ein bestimmtes Grundrecht im Namen der Religionsfreiheit aufgehoben werden soll. Diese AfD-Forderung ist indessen bereits gängige Praxis, denn eine absolute Religionsfreiheit kann es nicht geben. Dies würde die Aufhebung von bestimmten Menschenrechten im Namen einer Religion einschließen. Auch Christen dürfen nicht mit Hinweis auf das Neue Testament die Rechte von Ungläubigen einschränken. Die AfD fordert demnach etwas, was eine Selbstverständlichkeit ist – und täuscht damit die Leser über diesen Tatbestand.

Danach heißt es: "Einer islamischen Glaubenspraxis, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unsere Gesetze und gegen die jüdisch-christlichen und humanistischen Grundlagen unsere Kultur richtet, tritt die AfD klar entgegen" (S. 49). Nimmt man diese Formulierung ernst und wortwörtlich, dann ergibt sich daraus, dass es auch eine "islamische Glaubenspraxis" gibt, die sich nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere Gesetze wendet. Aussagen über die Einstellung gegenüber diesen Gläubigen findet man dann aber im folgenden Text nicht. Unklar bleibt hier auch, was mit "gegen die jüdisch-christlichen und humanistischen Grundlagen unserer Kultur" gemeint ist. Es versteht sich von selbst, dass alle Anders- und Nichtgläubigen eine nicht-identische Position zu "jüdische-christlichen ... Grundlagen" einnehmen. Das würde übrigens auch für die humanistischen Auffassungen gelten, weisen sie doch als säkulare Positionen ebenfalls ein Spannungsverhältnis zur christlichen Geschichte und Weltanschauung auf.

Dann heißt es weiter: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" (S. 49). Was genau dies bedeuten soll, bleibt ebenfalls unklar. Ist die Aussage beschreibend oder bewertend gemeint? Angesichts von Moscheen und Muslimen in Deutschland würde die erstgenannte Deutung einer Realitätsverleugnung gleichkommen. Bezogen auf eine normative Interpretation müsste genauer begründet werden, in welchen Auffassungen genau der Islam nicht zu unserem Land gehört. Wenn es wie im vorgenannten Abschnitt um eine Frontstellung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung geht, wäre dies eine angemessene Einschätzung, kann sie doch als "nicht-kontroverser Sektor" in der pluralistischen Gesellschaft gelten. Da aber von den in Deutschland lebenden Muslimen lediglich ein Prozent in islamistischen Gruppierungen organisiert ist, stellt sich die Frage, wie die AfD mit der überwiegenden Mehrheit der Muslime hier verfahren will. Sie dürfte ja dann angesichts der selbst beschworenen Grundsätze mit ihnen eigentlich keine Probleme haben.

Es heißt dann: "Ein Islam, der unsere Rechtsordnung nicht respektiert oder sogar bekämpft und einen Herrschaftsanspruch als alleingültige Religion erhebt, ist mit unserer Rechtsordnung und Kultur unvereinbar" (S. 49). Dieser Auffassung sind aber alle Demokraten, auch die muslimischen Demokraten. Die AfD formuliert dann weiter im Kapitel: "Viele Muslime leben rechtstreu sowie integriert und sind akzeptierte und geschätzte Mitglieder unserer Gesellschaft" (S. 49). Wie können aber diese ihren Glauben leben, wenn der Islam nicht zu Deutschland gehört? Es gibt laut den vorgenannten Ausführungen und Zitate also auch für die AfD eine grundgesetzkonforme Praxis dieser Religion. Wenn man also die Glaubensfreiheit uneingeschränkt allen Menschen zugestehen will, dann würde dies doch auch diese Anhänger des Islam mit einschließen. Wenn man aber erklärt, dass eben dieser Glaube nicht zu Deutschland gehört, dann beschränkt man diskriminierend aber ein Grundrecht für eine bestimmte Menschengruppe aufgrund ihrer Religion.

