Kommentar

Muezzinruf im Corona-Ramadan

Obwohl Gottesdienste wieder stattfinden dürfen, sind die Moscheen hierzulande lieber vorsichtig, weil es im Fastenmonat Ramadan schnell zu voll werden könnte. Stattdessen werden Gottesdienste gestreamt; in einigen Städten gab es auch Sondergenehmigungen für den Muezzinruf. Mitunter führte das zu Diskussionen, in denen dieser anders bewertet wird als das kirchliche Glockengeläut, was einmal mehr die Notwendigkeit des säkularen Staates verdeutlicht.

Morgen endet der für Muslime heilige Fastenmonat Ramadan. Auch hier war dieses Jahr alles ein bisschen anders: Normalerweise wären die Moscheen zu dieser Zeit besonders gut besucht. Obwohl religiöse Stätten seit Anfang Mai unter Auflagen wieder Gottesdienste feiern dürfen, blieben die Moscheen vielerorts trotzdem geschlossen. Der Zentralrat der Muslime hat dazu eine Empfehlung herausgegeben und in dieser Woche auch noch einmal bekräftigt: Alle Gemeinschaftsgebete, mindestens aber die Freitagsgebete, die Ramadan-Nachtgebete und Festgebete in der Moscheegemeinschaft sollten bis 31. Mai ausgesetzt werden, da sich in geschlossenen Räumen ohne Luftzirkulation und Austausch virushaltige Tröpfchen ansammeln könnten und Abstandhalten hier nur bedingt Schutz böte. "Es ist unsere religiöse Verpflichtung, diese für alle muslimischen Gläubigen schmerzlichen Einschnitte in der Corona-Zeit – gerade in der gemeinschaftlichen Religionsausübung – zum Schutze unserer Mitmenschen auf uns zu nehmen", begründete der Vorsitzende Aiman Mazyek die Empfehlung. Damit zeigt er sich deutlich besonnener in Bezug auf die Pandemie-Bekämpfung als andere Religionsvertreter, allen voran die katholische Bischofskonferenz, der eine Wiederzulassung von Gottesdiensten gar nicht schnell genug gehen konnte.

Bevor es zu Konflikten wegen der Personenbeschränkungen kommen würde, wird das islamische Gebet lieber gleich in den Privathaushalt verlegt, wo es lediglich im engsten Kreis der Familie stattfinden soll. Der Gottesdienst wird in vielen Fällen gestreamt. Einige Moscheegemeinden haben als Ausgleich Anträge auf Sondergenehmigungen gestellt, damit der Muezzin während des Corona-Ramadans zum Gebet rufen darf. In einigen Orten wurde dies gestattet, andere lehnten es ab. Interessant verlief dies in Augsburg: Hier sollten zunächst die Nachbarn zustimmen, woraufhin die Moschee ihren Antrag wieder zurückzog.

Eine solche Rücksichtnahme auf Anwohner ist begrüßenswert und im Zusammenhang mit religiös motiviertem Glockengeläut nicht bekannt. Im Gegenteil, Beschwerden werden regelmäßig zurückgewiesen: Bei einem Fall in der dortigen Region vor einigen Jahren hieß es laut Augsburger Allgemeine, Glockengeläut (nicht das Stundenläuten) unterliege nicht den Bestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und damit auch nicht einer Genehmigung, denn kirchliches Glockenläuten gehöre zu einer Kirche und letztlich auch zum Brauchtum. In einer Gemeinde des Erzbistums Köln ließ man genervte Anwohner wissen, es gelte, einen Kompromiss zu finden, denn um ein Abschalten könne es ja nicht gehen, da das Läuten Teil der Glaubensverkündigung und durch die Religionsfreiheit im Grundgesetz legitimiert sei, berichtete RP Online.

Eine öffentliche Diskussion über den vorübergehenden muslimischen Gebetsruf ist hingegen in der hessischen Stadt Haiger entbrannt: Die örtliche CDU hatte sich auf Facebook ablehnend gegenüber dem Vorhaben geäußert – mit einer interessanten Begründung, die ihr Vorsitzender der Welt auf Anfrage mitteilte: "Wenn wir nun einer Gruppe erlauben, die Gläubigen für alle hörbar zum Gebet aufzurufen, ist die Gleichberechtigung nicht mehr gewährleistet." Das träfe in der Tat auf die aktuelle Situation zu, genießen doch die Kirchenglocken im Einklang mit den übrigen Privilegien der christlichen Kirchen bis auf wenige Ausnahmen das religiöse Lärmmonopol.

Die CDU Haiger begründet diese Aussage in einem Facebook-Post mit der inhaltlichen Komponente, wonach ein Glockengeläut "nicht ausschließlich ein religiöser Ausdruck, sondern auch ein Kulturgut" sei, die muslimische Variante jedoch "eine exklusive Gottesverkündung im öffentlichen Raum". Man wolle gerade jetzt "nicht unnötig provozieren", heißt es im ursprünglichen Post, der die Debatte entfacht hatte, außerdem.

Angesichts dessen muss man sich die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller wäre, generell von allen lautstarken religiösen Bekundungen Abstand zu nehmen, bevor man sich in theologische Haarspaltereien vertieft. Wer um eine vermeintliche Islamisierung fürchtet, sollte nicht eine stärkere Betonung christlicher Traditionen fordern, sondern für eine konsequente Trennung von Staat und Religionen eintreten. Denn wo niemand bevorzugt wird, kann auch niemand benachteiligt werden. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass fast die Hälfte aller Bundesbürger gar keinem religiösen Bekenntnis angehört und eine öffentlich wahrnehmbare weltanschauliche Neutralität diesem Umstand Rechnung tragen würde. Dieses Beispiel verdeutlicht einmal mehr die Notwendigkeit des säkularen Staates für eine gerechte und friedliche Gesellschaft.

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