Interview mit Dr. Rainer Rosenzweig, Vorsitzender des KORSO (zukünftig: Zentralrat der Konfessionsfreien)

Jetzt sind auch die Konfessionsfreien mit einem Zentralrat am Start

Am vergangenen Wochenende tagte der Koordinierungsrat säkularer Organisationen (KORSO). Dabei wurde nicht nur eine umfassende Satzungsreform beschlossen, sondern auch, dass die Organisation zukünftig als Zentralrat der Konfessionsfreien auftreten wird. Der hpd sprach mit Dr. Rainer Rosenzweig über die Zukunft der Organisation.

hpd: Lieber Rainer Rosenzweig, aus dem "Koordinierungsrat säkularer Organisationen", dem KORSO, wird jetzt der "Zentralrat der Konfessionsfreien". Diese Namensänderung haben die Delegierten der Mitgliedsverbände am vergangenen Sonntag mit nur einer einzigen Gegenstimme beschlossen. Wie geht es Ihnen persönlich nach dieser richtungsweisenden Veränderung?

Dr. Rainer Rosenzweig: Ausgesprochen gut! Wir arbeiten seit langem darauf hin, den KORSO, der vor über zwei Jahrzehnten als "Sichtungskommission" ins Leben gerufen wurde, zu einer substanziellen Vertretung der Anliegen und Interessen konfessionsfreier Menschen umzubauen. Dieser Weg war sicherlich auch nötig, aber jetzt bin ich zugleich erleichtert und voller Tatendrang, denn als Zentralrat können wir in der Öffentlichkeit und gegenüber Entscheidungsträgern etwas bewirken. Mit diesem Namen und der neuen Verbandsstruktur bilden wir eine Lobby für Konfessionsfreie, die im Deutschland des 21. Jahrhunderts noch Bevormundung und Einschränkung ihrer Selbstbestimmung durch religiös geprägte Gesetze erleben. Und letztlich war die säkulare Lobbyarbeit von Anfang an im KORSO angelegt, denn er "hat die Aufgabe", wie es schon in der Gründungssatzung heißt, "die Interessen der Konfessionsfreien zu koordinieren und in der Öffentlichkeit zu vertreten." – Ersteres (koordiniert) haben wir die letzten Jahre und werden das auch weiter tun, mit letzterem fangen wir jetzt endlich an.

Was sprach denn bisher dagegen, diesen Teil der Satzung des KORSO zu erfüllen?

Seit der Gründung des KORSO gab es relevante Kräfte, die eine starke gemeinsame Stimme, also einen "Zentralrat", verhindern wollten, auch weil sie wohl um die Souveränität ihres Verbandes fürchteten. Gleichzeitig hat sich die Gesellschaft in den letzten Jahren für alle sichtbar so stark säkularisiert, dass die innere Selbstblockade des säkularen Spektrums heute niemandem mehr vermittelt werden kann. Denn die Detailfragen, um die in der säkularen Verbandslandschaft oft heftig gerungen wurde, sind für Menschen außerhalb der Verbände weder nachvollziehbar noch relevant – stattdessen lautet die große Frage: Wie können wir die religiös-politische Bevormundung abbauen und eine Gesellschaft abbilden, deren Mitglieder verantwortungsvoll und selbstbestimmt leben wollen? Mit dem Zentralrat geht es nun genau darum: Unsere Verbände wollen die gemeinsamen Interessen der Konfessionsfreien in Politik, Medien und Gesellschaft vertreten sehen.

Für diesen Aufbruch gab es eine Gegenstimme des Dachverbands freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW), der nach der Satzungsänderung angekündigt hat, den Zentralrat zu verlassen – wie wurde die Gegenstimme begründet?

Nicht alle Verbände, die den KORSO mitgegründet haben, wollen diesen Schritt mitgehen – manchen geht es zu schnell, was ich nach fast 13 Jahren KORSO wirklich nicht nachvollziehen kann, andere fühlen sich vielleicht überfordert mit dem Gedanken, dass wir jetzt "Ernst machen" und an die Öffentlichkeit gehen. Ich respektiere das und bedauere es zugleich, aber dafür kommen neue Organisationen hinzu: Die Säkulare Flüchtlingshilfe ist bereits im Juni aufgenommen worden und erweitert unser Spektrum um ein extrem wichtiges und sehr aktuelles politisches Feld. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) ist für eines unserer bedeutendsten Themen mit säkularer Perspektive inhaltlich enorm relevant und bringt mit über 20.000 Mitgliedern und über 2.000 weiteren Förderern erfreulich viel Potential mit. Und die Bundesarbeitsgemeinschaft Humanistischer Studierender wiederum zeigt, dass unsere Positionen in allen Altersgruppen geteilt werden. Unterm Strich können wir unser Wachstum mit diesem Aufbruch fortsetzen und ausbauen. Als Zentralrat erlangen wir eine neue Handlungsfähigkeit, die durch die frühere Satzung des KORSO eher eingeschränkt wurde.

Wie wollen Sie diese Handlungsfähigkeit konkret umsetzen?

