#LetUsTalk ("Lasst uns reden") ist ein Aufschrei von vielen Frauen aus muslimischen Communities im Westen, denen Islamophobie vorgeworfen wird, wenn sie laut über Benachteiligung, Diskriminierung und Demütigung von Mädchen und Frauen innerhalb ihrer Familie und Gemeinschaften sprechen. Im Zentrum stehen dabei der Text eines kanadischen Arztes ägyptischer Abstammung und seine Kritik an der Verschleierung minderjähriger Mädchen.
Am 20. Dezember 2021 veröffentlichte der Kinderchirurg Dr. Sherif Emil im CMAJ (Canadian Medical Association Journal) einen Offenen Brief mit dem Appell:
"Benutzt kein Instrument der Unterdrückung als Symbol für Vielfalt und Zugehörigkeit."
Er bezieht sich damit auf eine Abbildung eines anderen Artikels des gleichen Magazins vom 8. November 2021, in dem ein Mädchen im Kindergartenalter den Hijab, also die islamische Kopfverschleierung, trägt. Dr. Emil schreibt, dass er selbst mit Frauen arbeite, die sich dazu entschieden hätten, den Niqab zu tragen, und respektiere ihre selbstbestimmte Wahl, aber, so der Mediziner, "diese Ansicht ändert nichts an der der Tatsache, dass der Hijab, der Niqab und die Burka auch Instrumente der Unterdrückung für Millionen von Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt sind, denen es nicht erlaubt ist, diese Wahl zu treffen".
Dr. Emil betonte den Aspekt der Unfreiheit, mit der die Verschleierung von Mädchen ab dem Kindergartenalter einhergeht, und beschrieb die Folgen, die von sozialen Benachteiligungen bis hin zu lebenslangen Traumata reichen.
Eine Kampagne als Antwort
Der Appell löste eine Flutwelle an Reaktionen aus – von Zustimmung bis hin zu den üblichen Vorwürfen der Xenophobie, Islamophobie etc. Kurz darauf, am 23. Dezember, wurde der Text zurückgezogen und eine öffentliche Entschuldigung der Editorin Kirsten Patrick veröffentlicht. Als Antwort darauf riefen die kanadische Autorin Yasmine Mohammed und die amerikanisch-iranische Aktivistin Masih Alinejab die "#LetUsTalk"-Kampagne ins Leben. Beide stellten sich auf die Seite von Dr. Emil und führten den Text als weiteres Beispiel an, wie Muslimen und Ex-Muslimen im Westen die Förderung von Islamophobie vorgeworfen wird, wenn sie über ihre Erfahrungen berichten. Alinejab schrieb auf Twitter:
"Im Iran wurde mir gesagt, wenn ich keinen Hijab trage, werde ich aus der Schule geschmissen, ausgepeitscht, verprügelt und aus dem Land geworfen. Im Westen wird mir gesagt, wenn ich meine Geschichte erzähle, trage ich zur Islamophobie bei. Ich bin eine Frau aus dem Nahen Osten und ich habe Angst vor islamischer Ideologie. Lasst uns reden."
Unter dem Hashtag #LetUsTalk teilten Frauen, die in islamistisch geprägten Kreisen aufgewachsen sind, Kindheitsfotos mit erzwungenem Hijab und diskutierten über die Folgen für sich und andere. Auch Homosexuelle und andere zensierte und verfolgte Minderheiten nahmen an dem Austausch teil.
Ziel der Kampagne ist es, Solidarität zwischen westlichen Feministen und iranischen Frauen und Minderheiten zu schaffen. Gerade die realen Erfahrungen von Frauen aus muslimischen Ländern sollten ernst genommen und auch für das Verständnis der eigenen Gesellschaft herangezogen werden. Dabei soll es nicht um Anfeindungen anderer Muslime gehen, sondern um Ideologiekritik – ein Privileg, das Frauen und andere Minderheiten in den muslimischen Ländern aufgrund von Zensur nicht wahrnehmen können.