Dem folgend heißt es dann: "Die AfD verlangt ... zu verhindern, dass sich islamische Parallelgesellschaften mit Scharia-Richtern bilden und zunehmend abschotten. Sie will verhindern, dass sich Muslime bis zum gewaltbereiten Salafismus und Terror religiös radikalisieren" (S. 49). Insbesondere angesichts des letztgenannten Satzes stellt sich die Frage, wer denn nun mit Ausnahme der Islamisten selbst das Gegenteil fordert. Die AfD erweckt den Eindruck, dass es sich hier um ein Alleinstellungsmerkmal ihrer Partei handelt. Tatsächlich steht diese Grundposition für einen breiten Konsens in der demokratischen Mehrheitsgesellschaft und bei den übrigen Parteien. Ähnlich verhält es sich mit dem folgenden Satz: "Religionskritik, auch Kritik am Islam, ist im Rahmen der allgemeinen Gesetze rechtmäßig als Teil des Grundrechts der freien Meinungsäußerung" (S. 49). Der Blick auf Bestsellerlisten und Talkshows macht deutlich: Dort sind regelmäßig Islam-Kritiker präsent – und zwar auch solche mit wissenschaftlich kritikwürdigen Publikationen.

Und schließlich heißt es noch: "Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftssymbol ebenso ab wie den Muezzinruf, nach dem es außer dem islamischen Allah keinen Gott gibt. Minarett und Muezzinruf stehen im Widerspruch zu einem toleranten Nebeneinander der Religionen, das die christlichen Kirchen in der Moderne praktizieren" (S. 50). Zunächst darf hier daran erinnert werden, dass auch laut dem ersten der zehn Gebote, es keinen anderen Gott neben ihm für Christen geben dürfe. Solange diese Auffassung nicht für den gesellschaftlichen, sondern nur für den religiösen Bereich gilt, kann und muss diese eine pluralistische Gesellschaft akzeptieren – sowohl gegenüber Christen wie gegenüber Muslimen. Erst die politische Realisierung und rechtliche Umsetzung derartiger Exklusivansprüche steht im Spannungsverhältnis zu unserer Werteordnung. Denn alle Glaubensinhalte müssen nicht mit dem bestehenden Grundgesetz konform gehen, die gesellschaftliche Lebenspraxis der religiösen Menschen indessen schon.

Ansonsten würde die diesbezügliche weltanschauliche Neutralität des demokratischen Verfassungsstaates negiert. Demnach bewegt sich die AfD selbst mit ihren Positionen zu ihr im Widerspruch. Dies machen auch die Ausführungen zu Minarett und Muezzinruf deutlich. Wie eine Glaubensgemeinschaft seine Gebäude gestaltet und sie ihre Gläubigen anruft, bleibt ihr im Rahmen der Religionsfreiheit selbst überlassen. Gleichwohl kann diese eine Einschränkung erfahren, sofern sie mit anderen Rechten in einem Spannungsverhältnis steht. Mit der erwähnten AfD-Auffassung erfolgt denn auch ein verfassungswidriger Eingriff in das Grundrecht auf Religionsfreiheit, das seine Grenzen nur in allgemeinen Gesetzen findet: Das Baurecht gilt dabei für Kirchtürme wie Minarette, das Emissionsschutzgesetz für Kirchtürme wie Muezzinrufe. Erkennbar soll durch die AfD die Ausübung der Religionsfreiheit unterschiedliche Stellenwerte einnehmen. Diskriminierungen von Muslimen wie Exklusivrechte für Christen verstoßen aber gegen die rechtsstaatliche Wertordnung.

In der Bilanz machen die vorstehenden Erörterungen deutlich: Die im AfD-Programm enthaltenen Grundpositionen zum Islam und den Muslimen sind nicht wirklich durchdacht. Auch immanent, also unter der Annahme einer AfD-Perspektive, sind sie nicht klar und widerspruchsfrei. Darüber hinaus werden die Bezugspunkte und Ebenen kontinuierlich durcheinander geworfen: Mal soll es ganz allgemein um den Islam gehen, mal um einen besonderen Islam; mal geht es um die Glaubensebene, mal geht es um die Rechtsebene; mal geht es um Beschreibungen von Gegebenheiten, mal geht es um die Betonung von Normen; mal geht es um die Mehrheit der Muslime, mal geht es um eine Minderheit unter den Muslimen. In einer bestimmten Frage gibt es indessen durchaus Klarheit: Man will offenkundig Muslimen, weil sie Muslime sind, besondere Rechte zur Religionsausübung absprechen. Damit erfolgt bei der AfD konsequenterweise ein Übergang zur Verfassungswidrigkeit mit einem letztendlichen Widerspruch zu unserer Werteordnung.