In den letzten Jahren haben wir um unsere Mitgliedsverbände herum viele Kompetenzen und Verbindungen aufgebaut: juristische, politische, wissenschaftliche und publizistische. Mit diesem Netzwerk haben wir die besten Voraussetzungen für gute Lobbyarbeit. Mit Philipp Möller haben wir zudem einen herausragenden Frontmann gefunden, eine Persönlichkeit, die den Konfessionsfreien als zentraler Repräsentant in Berlin ein Gesicht geben und für säkulare Belange stehen wird. Zusammen mit dem Vorstand wird Möller einen neuen Stil erarbeiten, mit dem die Konfessionsfreien in Erscheinung treten werden: konstruktiv im Umgang, klar im Inhalt und sympathisch im Auftreten. Dafür werden wir alle Kanäle der Öffentlichkeitsarbeit bedienen und können uns schon jetzt auf neue Formate freuen, mit denen wir mehr und andere Menschen erreichen wollen als bisher.

Der Begriff "Zentralrat" steht für eine Organisation, die die Interessen aller konfessionsfreien Menschen in Deutschland vertreten will, obgleich nur ein Bruchteil von ihnen in den Mitgliedsorganisationen vertreten ist. Ist das legitim?

Ja, auch wenn es vielleicht nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Denn für unsere Arbeit sind nicht allein die Mitgliederzahlen wichtig, sondern drei andere entscheidende Tatsachen: Die wachsende Anzahl der Konfessionsfreien, deren Interessen politisch nicht länger ignoriert werden dürfen. Die riesigen Zustimmungswerte zu unseren Überzeugungen, die weit über die 40 Prozent der Konfessionsfreien hinausgehen, sei es in Fragen der Kirchenfinanzen, des Schwangerschaftsabbruchs, des Religionsunterrichts oder der Selbstbestimmung am Lebensende. Und nicht zuletzt wird unsere Arbeit durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland legitimiert, das allen Menschen das Recht zusichert, frei von religiöser Bevormundung leben zu dürfen.

Hinzu kommt, dass unter Konfessionsfreien eine nachweislich deutlich höhere Einigkeit in weltanschaulichen und politischen Fragen herrscht als unter Religiösen. Deren Zentralräte können also stets nur einen Bruchteil ihrer Gefolgschaft vertreten, und zumeist sind es die konservativen Positionen, nicht die liberalen, die sie ihren Kontakten in der Politik einflüstern.

Letztlich werden wir unsere Legitimation als Zentralrat durch unser Auftreten erwerben: Wer unsere Arbeit gut und unterstützenswert findet, kann Teil unseres Freundeskreises werden. Dies wird auf der neuen Website des Zentralrats möglich sein, die gerade entworfen und Anfang 2022 online sein wird.

Welche konkreten Anliegen wird der Zentralrat der Konfessionsfreien schwerpunktmäßig verfolgen?

Wir haben noch nicht entschieden, welche Form der Bevormundung wir uns zuerst vorknöpfen wollen, aber die Liste ist lang und betrifft viele Gesetze, die unser individuelles und soziales Leben regeln. Wir beobachten sehr genau, welche Debatten öffentlich geführt werden, und mischen uns dann ein. Aktuell wäre das der Paragraf 219a, der Ärzten die Aufklärung über Schwangerschaftsabbrüche verbietet, weil religiöse Lobbyorganisationen, allen voran die Kirchen, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen noch immer bekämpfen. Dagegen werden wir ebenso vorgehen wie gegen den inakzeptablen Eingriff des Staates in das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende – zumal das Bundesverfassungsgericht schon 2020 klargestellt hat, dass diese staatlich-religiöse Bevormundung verfassungswidrig ist.

Unsere Positionen entstehen immer in einem permanent offenen Diskurs in Klausuren sowie in monatlich stattfindenden Online-Themenwerkstätten – die übrigens für alle Interessierten offen und zugänglich sind: Wer möchte, kann jederzeit mitdiskutieren. Unsere Positionen werden erarbeitet, sind auf der Homepage und in den Sozialen Medien verfügbar und werden stetig aktualisiert. Bevor der Zentralrat aber seine Themen einbringt, geht es zunächst einmal darum, sich in den Medien bekannt zu machen und gegenüber der Politik in Stellung zu bringen.

Welche Botschaft haben Sie so kurz vor der Bundestagswahl noch an die Politik und die Bevölkerung?

Am Sonntag werden die politischen Karten neu gemischt und die Kräfteverhältnisse neu verteilt – das ist gut so, denn nicht nur in den C-Parteien, sondern auch darüber hinaus gibt es verkrustete Strukturen, die die weltanschauliche Realität Deutschlands längst nicht mehr abbilden. Dass sich der Zentralrat der Konfessionsfreien genau eine Woche davor aus dem KORSO gebildet hat, ist kein Zufall, sondern ein Signal. Sobald die Koalitionsgespräche geführt und eine Regierung gebildet wurde, sollen die neuen Abgeordneten wissen: Jetzt sind auch die Konfessionsfreien mit einem Zentralrat am Start, der ihre wachsende Gruppe und ihre Interessen konstruktiv einbringt und engagiert vertritt. Selbstverständlich müssen religiöse Menschen weiterhin das Recht haben, ihre Religion auszuüben, aber unser freiheitlicher Rechtsstaat muss das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen schützen – dafür machen wir uns stark.

Die Fragen stellte Inge Hüsgen für den hpd.

Bis zur Eintragung der Satzungsänderungen durch das zuständige Amtsgericht Berlin-Charlottenburg wird der Zentralrat der Konfessionsfreien noch unter seiner bekannten URL erreichbar sein. Anfang nächsten Jahres wird er sich auch im Internet mit neuem Gesicht und weiteren Aktivitäten präsentieren.

Unterstützen Sie uns bei Steady!