Offener Brief an Parlamentarier in Bund und Ländern: Staatsleistungen endlich ablösen

Ein neutraler Staat für eine freie Gesellschaft

Es kommt derzeit etwas Bewegung in die Diskussion um die Ablösung der Staatsleistungen. Wie zu lesen war, will die FDP "eine entsprechende politische Initiative entwickeln", die AfD fordert ebenso die Einstellung der Zahlungen an die Kirchen, bei Linken und Grünen scheint ein intensiveres Nachdenken einzusetzen.

hpd-Autor Ralf Rosmiarek wird einen Offenen Brief in den nächsten Tagen an die Fraktionen der verschiedenen Parlamente und an einzelne Abgeordnete versenden. Der hpd veröffentlicht den Offenen Brief vorab in voller Länge:

Sehr geehrte Damen und Herren Parlamentarier,

Staatsleistungen: In dubio pro ecclesia, so gefällt es offensichtlich der deutschen Politik, den deutschen Kirchen ohnehin. "Religion tut unserem Land, tut dem gesellschaftlichen Zusammenhalt gut", so die neue CDU-Vorsitzende A. Kramp-Karrenbauer. Gefällt es aber tatsächlich auch dem deutschen Steuerzahler, gefällt es einer mündigen und aufgeklärten Öffentlichkeit des 21. Jahrhunderts, gefällt es Ihren Wählern?

Eine erste Antwort scheint das offensichtlich zu bejahen, denn gegen die ausgezahlten Staatsleistungen an die Kirchen, die von der gesamten steuerzahlenden Öffentlichkeit entrichtet – und eben nicht von Kirchensteuerzahlern erbracht – werden, regt sich nur verhaltenes Murren, von Widerstand mag da nicht zu reden sein. Die Crux aber, damit könnte eine zweite Antwort deutlich anders ausfallen, es weiß in der deutschen Bevölkerung kaum jemand von den Millionen, die sich zu stattlichen Milliarden im Laufe der letzten hundert Jahre summiert haben, die da gezahlt werden. Ohne nötige Informationen kann sich kein Problembewußtsein entwickeln, können somit gesellschaftliche Kontrollmechanismen nicht greifen. Doch mit einer Fokussierung auf die Fakten könnte die Kirchenfinanzierung zu einem Wahlkampfthema reifen, könnte sich die „kritische Masse“ an Bürgern einstellen.

Nach erhobenen Daten von infratest dimap sind 81 Prozent der Bürger dieses Landes für eine klare Trennung von Staat und Kirche und eine weitere Mehrheit der Befragten (58 Prozent) spricht sich gegen die besondere Förderung der Kirchen, in ihrer Rolle als zentrale religiöse Instanzen, aus. Das System der staatlich erhobenen Kirchensteuer lehnen zwei Drittel (64 Prozent) ab. (Für zahlreiche Parlamentarier, so etwa Sigmar Gabriel (SPD), sind diese Zahlen offenbar ohne Belang, zwar bezeichnet er das "Kernanliegen der Laizisten" als "ein völlig legitimes Interesse", kommt dann aber zur Feststellung: "Ist das die Position der SPD? Die klare Antwort darauf ist: Nein".) Ist es nicht auch interessant, wenn das Institut Insa-Consulere in einem Newsletter vom 26. Oktober 2018 mitteilt: 76 Prozent der LINKEN-Wähler und 74 Prozent der AfD-Anhänger sind für eine Abschaffung des staatlichen Einzugs der Kirchensteuer? Es folgen die Wähler der FDP (67 Prozent), der Grünen (66 Prozent) und der SPD (65 Prozent). Immerhin gibts für die Förderung selbst unter Wählern der CDU 54 prozentige Zustimmung.

Es ist an der Zeit, mit einem kritischen öffentlichen Diskurs über die Staatsleistungen und Sonderleistungen für die verfaßten Kirchen zu beginnen. Änderungen am Grundgesetz sind unumgänglich, sie werden primär das Ergebnis einer gesellschaftspolitischen Diskussion sein und nicht allein das Ergebnis von Koalitionsbeschlüssen. Das Bundesverfassungsgericht erinnerte bereits vor Jahren daran, daß gegenüber einer verfassungsrechtlichen Neuordnung die "Berufung auf die Tradition, ja sogar auf eine jahrhundertealte Überlieferung versagt".

