Notizen aus Polen

Der tödliche Hass

Am 13. Januar 2019, lediglich zwei Monate nach seiner Wiederwahl für die sechste Amtszeit zum Oberbürgermeister von Danzig, wurde Paweł Adamowicz ermordet. Das ruft historische Erinnerungen wach.

Am 16. Dezember 1922, lediglich zwei Tage nach seiner Einsetzung zum ersten Staatspräsidenten Polens nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit, wurde Gabriel Narutowicz ermordet.

Nach der Wahl von Narutowicz hatte ihn die rechtsradikale und nationalistische Presse in zahlreichen Artikeln bedroht und attackiert. Man warf ihm vor, kein "wahrer Pole" zu sein (er wurde in den ehemaligen ostpolnischen Gebieten geboren), nichtgläubiger Immigrant zu sein (als junger Man wohnte er in der Schweiz) und bezeichnete ihn als Freimaurer und Judenknecht (die jüdischen Abgeordneten hatten für ihn gestimmt).

Im Juli 2017 veröffentlichten Mitglieder der polnischen rechtsradikalen Organisation, Młodzież Wszechpolska (MW – Allpolnische Jugend) im Internet die politischen Sterbeurkunden von elf Bürgermeistern von polnischen Großstädten. Darunter war auch Paweł Adamowiczt. Sie wurden zum politischen Tode verurteilt, weil sie sich für Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt hatten.

Einige Tage vor dem Tode musste Paweł Adamowicz erfahren, dass die Danziger Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die "Allpolnische Jugend" wegen "vernachlässigbarer Schädlichkeit der Tat" eingestellt hat. Er wollte Einspruch legen. Dazu kam es nicht mehr.

Paweł Adamowicz hat sich seit vielen Jahren für eine tolerante, freundliche, für alle Minderheiten und Immigranten offene Stadt Danzig eingesetzt. Als erster Oberbürgermeister in Polen schuf er einen Ausländerbeirat. Er wurde deswegen von rechter Seite heftig kritisiert und bekämpft. Sogar seine eigene Partei, die liberale Platforma Obywatelska (Bürgerliche Platform) wollte ihn nicht mehr bei den letzten Kommunalwahlen unterstützen und hat einen eigenen Kandidaten ernannt.

Die regierungsnahen Medien haben die Schuld für das Attentat dem Organisator der Benefizveranstaltung, dem großen "Orchester der Weihnachtshilfe" (WOSP) zugeschrieben und den Täter als psychisch kranken Kriminellen gestuft. Der Gründer und seit 27 Jahren Leiter der WOSP, Jurek Owsiak, hat nach dem Tod von Paweł Adamowicz sein Rücktritt angekündigt. Er sagte, er sei nicht mehr instande, so viel Hass und persönliche Drohungen aushalten.

In allen Großstädten Polens, vor allem in Danzig, versammelten sich am Montagabend unter dem Motto "Stoppt den Hass" tausende Menschen. Die Warschauer marschieren symbolisch zu dem Ort, an dem im Jahr 1922 Präsident Narutowicz ermordet wurde.

Am Mittwoch haben die Parlamentarier im Sejm Paweł Adamowicz geehrt. Präsident Jarosław Kaczyński und seine engsten Mitarbeiter waren dabei nicht im Sitzungssaal. Dies sei – nach den Worten einer Sprecherin der regierenden PiS-Partei – "ganz zufällig". Vorher und nachher waren sie im Sitzungssaal.

Die Nationalisten, die "wahren" Polen und Patrioten freuen sich im Internet, dass es mit Paweł Adamowicz' Tod einen "von den Heimatsverrätern" weniger gebe und drohen anderen demokratischen Oberbürgermeistern mit dem Tod. Die Polizei hat zwei potentielle Attentäter verhaftet.

Wird der Tod von Paweł Adamowicz diesen Hass stoppen? Das ist leider wenig wahrscheinlich. Die regierenden rechtsradikalen Nationalisten und seine Anhänger brauchen Feinde, die an allem Unglück ihres ach so geliebten Vaterlandes schuldig sind. Es gibt in Polen keine Juden mehr, die diese Rolle über Jahrhunderte einnahmen; es gibt auch keine Flüchtlinge, die die Juden in dieser Rolle ersetzen könnten. Es gibt aber Menschen wie den jetzt ermordeten Paweł Adamowicz.

Sein Begräbnis wird am Samstag stattfinden. Viele Kommunen in ganz Polen organisieren Reisebusse für ihre Bürger, die den Danziger Oberbürgermeister verabschieden möchten. Viele zivilgesellschaftlichen Organisationen machen dasselbe. So könnten am Samstag in Danzig unzählige Menschen sein. Und vielleicht geschieht das Wunder und diese Menschen treffen eine Entscheidung gegen den Hass und den Nationalismus.

In diesem Jahr wird es in Polen zwei wichtige Wahlen geben: Die Europawahl und die polnischen Parlamentswahlen. Es wäre wünschenswert, wenn die, die am Wochenende in Danzig dabei sein werden, sich dann noch an Paweł Adamowicz erinnern.