Schwerer Rückschlag für Trennung von Staat und Religion

Berliner Neutralitätsgesetz als diskriminierend beurteilt

Sowohl die Säkularen SozialdemokratInnen als auch die Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung kritisieren das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Berliner Neutralitätsgesetz. Die Richter gaben der Klage einer kopftuchtragenden Muslimin wegen Ungleichbehandlung statt und befanden ein pauschales Verbot des Tragens religiöser und weltanschaulicher Symbole und Kleidungsstücke für einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit.

Zu dem Urteil erklärten die Sprecher der HumanistInnen und Konfessionsfreie in der Berliner SPD Bruno Osuch und Hans-Ulrich Bieler sowie Roman Veressov und Markus Wollina (Initiatoren Säkulare Linke, Landesarbeitsgemeinschaft in DIE LINKE Berlin i. Gr.): "Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist eine herbe Enttäuschung und ein Rückschlag für alle säkular und laizistisch orientierten Kräfte in unserem Land." Sie halten die Entscheidung für einen schweren Fehler und Anlass zur größten Besorgnis um die Zukunft der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates. "Eine Reform des Gesetzes ist nun zwar wahrscheinlich unumgänglich. Dabei muss die Berliner Koalition jedoch mit äußerster Umsicht zu Werke gehen." Bei einer vollständigen Aufhebung des Gesetzes, wie es teilweise aus den Reihen der Grünen und LINKEN erwogen wird, wären jedenfalls gravierende Auswirkungen auf die öffentlichen Schulen, Polizei und Justiz zu befürchten. "In all diesen Bereichen würden religiöse Konflikte und schlimmstenfalls auch hochproblematische Weltanschauungen in verschiedenen Ausdrucksformen Einzug halten. Wir fordern deshalb die Berliner Koalition auf, den durch das Urteil neu gezogenen rechtlichen Rahmen vollständig auszuschöpfen und das Gesetz im maximal möglichen Umfang aufrechtzuerhalten."

Bisher schreibt das Berliner Neutralitätsgesetz vor, dass Beschäftigte des Landes in Polizei, Justiz und allgemeinbildenden Schulen im Dienst keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen dürfen.

Auf Facebook veröffentlichten die Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung, zu denen auch hpd-Autorin Naila Chikhi gehört, ein Statement. Darin heißt es: "Das […] Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Berliner Neutralitätsgesetz ist eine Zurückweisung der Aufklärung und des Frauenkampfes um die Gleichberechtigung der Geschlechter. Die säkularen und atheistischen Bürger*innen sind entsetzt. Die Vertreter*innen des politischen Islams und ihre anti-feministischen religionsprotektionischen Alliierten feiern ihr erfolgreiches Voranschreiten. Und über diese Begünstigung freuen sich die Evangelikalen sicherlich ebenso."

Sie bezeichnen weiter das Berliner Neutralitätsgesetz als "ein beispielhaftes Gesetz in unserer säkularen Demokratie. Denn es sichert die Trennung von Staat und Religion". Sie fordern statt einer Abschaffung durch den Senat seine bundesweite Umsetzung. "Seine Aufweichung oder gar seine Abschaffung würde fatale Folgen auf eine der überaus wichtigen Säulen unseres Staates" haben: Auf seine grundgesetzlich garantierte Neutralität.

"Religiöse Konflikte gehören bereits zum schulischen Alltag. Pädagoginnen, die ihre 'religiöse', weltanschauliche oder politische Zugehörigkeit offensichtlich zur Schau tragen, werden diese Probleme nur noch verschärfen." Darüber hinaus öffne man den ideologisch-religiösen Kräften die Tore unserer Schulen, wenn man Lehrerinnen erlaube, diese geschlechtsspezifische Uniform während des Schulunterrichts zu tragen. "Und dies wird fatale Folgen für die kommenden Generationen haben: So werden Kinder, insbesondere Mädchen, auch in ihren Schulen ein reaktionäres Frauenbild früh verinnerlichen. Begriffe wie Säkularität, Selbstbestimmung und Emanzipation von religiösem, moralischem und männlichem Diktat werden ihnen allmählich fremd. Noch schlimmer: Wenn Mädchen alltäglich auch in der Schule mit dem Kopftuch konfrontiert werden, werden sie nicht mehr imstande sein, sich vom orthodoxen, konservativen Narrativ ihrer Eltern und/oder ihrer Community zu distanzieren."

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