Die Politik von Bund und Ländern hüllt sich öffentlich in Schweigen, die Presse, selten genug noch nennt sie sich unabhängig, schweigt zumeist ebenso, Funk und Fernsehen kennzeichnet eine auffallende Zurückhaltung angesichts des Themas. (Kann man angesichts der Besetzung der Rundfunkräte darüber jedoch verwundert sein?) Die Kirchen zeigen sich in Fragen der Finanzen – (da ist man evangelisch wie katholisch sehr beieinander) – sehr diskret und schweigen natürlich. Jahrtausendealte Übung in Vernebelung zahlt sich offenbar aus. Und wie sie sich für die Kirche(n) auszahlte, das sagt die Summe des Jahres 2017 von 523.912.215 Euro, die an Staatsleistungen durch die Bundesländer (mit Ausnahme der Länder Bremen und Hamburg) überwiesen wurde. Für das Jahr 2018 ist nach eben veröffentlichten Informationen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) die Rekordsumme der politischen Schenkung an die Kirchen auf 538.014.642 Euro erhöht worden. Eine Summe, die aber zugleich zeigt, wie die "tiefgreifende Entweltlichung der Kirche" vonstatten geht. Eine Summe, jedenfalls für eine Kirche, "die sich ja dabei – durch die Säkularisierungen – gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößte und wieder ganz ihre weltliche Armut annahm" (so in seiner Freiburger Rede am 25. September 2011 der katholische Oberhirte Joseph Ratzinger, damals unter seinem Künstlernamen Benedikt XVI.). (Die sich sogleich eröffnende Frage, wann sich die Kirche(n) je in "weltlicher Armut" befand, bedürfte ebenfalls einer eingehenderen Betrachtung.) Vielleicht darf man hier sogar ohne Übertreibung formulieren, durch die Säkularisation machte die Kirche das einträglichste Geschäft seit ihrem Bestehen. Denn die Säkularisation ist die vermeintliche Grundlage dieser fortwährenden Zahlungen.

Eingebrockt hat uns Kaiser Napoleon diese "ewige Rente" an die Kirchen, seine Eroberungen deutscher Gebiete mochten die deutschen Fürsten nicht schadlos hinnehmen und so kam es zu "Enteignungen der Kirchen", Aufhebungen von Klöstern. Von interessierter Seite wird nun daraus der Anspruch eines Ausgleiches abgeleitet. Der dabei zur Begründung immer wieder gern herangezogene Regensburger Reichsdeputationshauptschluß von 1803 weiß allerdings von dieser "Entschädigung" nichts. Bei den betroffenen Gebieten handelte es sich "um Lehen im Eigentum des Kaiserreichs", es waren also mitnichten Gebiete im Besitz der katholischen Kirche. Vereinbart wurde damals vielmehr, den Erhalt der Dome zu sichern und eine lebenslange(!) Apanage für den konkret entthronten Herrn zu gewähren. Die katholischen Fürstbischöfe und Fürstäbte vermochten es aufgrund des Zölibats auch nicht, Dynastien auszubilden, amtierten also nur auf Lebenszeit. Und daraus resultiert nunmal recht klar: Damalige befristete Ansprüche können nicht bis in die Gegenwart übertragen werden. Und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verlangt in Artikel 140, wie vormals schon die Weimarer Reichsverfassung in Artikel 138, die Einstellung der Zahlungen an die Kirchen. Es besteht somit ein sehr klarer Verfassungsauftrag. Knapp zwei Billionen Euro Staatsverschuldung (Stand Ende 2018) sollten überdies einen soliden Grund bieten, das Problem nicht weiterhin der Zukunft anzulasten.

Im Interview mit dem christlichen Philosophen Robert Spaemann äußerte sich Joseph Ratzinger hinsichtlich pekuniärer Angelegenheiten: "Wissen Sie, was das größte Problem der Kirche in Deutschland ist? Sie hat zu viel Geld" (Die Welt, 29. September 2011). Sollte hier freiwillige Mäßigung, gar Verzicht auf geldliche Zuwendungen aus dem Staatshaushalt, empfohlen werden? Weit gefehlt! "Wir sind durchaus gesprächsbereit" äußerten sich 2013 zwar die Deutsche Bischofskonferenz als auch die Evangelische Kirche in Deutschland laut Frankfurter Allgemeine (03. September 2013). Das Aber folgte auf dem Fuße: Beide Seiten sehen den Staat in der Pflicht den ersten Schritt zu tun (Verfassungsauftrag) und – die Gesprächsbereitschaft kostet (natürlich). Der Rechtsgrundlagen ist man sich sicher, da historische Tatsachen ignoriert oder rundweg verbogen werden, Verzicht also ausgeschlossen, eine einmalige Abfindung das kirchliche Liebesangebot.

