In einem bisher unveröffentlichten, vor kurzem aufgenommenen Interview soll sich der ehemalige Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der Bischofskonferenz zu Anschuldigungen geäußert haben, die ihm eine wesentliche Mitschuld an der Vertuschung des Missbrauchsskandals in Oberharmersbach vorwerfen.
Während seiner Amtszeit von 1968 bis 1991 missbrauchte der Pfarrer der Gemeinde Oberharmersbach in Baden-Württemberg dutzende Jugendliche und Kinder sexuell. Robert Zollitsch, zu der Zeit Pressereferent in der Region, machte den Fall weder publik, noch wandte er sich an die Staatsanwaltschaft, als er 1991 von den Missbrauchsfällen erfuhr. Stattdessen wurde der Pfarrer in den Ruhestand versetzt, ehe sich Opfer zu Wort meldeten und die Staatsanwaltschaft schließlich doch noch aktiv wurde. Der Pfarrer nahm sich daraufhin das Leben. Dieser Vorfall trug unter anderem dazu bei, dass die Deutsche Bischofskonferenz selbst eine Studie zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche initiierte.
Nun soll Robert Zollitsch in einem Videointerview über das eigene Versagen und Vertuschen gesprochen haben. Allerdings habe bis jetzt kaum jemand dieses Videointerview zu Gesicht bekommen. Das Interview soll der ehemalige Erzbischof dem Journalistenbüro Crimespot in Hamburg gegeben haben, welches gemeinhin mit dem Namen Bastian Schlüter in Verbindung gebracht wird, der sonst eher für Berichte über Gerichtsprozesse bekannt ist. Der überregionalen Zeitung DIE ZEIT liegt das transkribierte Interview vor.
Natürlich drängen sich mit Blick auf das Interview sofort zwei Fragen auf: Warum gibt Robert Zollitsch dieses Interview? Und warum gibt er dieses Interview erst bzw. ausgerechnet jetzt? Es kann durchaus angenommen werden, dass die in letzter Zeit zunehmenden Vorwürfe der Beteiligung seiner Person in der Vertuschungsaffäre dafür ausschlaggebend waren. Auch der derzeitige Erzbischof von Freiburg, Stephan Burger, erhebt diese Vorwürfe gegen seinen Vorgänger. Gut möglich, dass Zollitsch diesen Beschuldigungen mit dem Interview entgegenwirken oder diese zumindest relativieren wollte.
Denn betrachtet man die Aussagen von Zollitsch genauer, dann wirkt es weniger wie eine aufrichtige Entschuldigung und ein ernstgemeintes Schuldeingeständnis, sondern viel mehr wie eine kontrollierte Entschuldigung pro forma: "Wenn es heute einige Menschen gibt, die mir sagen, ich hätte zur Vertuschung beigetragen, dann muss ich damit leben". Zwar entschuldigt Zollitsch sich auch für das Geschehene und räumt ein, dass er den Täter hätte anzeigen müssen, aber eine direkte Bezugnahme auf die Opfer bleibt weitestgehend aus. Ferner habe er mit seinen 80 Jahren nur noch vor seinem "Gewissen und vor Gott die Verantwortung". Diese Aussage verkennt vollkommen, dass es auch eine juristische und vor allem eine moralische Verantwortung gegenüber den Opfern und für das Geschehene gibt. Zum Schluss behauptet Zollitsch, er "habe nie allein für (sich) entschieden" und "wir waren alle beteiligt". "Mit der Verantwortung und der Vergangenheit müssen ich und die katholische Kirche leben."
In einer ersten Reaktion fragt das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) zurecht die Staatsanwaltschaft, wer mit genau diesem "Wir" gemeint ist. Könnte dies bedeuten, dass der Ansicht Zollitsch nach der katholischen Kirche eine Kollektivschuld zukommt und nicht nur den einzelnen Tätern für sich genommen? Oder ist gar damit gemeint, dass auch noch andere, bisher unbekannte Einzelpersonen wesentlich zur Vertuschung der Fälle beigetragen haben? Dies sind gewiss Fragen, die es genauer zu klären gilt und denen schon viel früher von Kirchenfunktionären wie Zollitsch, der Bundes- und Landesregierungen und der Staatsanwaltschaft hätte nachgegangen werden müssen.
Vgl. auch die heutige Meldung: Half Angela Merkel bei der Vertuschung des Missbrauchsskandals?
17 Kommentare
Kommentare
Heinz König am Permanenter Link
Naja, bei Zollitsch sollte man sich nicht wundern... Kath. Kirche halt.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Die beiden Interview-Links im 2. Absatz ergeben:
Dokument nicht gefunden.
Aber vorstellen kann ich's mir.
"Wir kämen in Teufels Küche, wenn auch nur ansatzweise bekannt würde..." - nee, das war nicht Zollitsch.
Aber ein anderer Bischof; zu einem anderen Thema.
A.S. am Permanenter Link
Die Dokumente finden Sie auf "Zeit online" mit der Stichwortsuche "Zollitsch Interview". Die Beiträge auf "Zeit online" datieren auf den 7.12.18.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das ist ja nett.
