Livestream mit Michael Shermer

Warum sogar der Teufel frei sprechen darf

"Der Teufel ist derjenige, dessen Meinung du abstoßend findest, und man muss dem Teufel lassen, was ihm zusteht" – so die provokante These von Michael Shermer. "Giving the devil his due. Reflections of a scientific Humanist", so lautet das neuste Werk des Bestsellerautors und Gründer der "Sceptics Society". Im Interview-Livestream stellte er sein neues Buch vor und führt aus, was es mit dem Teufel und der Meinungsfreiheit auf sich hat.

Aufgrund der aktuellen Pandemie waren alle Teilnehmer des Streams rein virtuell zugeschaltet. Ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht wäre Shermer zwar lieber gewesen, doch ein mehrstündiger Flug von der amerikanischen Westküste sei auch nicht das Schlimmste, was man verpassen könnte, scherzt er. Daher sitzt er nun in seiner Garage, die ihm als Büro dient, neben seinem Tesla und seinem Fahrrad mit Bücherregal im Hintergrund, von wo aus er den Stream-Zuschauern die Thesen seines neusten Werkes präsentiert.

"Auch der Teufel muss die Möglichkeit haben, seine Meinung zu sagen, denn sein Recht, dies zu tun ist genauso dein Recht. Für deine eigene Sicherheit ist dies sogar unerlässlich. Wenn er zensiert werden kann, warum nicht auch du?", ist die zentrale Frage, mit der er sich ausgiebig beschäftigt hat.

Weiter erläutert Shermer, dass der moderne Skeptizismus eine Methode oder eine Haltung ist, bei der man mit kritischer Reflektion an ein Themengebiet herantritt. Dabei sind wissenschaftliche Erkenntnisse stets temporale Übereinkommen und können mit der Zeit überholt werden. Dies ist wichtig, wenn man bedenkt, was in früheren Zeiten als lächerlich und falsch galt. Dass die Erde um die Sonne kreist oder die Menschen nicht direkt von Gott geschaffen wurden, galt vor ein paar hundert Jahren noch als "Fakenews", und diejenigen, die solche Thesen vertraten, hatten in ihrer Zeit oft mit schwerwiegenden Konsequenzen zu rechnen. Was für uns heute Allgemeinwissen darstellt, kann morgen schon als Paradebeispiel für die kleingeistige Welt der Vergangenheit genutzt werden.

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Shermer sieht genau an dieser Stelle die Möglichkeit, dass auch angeblich falsche Ideen und sogar abwegige Verschwörungsfantasien einen Funken Wahrheit enthalten könnten. Sie nicht der öffentlichen Prüfung aussetzen zu dürfen, würde einige wenige sinnvolle Ideen ebenfalls zensieren. Wenn sie jedoch komplett falsch sein sollten, so lässt sich an ihnen immer noch die Kraft der eigenen Argumente austesten und anpassen. Jedem sollte es gestattet sein, sich frei zu artikulieren. Nicht weil man ihm zustimmt, oder versucht, absolut unparteiisch zu sein, sondern weil andernfalls die Möglichkeiten der Einschränkung später auf einen selbst zurückfallen könnten. Wenn man Instrumentarien der Zensur einrichtet, seien es gesetzliche oder automatisierte Algorithmen, besteht stets die Gefahr, dass es irgendwann auch einen selbst trifft und man in seine eigene Falle tappt, beschreibt der Gründer der "Sceptics Society" und wirft einen Blick in der Zeit zurück.

Früher war die Meinungsfreiheit klar ein Thema der Progressiven und Liberalen, stellt Michael Shermer fest, aber seit zwanzig Jahren etwa sind es zunehmend Konservative, die als Advokaten der freien Meinungsäußerung auftreten, analysiert er die Situation in den USA. Shermer findet es erschreckend, was an den amerikanischen Campus derzeit passiert. Redner mit einer Meinung oder einem Vortragsthema, die außerhalb des politisch anständigen Opportunitätsfensters liegen, werden niedergebrüllt oder die Verantwortlichen werden derart unter Druck gesetzt, dass es erst gar nicht möglich, ist die Veranstaltung abzuhalten. Ein solches "Deplatforming" ist exemplarisch für die sogenannte "Cancelculture", in der unliebsame Meinungen am besten gar nicht geäußert werden sollten. Der Teufel liegt aber auch hier im Detail, Shermer will sich dabei nämlich nicht in der Sache hinter jeden stellen, der mutmaßlich groben Unfug verbreitet oder antihumanistische Werte vertritt. Vielmehr sieht er darin die Möglichkeit, die eigenen Argumente noch einmal zu überprüfen und zu verbessern. Wichtig ist ihm auch, dass man sich nach bestem Bemühen mit den Argumenten der Gegenseite auseinandersetzen sollte. Nur so kann man deren Aussagekraft wirklich überprüfen. Wenn einem dann die Äußerungen des "Teufels" dann immer noch missfallen, sollte man ihn am besten ignorieren. "Glauben Sie mir, das Schlimmste ist wenn in Ihrem Vortrag nur die Hälfte der Stühle überhaupt besetzt ist", untermauert Shermer sein Argument unterhaltsam.

Einschränkungen der Redefreiheit sieht der Skeptiker lediglich dort, wo etwa gezielt eine direkte Panik ausgelöst werden könnte, etwa fälschlicherweise "Es brennt!" zu rufen in einem vollen Theater. Aber auch im Verrat von Staatsgeheimnissen und den Veröffentlichungen von Whistleblowern sieht er eine Grauzone, in der man abzuwägen hat. Generell gibt es für Shermer aber niemals so etwas wie ein Gedankenverbrechen.

Gerade kontroverse Themen und sogar die Leugnung von extrem sicheren Tatsachen sollte niemals zu justiziablen Konsequenzen führen, meint Shermer. Auch wenn er einem Holocaustleugner stets aufs Schärfste widersprechen würde, so sieht er in seinen Aussagen nichts, wofür er bestraft gehören sollte. Es mag extrem dumm oder extrem ideologisiert sein, so etwas nicht anzuerkennen unter der vorhanden Faktenlage, doch Shermer ist es wichtig, dass man auch solche abstoßenden Meinungen ertragen muss, zur Gewährleistung seines eigenen Rechtes, das sagen zu können was man denkt.

Für ihn ist "More Speech" (mehr Redefreiheit oder Gegenrede) die Antwort auf "Hatespeech".


Der Livestream mit Michael Shermer war eine Zusammenarbeit der Giordano Bruno Stiftung (gbs) und des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes (DA!):

Michael Shermer, Giving the Devil His Due, Cambridge University Press 2020, ISBN 9781108779395

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