Im Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung heißt es: "Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf." 1949 wurde dieser Ablösebefehl ins Grundgesetz (Artikel 140) übernommen. Somit hat der Bundestag die Aufgabe durch ein Ablöse-Grundsätzegesetz die Regeln für die Beendigung der Staatsleistungen durch Landesgesetze aufzustellen. Die jeweiligen Landesregierungen wären jedoch auch ohne den Bund durchaus handlungsfähig. Eine parlamentarische Anfrage der LINKEN 2013 (Bundestag-Drucksache 18/45) bringt die Rechtsauffassung der Bundesregierung zu Tage: "Die Länder haben – ungeachtet der Höhe der erforderlichen Ablösebeträge – auch ohne ein solches Grundsätzegesetz die Möglichkeit, die Staatsleistungen im Wege des vertraglichen Einvernehmens mit den Kirchen umzugestalten und aufzuheben." Verkürzt heißt das doch nichts Anderes: Weder Bundesregierung noch Bundestag sind für die Landeshaushalte der Länder verantwortlich, noch für deren Staatskirchenverträge. Ein Katz- und Maus-Spiel zwischen Bund und Ländern um Verantwortlichkeiten ist wenig hilfreich. Zu Bedenken ist ferner, selbst wenn es zwingend dieses Grundsätzegesetz bräuchte, könnte die Initiative dazu über den Bundesrat auch von den Ländern ausgehen. So haben die Länder Anspruch darauf, daß der Bund seine Pflicht zum Erlaß eines Grundsätzegesetzes (nach Artikel 138 II WRV) erfüllt, der Verstoß ließe sich verfassungsgerichtlich feststellen.

Vielleicht sollten endlich laut und deutlich auch Fragen an die Kirchen gestellt werden. Fragen, die zu Antworten zwingen und darüber nachdenken lassen, auf welche Grundlagen die Glaubenskonzerne ihre Forderungen eigentlich (noch immer) stellen (wollen). Und sehr gerne dürfen Sie es sein, die Abgeordneten von Bund und Ländern, die diese Fragen auch stellen, damit die Umsetzung des Verfassungsauftrages nicht weiterhin auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Der Religionssoziologe Horst Herrmann fragte zudem bereits 1993: "Gilt die Millionenzahl der Konfessionslosen als staatsbürgerliche Bagatelle? Werden Kirchenfreie nur als tumbe Masse mit der Verpflichtung, unbesehen Milliarden an die Kirchen zu zahlen, betrachtet? Bleiben Nichtchristliche gegenüber Katechismus-Hörigen Bundesbürger zweiter Klasse?" Die Fragen sind leider noch immer tagesaktuell.

Die Kirchen verlieren in Deutschland jährlich zigtausende Mitglieder, der Trend ist anhaltend. Wenige Jahre noch, dann schrumpft der katholische und evangelische Bevölkerungsanteil unter 50 Prozent. Woher nehmen die Kirchen sich also das Recht, den deutschen Bürger (weiterhin) zur Kasse zu bitten? Zur Untermauerung sei auf zwei veröffentlichte Studien des Jahres 2018 verwiesen: Meinungsforscher des US-amerikanischen Pew Research Center ermittelten, daß nur 11 Prozent der Deutschen die Religion noch für eine wichtige Sache in ihrem Leben halten. Beten ist lediglich für 9 Prozent tägliche Prozedur und ganze 10 Prozent der Befragten sind absolut sicher, daß Gott existiert. Nachgerade erschreckend dürfte es für die Kirchen sein, blickt man auf die zweite Studie, die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegeben und von derem Sozialwissenschaftlichen Institut veröffentlicht wurde. Unter den Befragten der Altersstufe von 19 bis 27 Jahre geben lediglich noch 19 Prozent an, religiös zu sein. Besonders beachtenswert dabei, 58 Prozent der Anhänger der evangelischen Konfession und 51 Prozent der römisch-katholischen bezeichnen sich selbst als "nicht-religiös". Wird von den Verfassern einleitend festgestellt: "Alle Analysen zeigen eine lineare Abnahme kirchlicher Verbundenheit, selbst eingeschätzter Religiosität, Häufigkeit religiöser Praxis sowie religiöser Erziehung mit abnehmendem Alter der Evangelischen", heißt es unumwunden im Resümee: "Es ist eine – vielleicht die erste – wirklich postchristliche Generation. Gott ist weitgehend verschwunden."

