Kampagne "Für das Recht auf letzte Hilfe"

Der Tod von Udo Reiter und die Kampagne

BERLIN. (hpd/dghs) Das immense Echo auf die Kampagne “Für das Recht auf letzte Hilfe” von DGHS, GBS und IBKA hallt noch nach. Medienanfragen nach Gesprächspartnern der Vereine und Einzelschicksalen beschäftigten uns in diesen Tagen.

Seit Anfang voriger Woche - seit Montag, dem 6. Oktober, hingen Plakate in Berlin und Frankfurt/Main, drei Autos, sog. “PR-Cars”, fuhren mit darauf montierten Plakaten eine ganze Woche lang durch die Berliner Innenstadt und in den Berliner U-Bahnen gab es einen 30-sekündigen Spot zu sehen.

Den wahren Paukenschlag gab es unmittelbar nach der Pressekonferenz am Freitag, 10. Oktober, bei der Elke Baezner (Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben - DGHS) und Michael Schmidt-Salomon (Giordano Bruno Stiftung - GBS) der Hauptstadtpresse Details zur Kampagne erklärt hatten.

Der Nachrichtenagentur dpa lag um 13 Uhr die Meldung vom Freitod eines der Testimonials, Prof. Dr. Udo Reiter, vor; sie bat dazu um eine kurze Stellungnahme. Viele Zeitungen berichteten. Dass die “Bild am Sonntag” auf ihrer Titelseite fand, die DGHS mache “Werbung mit dem toten TV-Chef” und den moralischen Zeigefinger hob, war dann doch eine leicht verzerrte Darstellung.

Gewollt beabsichtigt oder nur gewollt in Kauf genommen? Auch vereinzelte Meldungen in Online-Portalen, die DGHS habe ausgerechnet am Todestag Reiters ihre Kampagne “gestartet” (!), verkennt die logistische Vorbereitung jeder Kampagnen-Planung, die Wochen zuvor unter strenger Geheimhaltung begonnen hatte und zeitlich terminiert worden war.

Bereits im Frühjahr war der 11. Oktober als Termin für einen tagesfüllenden Kongress des “Bündnisses für das Selbstbestimmungsrecht bis zum Lebensende” (aus DGHS, HVD, HU, GBS, IBKA, DFW und BfG Bayern) geplant worden, diesen Sommer entstand das Manuskript für das Buch "Letzte Hilfe. Ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben von Uwe-Christian Arnold und Michael Schmidt-Salomon, das am 26. September im Rowohlt Verlag erschien.

Wochen zuvor fanden bereits die Foto-Termine mit den zahlreichen Prominenten statt, Grundlage einer breit angelegten Kampagne, die sich mit Broschüren, Plakaten und über eine neue website www.letzte-hilfe.de v. a. an Journalisten, Politiker und Ärzte wendet. Ergänzend hatten übrigens alle 631 Bundestags-Abgeordneten das Buch mit einem Anschreiben auf eigens dafür neu erstelltem Kampagnen-Briefpapier zugesandt bekommen.

Udo Reiter hatte stets von sich aus den Kontakt zur DGHS gesucht. 1996 war er Vereinsmitglied geworden, unterstützte vor zwei Jahren bereits die DGHS-Kampagne “Ärzte sollen helfen dürfen” mit seinem Foto und einem Statement. Er sprach in vielen Veranstaltungen und bei Medien-Auftritten über seine Vorstellungen von Selbstbestimmung, beispielsweise in der Süddeutschen Zeitung, bei “Günther Jauch” im Januar und erst vor wenigen Tagen bei “Maybrit Illner” im ZDF. Vor einem Monat lud er die Fotografin Evelin Frerk zum Fotoshooting für die Kampagne “Letzte Hilfe” in sein Privathaus, ein Termin, der in gelöster, fröhlicher Atmosphäre stattfand, wie die Fotografin später berichtete.

Der Versuch, die Beihilfe zur Selbsttötung gesetzlich zu verbieten, entziehe dem Einzelnen das “Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende”, heißt es in der Kampagne, die auch von Liedermacher Konstantin Wecker, den Publizisten Ralph Giordano und Fritz J. Raddatz sowie den Schauspielerinnen Eva Mattes, Gudrun Landgrebe und Petra Nadolny unterstützt wird.