Aber eine solche Akkuratesse erwartete ich eigtl. bereits vom Autor des Artikels.
Es ließe sich doch einfach überprüfen, ob ein Link funzt oder nicht.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Und trotzdem funzt die Suche nicht ohne Registrierung; geschenkt.
Marek Nowakowski am Permanenter Link
"Wir waren alle beteiligt"
Ich denke, zutreffender wäre, wenn Herr Robert Zollitsch sagen würde; "Wir sind alle noch beteiligt".
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Ein tolles Wir-Gefühl! Echt christlich, gelle? Wir aber nicht!!
Klaus Bernd am Permanenter Link
Das muss man sich wirklich fragen, wer mit dem „wir“ gemeint ist. Wenn man in der Weihnachtsansprache des Papstes
könnte man auch auf den Gedanken kommen, dass mit dem „wir“ die Schuld auf die „Gesellschaft“ verteilt werden soll.
Nein, Herr Bergoglio, Sie dürfen sich nicht NUR fragen, wie tief es in unseren Gesellschaften und Familien verwurzelt ist, Sie müssen sich auch dem Theodizee-Problem stellen, und zwar in einer verschärften Form: Wie kann es sein, dass dieser Gott der Liebe es zulassen kann, dass Priester (incl. Bischöfe) SEINER Kirche, die er selbst berufen hat, die für sich beanspruchen, höchsten moralischen Ansprüchen (incl. Keuschheit) zu genügen, die gewiss auch darum um Gottes Hilfe gebetet haben, „in dieses Unheil involviert sind“.
Und außerdem behaupten Sie und zumindest ihre europäischen Bischöfe, Priester und gläubigen Politiker immer wieder gern, dass die europäische Kultur eine christliche sei, womit der Vorwurf wie ein Bumerang auf die christlichen Kirchen zurückkommt.
Arno Gebauer am Permanenter Link
Moin,
schwere Fehler der kath. Kirchenorganisation werden stets nach dem selben Muster mittels Kollektivschuld vertuscht.
Ich erinnere nur an die Unterstützung und Installation des Nationalsozialismus durch die kath. Kirche, die dadurch bis in alle
Ewigkeit aus jedem Staatshaushalt und vielen geldwerten Staatsverträgen fürstlich profitiert. Die Schuld der kath. Kirche am und in der Zeit der
NS-Diktatur wurde über die Kollektivschuld reingewaschen!
Unsere Gesellschaft muß entkirchlicht werden, wenn der Mißbrauch
ein Ende haben soll!
Viele Grüße
Arno Gebauer
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Schaut euch nur dieses hinterhältige Schlitzohr an, jetzt versucht er die Schuld seiner Priester und kirchlich involvierten Angestellten auf uns alle abzuwälzen, Das Prinzip kennen wir doch schon irgendwoher.
Mir platzt langsam der Kragen über das andauernde Unrecht welches von diesen frommen
"Menschen" ausgeht und nicht gesühnt wird.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Nicht nur das durch die Priester tausende von Kindern sexuell missbraucht haben und es noch immer ungestraft tun, auch die ach so Gottgläubigen Kirchenfürsten haben in der Geschichte zig tausendmal gegen das fünfte Ge
Aber anscheinend sind diese Tatsachen, den wie Lämmern in die Kirchen laufenden Leuten
scheiß egal. Derartige Wahrheiten werden einfach verdrängt, weil nicht sein kann was nicht sein darf.
Diesen Menschen ist mit realen Fakten nicht beizukommen, die glauben auch noch an Gott, wenn sie selbst auf dem Scheiterhaufen stehen,
G.B.
Wolfgang Stoeth am Permanenter Link
Das leere Geschwätz der Pfaffen bringt uns nicht weiter. Für die wirklichen Probleme unserer Gesellschaft, weder in Vergangenheit noch Gegenwart, haben sie keine Antwort.
Es ist diese Kirche, die sich in den vergangenen Jahrhunderten Macht mit Geld und Reichtum ergaunert hat, mit Herrschenden paktiert und Menschen hat umbringen lassen, die der Kirche im Wege standen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ja, einer davon war Renee Descartes!
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Scheinheiligkeit kennt keine Grenzen!!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Forderung an unsere Regierung: SÄKULARISATION JETZT !!! Wir die Wähler sind nicht mehr länger bereit KINDERSCHÄNDER noch länger über unsere Steuergelder zu finanzieren.
Kay Krause am Permanenter Link
Hallo G.B! Hier mein Rezept, um Ihren (meinen) Wunsch zu realisieren: Man nehme:
1.) aus der Kirche austreten, und somit dieser Institution das Publikum sowie die finanzielle Ausstattung zu nehmen!
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
"Wir waren alle beteiligt" Der Satz trifft nicht zu. Die Reaktion der Kirchenfürsten, nachdem die Skandale aufgedeckt wurden: "Wir sind alle beleidigt!" Das wäre eher die Wahrheit, gelle ?