Auch die Historie vermag den Blick zu schärfen, "wie gut Religion tut". Milliarden um Milliarden – wozu und für wen? Das ganze Abendland "geschenkt" hat – nach einem weiteren frommen Märchen – Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert unserer Zeit dem Papst Silvester I. (314–335). Die gefälschten Dokumente zu dieser "Schenkung" fügte im 8. Jahrhundert der Klerus aus Rom hinzu. Im 19. Jahrhundert mußte der Vatikan den Schwindel dann auf Druck eingestehen, doch die Ländereien und Güter behielt man. Noch ein weiterer Blick in die Kirchengeschichte: Im Jahre 1349 gab es eine Vernichtungsorgie an jüdischen Einwohnern in mehr als 350 deutschen Städten und Dörfern. So wurden in Nürnberg die Häuser der Ermordeten beschlagnahmt, wie ihr Vermögen. Der Bischof von Bamberg kassierte kräftig, in seiner eigenen Stadt übernahm er nahezu vollständig die Immobilien. Neben den Juden brannten freilich auch Hexen und Ketzer, Frauen wie Männer. Wer hält sich wohl schadlos? "Ihr Hab und Gut verfällt dem Fiskus Ihrer Fürstlichen Gnaden des hochwürdigsten Herrn Marquard Bischofs zu Augsburg und Dompropstes zu Bamberg", lautete die Beschlußformel unter den Todesurteilen. Jüdisches Vermögen löste immer klerikale Reiz- und Neidzustände aus, so hatte 1931 Oberhirte Michael Buchberger von Regensburg sein Auge auf das "übermächtige jüdische Kapital" geworfen, ein "Unrecht am Volksganzen" natürlich. Der Vertreter der deutschen Bischöfe bei der Reichsregierung, Hermann Wilhelm Berning, ließ sich im April 1933 von Adolf Hitler unterrichten: "Die katholische Kirche hat fünfzehnhundert Jahre lang die Juden als Schädlinge angesehen, sie ins Getto gewiesen … Ich gehe zurück auf die Zeit, was man fünfzehnhundert Jahre lang getan hat … und vielleicht erweise ich dem Christentum den größten Dienst". Der Preußische Staatsrat und Bischof von Osnabrück protestierte nicht, schickte Hitler vielmehr – ("als Zeichen meiner Verehrung") – sein Machwerk "Katholische Kirche und Deutsches Volkstum" und unterschrieb stets "Mit deutschem Gruß und Hitler Heil!". Die Protestanten wollten sich über die Deutschen Christen bis zum Pfarrernotbund nicht ausnehmen: "Wir sagen Ja zum Hakenkreuz!" – Grund also für moralisches Blähen und pekuniäre Forderungen seitens der Kirche?

Und schon wieder wird die Öffentlichkeit belehrt, "(d)as Kreuz ist auch ein Symbol für unsere Traditionen gerade hier in Europa. Das sind unsere Werte, für die wir uns nicht schämen müssen, im Gegenteil, für sie einzutreten und sie zu verteidigen (sic!)", so Erzbischof Peter Stefan Zurbriggen, offensichtlich grammatikalisch etwas verwirrt, am 'Tage des Dankes' in der Zisterzienserabtei Stift Heilgenkreuz (BR24). Recht behält er allerdings mit seiner Äußerung, "das ist eine Schande! Das darf man nicht annehmen". Denn sind da nicht unlängst oder gerade eben wieder Gestalten von "hoher Moral und Ethik" in den öffentlichen Fokus gerückt: Walter Mixa (Kindesmißhandlung, Verschwendung), Franz-Peter Tebartz-van Elst (Verschwendung), George Pell (Kindesmißbrauch, Verdunkelung), Francisco Errazuriz (Verdunkelung), Oscar Rodriguez Maradiaga (Verschwendung, Veruntreuung)? Zwanzig Millionen Euro mußte die Evangelische Kirche des Rheinlandes in die Hand nehmen, um 2011 die Beihilfe- und Bezüge-Zentrum GmbH vor der Pleite zu bewahren (Deutschlandfunk). Geld freilich "aus einer Rücklage". Wer mag wohl zur Kasse gebeten worden sein, auch für diese Rücklage? Die nordelbische Kirche führte von 1993 bis 2012 insgesamt 16 Disziplinarverfahren gegen 14 Pastoren durch. Ihnen wurden sexuelle Handlungen an Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen im Rahmen der Seelsorge vorgeworfen. Die Taten, die von Belästigungen bis hin zum Mißbrauch reichen, geschahen zwischen 1973 bis 2011 und sind in vielen Fällen strafrechtlich verjährt…