Warum Prof. Dr. Udo Reiter ausgerechnet den Zeitpunkt Donnerstagabend/Freitag früh für seinen Freitod gewählt hat, ist seine ureigenste Entscheidung, über die sich alle Spekulation verbietet. Einzel-Plakate, auf denen mit Udo Reiter geworben wird, gibt es nicht, sondern nur ein Sammelbild mit 15 anderen Gesichtern von prominenten Unterstützern in der Broschüre, auf der Website letzte-hilfe.de und facebook.com/fürdasrechtaufletztehilfe. Auf den Einzel-Plakaten waren vorige Woche nur Michael Lesch und Petra Nadolny zu sehen, auf den PR-Cars zusätzlich noch Prof. Dr. Dieter Birnbacher und der Arzt Uwe-Christian Arnold. Es gibt zurzeit keine Veranlassung, Reiters Bild auf der Homepage letzte-hilfe.de herauszunehmen.

Michael Schmidt-Salomon, der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, schrieb zu diesem Thema am Montag auf der gbs-Website: “Einige meinen, es sei ‘pietätslos’, ihn weiterhin als Unterstützer der Kampagne zu zeigen. Wir hingegen sind überzeugt, dass er es so und nicht anders gewollt hätte. Udo Reiter hätte überhaupt kein Verständnis dafür gehabt, wenn wir uns nun in irgendeiner Weise von ihm distanzieren würden. Wir haben mit Udo Reiter einen wichtigen Mitstreiter für das Recht auf Letzte Hilfe verloren. Seinem Mut, seinem Engagement, seinem Lebenswerk gilt unsere allergrößte Hochachtung. Wir wünschten uns natürlich, dass er sein Leben auf friedvollere Weise hätte beenden können (wie er es mehrfach selbst formuliert hatte), aber die Gründe, die ihn dazu bewegten, zur Waffe zu greifen, haben wir zu respektieren.”

Über Reiters Vita schreibt zum Beispiel die “Rheinische Post”: “Der Journalist wurde auf der Terrasse seines Hauses im sächsischen Gottscheina leblos aufgefunden – in seiner Nähe lag eine Waffe. Die Umstände legen einen Suizid nahe. Der Fernsehmann, 1944 in Lindau am Bodensee geboren, galt als streitbare Erscheinung; der MDR, dessen Gründungsintendant Reiter war, geriet in seiner bis 2011 währenden Amtszeit wegen diverser Skandale in die Schlagzeilen. Nach seinem Eintritt in der Ruhestand vor drei Jahren machte er vor allem mit seiner Position zur Suizidbeihilfe von sich reden. Es hatte einen sehr persönlichen und zugleich unverstellten Hintergrund. Seit einem Autounfall 1966 saß Reiter im Rollstuhl. Dieser tiefgreifende Einschnitt im Leben des damals 22-Jährigen spiegelt sich auch in dem Titel seiner 2013 erschienenen Autobiographie wider: ‘Gestatten, dass ich sitzen bleibe’. Der Umgang mit schwerer Krankheit war Reiter vertraut, seine erste Frau begleitete er beim Sterben. (…) Reiter, der sich selbst als ‘katholischen Atheisten’ bezeichnete und 1994 für sein christliches Engagement und Aufbauarbeit beim MDR den päpstlichen Gregoriusorden erhielt, wollte es offenbar soweit nicht kommen lassen”, soweit der Bericht in der “Rheinischen Post”.

Am 13. November soll es eine erste “Orientierungsdebatte” im Bundestag geben. Dabei kristallisieren sich drei unterschiedliche Positionen heraus, von einer weitgehenden Erlaubnis der Suizidbeihilfe für Ärzte, wie es ein geplanter Gruppenantrag von Dr. Carola Reimann (MdB SPD) und Bundestags-Vizepräsident Peter Hintze (MdB CDU) vorsieht über eine “Position der Mitte” (Eva Högl, MdB SPD ) bis hin zu einer sehr restriktiven Haltung (Hermann Gröhe und Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion).

Nachtrag, 14:30 Uhr: Inzwischen gibt es fünf Gesetzesvorschläge.