Das rufe man sich immer wieder in Erinnerung und schiebe die Abwiegelungs- und Reuerhetorik(en) der christlichen Kirchen, der freilich nie oder selten Taten der Wiedergutmachung, der Entschädigung folgten, in den Orkus. "daß Religion für die Demokratie unerläßlich sei" schallt es uns klerikal immerfort entgegen. "Pluralistisch" ist man neuerdings, will "lebensnotwendig" im demokratischen Umfeld sein, zeitgemäß somit und immer im Verbund mit diesem, von zahlreichen Politikern beschworenen, ominösen "Mehrwert" für die Gesellschaft. Sollte es Sie, werte Volksvertreter, nicht endlich zu Reaktionen veranlassen, wenn Sie auf der Internetseite des Paderborner Priesterkreises Communio veritatis (14. Januar 2019) lesen müssen: "Wir erinnern daran, dass die Kardinalsfarbe Rot nicht die Flagge eines Neo-Marxismus meint, sondern die Verteidigung des katholischen Glaubens bis zum Blutvergießen?" Weiß und lernt man endlich, wessen Geistes Kind die Religionen sind? Vergessen Sie auch nicht, daß sich die Demokratie ohne Zutun des Christentums entwickelte, die Griechen hatten schlicht keine Ahnung von Jesus. Die politischen Zeichen, die Sie hingegen senden, stehen derzeit eher dafür, das "historisch gewachsene kooperative Modell" zwischen Staat und Kirche weiterzuentwickeln, als dem Verfassungsgebot und dem Willen der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Historisch wachsen konnte diese "Kooperation" freilich allein durch die politische Untätigkeit. Da jedoch mit dem Grundirrtum des Jesus: "Ich sage euch aber wahrlich, daß etliche sind von denen, die hier stehen, die den Tod nicht schmecken werden, bis daß sie das Reich Gottes sehen" (Lukas 9,27) – ein fundamentaler Irrtum, eine fundamentale Lüge. Religionskritik ist hier unumgänglich –, das Fundament verdorben ist, kann es auch keinen solchen "Mehrwert" für eine (aufgeklärte) Gesellschaft geben.

Diesen Grundirrtum fortlaufend durch die Allgemeinheit zu finanzieren, ist vollkommen inakzeptabel. Das Verhältnis von Staat und Kirche als weiterhin nebengeordnet zu betrachten, ist angesichts der sich rasch wandelnden gesellschaftlichen Strukturen ebenso unangebracht. Eine Volkskirche besteht nicht (mehr), vorbei ist somit das Regiment von Unfehlbarkeit, Autorität, Dogma und absoluter Gewißheit. (Allzu deutlich zeigt sich etwa in der Mißbrauchsdebatte, was es heißt, wenn die Kirchen selbst darüber bestimmen können, was ihr "eigener Bereich" ist.) Als die Paulskirchenverfassung 1850 festhielt: "Die Religionsgesellschaften ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig im Rahmen der für alle geltenden Gesetze", war an die Themen von Verfassung und Verwaltung der Religionsgemeinschaften gedacht, an Glaubenslehre und Liturgie. Das sind die Gegenstände, deren sich die religiösen Organisationen selbst widmen können, "ohne andere zu brauchen, oder anderen zu begegnen, oder sich in deren Leben einzumischen".

Der ehemalige niedersächsische Landtagsabgeordnete Michael Hans Höntsch betonte: "Der Staat hat kein Problem mit den unterschiedlichen Religionen. Sie dürfen in ihrer Ausprägung sogar antiemanzipatorisch sein. Frauenfeindlich allemal. Er hat eher ein Problem mit säkularen Lebensentwürfen. Du wirst als Humanist, der sich an den Werten der Aufklärung orientiert, zwar respektiert, eine angemessene Teilhabe allerdings bleibt einem verwehrt. Siehe: weltanschaulicher Unterricht, Mitgliedschaft in Fernsehbeiräten, etc. Dem Staat ist der Vorwurf zu machen, dass er ungleich behandelt". Die Privilegien der verfaßten Kirchen in Deutschland haben ein für Europa unbekanntes Ausmaß erreicht.

Trotz aller innerer und äußerer Krisen der Kirchen verfügen sie über einzigartige Einflußmöglichkeiten und Machtpositionen, so

  • bei den Mitwirkungsrechten der Kirchen im staatlichen Bereich,
  • bei den indirekten finanziellen und sonstigen Förderungen des Staates (Steuervergünstigungen, Befreiungen usw.)
  • bei den Staatsleistungen an die Kirchen einschließlich deren großen Wohlfahrtsverbänden.

Religion ist Privatsache und sie ist nur Privatsache. Schrieb doch selbst der damalige Professor der Theologie und spätere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Karl Lehmann: Wenn der Staat "sich auf eines der verschiedenen Bekenntnisse festlegte, würde er ungerecht. Der Staat verweist die Religion in den Bereich der freien Gesellschaft. Die Religion wird zu einer Angelegenheit des Interesses einzelner Bürger. Sie ist kein Bestandteil der staatlichen Ordnung". Warum nicht endlich in dieser Frage einen Blick auf unsere Nachbarn in Frankreich werfen?

Die Religionsfreiheit impliziert das im Grundgesetz festgeschriebene Grundrecht auf Meinungsfreiheit in Wort und Schrift, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und auf Gründung von Vereinen, ebenso das Grundrecht auf Entfaltung der Persönlichkeit hinsichtlich religiöser oder weltanschaulicher Bedürfnisse. Sich wandelnde soziale Gegebenheiten bedingen konsequenterweise verfassungsrechtliche Überprüfungen (Kirchenfinanzierung, "dritter Weg" im Arbeitsrecht, Paralleljustiz, Religionsunterricht etc.). So gehört nicht zuletzt auch der Status der Kirchen – als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts – auf den Prüfstand. (Juristisch wird die Körperschaft des öffentlichen Rechts verstanden als "ein mitgliedschaftlich organisierter Verband, der staatliche Aufgaben mit hoheitlichen Mitteln unter staatlicher Aufsicht wahrnimmt" (E. Fischer – Trennung von Staat und Kirche), eine Konstruktion also, die niemals für Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften zutreffen kann.) Religiös-weltanschauliche Überzeugungen einzelner Gruppierungen dürfen nicht länger für alle anderen Bürgern verpflichtend werden. Es ist unbedingt Abschied zu nehmen von der Vorstellung, daß bekenntnisfreie und nichtreligiöse Menschen nur dann auch faktisch gleichberechtigt sind, wenn sie sich ebenfalls millionenfach in Organisationen zusammenfinden. Die Orientierung an der Rechtsform der Körperschaft ist nicht allein unter finanziellen Aspekten verfehlt. Demokratie bedeutet das Zulassen des Meinungspluralismus wie den sich stetig fortsetzenden Diskurs, erlaubt sich das Korrektiv, schon deshalb ist die Infragestellung der Privilegien der Religionsgesellschaften gegeben.

Die Komfortzone – des freien Denkens, einer freien Kunst und einer freien Wissenschaft – jedenfalls ist schutzwürdig und bedarf öffentlicher Aufmerksamkeit, nicht zuletzt in Deutschland. Ergo: Auch im Zweifel nicht für die Kirche. Vielmehr: Ein neutraler Staat für eine freie Gesellschaft. Sorgen Sie somit in Ihrer Verantwortung dafür, das unrühmliche 100jährige Jubiläum der Missachtung des Verfassungsauftrages zur Ablösung der Staatsleistungen im Jahre 2019 zu vermeiden. Tragen Sie dem Widerspruch zwischen der tradierten Rechtslage und der gesellschaftlichen Realität Rechnung. 100 Jahre Staatskirchenleistungen jedenfalls sind genug!