Recht zur Kritik an der Religion
Das Beispiel des Umgangs mit Dr. Sherif Emil aufgrund seiner Anprangerung sexistischer religiöser Praktiken zeigt zweifelsfrei, wie wichtig es ist sicherzustellen, dass Religionskritik in Deutschland immer möglich ist und nicht als antimuslimischer Rassismus oder Hassrede geächtet werden darf. Kritik an diesen Praktiken ist für die Stärkung der Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter unerlässlich.
In Deutschland haben wir das Recht, staatliche wie religiöse Ideologie zu kritisieren. Es ist unabdingbar, dass die Initiativen der Bundesregierung zur Bekämpfung von Hasskriminalität auch zum Schutz der Religionskritik angewendet werden. Ein anderes Vorgehen würde nicht nur unsere Meinungsfreiheit gefährden, sondern könnte auch erhebliche Auswirkungen auf die Rechte von Mädchen und Frauen haben, die besonders anfällig für Beschränkung durch Religionen sind.
Wie soll man ein Bewusstsein für Freiheit entwickeln und sich gegen autoritäre Übergriffe von Staat und Religion auf das eigene Leben wehren, wenn man schon als Kind nicht den Prozess durchleben darf, seinen eigenen Willen zu entwickeln, diesen zu reflektieren und ihn auch gegenüber einer Autorität kritisch zu formulieren. Eine gesunde Gesellschaft braucht Individuen, die als Kinder gelernt haben, nein zu sagen. Den Kindern und insbesondere den Mädchen aus streng islamischen Communities hingegen wird auferlegt, dass ihre Haare und ihr Körper nicht ihnen, sondern ihrem Glauben gehören – ein Glaube, der sie verachtet. Mit unserer Vorstellung von Kinderrechten und Freiheit ist dies nicht vereinbar.
Am Scheideweg
Es darf keine Sprechverbote geben, weder in Fragen der Religion noch bei irgendeinem anderen Thema. Sprechverbote sind Teil totalitärer Ideologien und gehören nicht in eine aufgeklärte westliche Demokratie. Gerade das Thema des Islamismus und dessen Folgen für Frauenrechte werden aufgrund eines vermeintlichen "Anti-Rassismus" aus jeglichem Dialog ausgeschlossen. Dabei liegt gerade hier die größte Gefahr für Mädchen aus streng religiösen Communities, die häufig schon wegen ihrer Migrationsgeschichte und sozialen Schichtzugehörigkeit besonders sind.
Frauen in islamisch geführten Ländern und islamistisch geprägten Kreisen in Deutschland bitten um ein Ende der Identitätspolitik und ihrer Sprechverbote. Wie schon bei der Diskussion um die Gender- und Identitätstheorien schaden Sprechverbote besonders den Betroffenen, in diesem Fall Mädchen und Frauen.
Westliche Feministinnen müssen sich entscheiden, ob sie sich für die Rechte der Frauen einsetzen möchten, oder für Respekt und Toleranz gegenüber einer reaktionären, patriarchalischen Religion einer Minderheit im Westen mitsamt ihren frauenfeindlichen Traditionen. Sie müssen verstehen, dass religiöse Ideologien mit patriarchalen Strukturen einhergehen und Kritik am Islamismus nicht gleichbedeutend mit Muslimfeindlichkeit ist.
11 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Die religiöse Hegemonie des Islam sollte in der BRD nicht Fuß fassen dürfen, unsere
Freiheitlichen Werte dürfen nicht unterminiert werde von Islamischen Verbänden hier im Lande.
Wir haben hier auch genug Probleme mit unseren Kirchen und deren Machtansprüchen.
Roland Fakler am Permanenter Link
Wäre das Kopftuch nicht gleichzeitig das Abgrenzungssymbol des politischen Islams vom freiheitlichen Westen, würden nicht Frauen in islamischen Ländern schwer bestraft, wenn sie den Mut haben, es nicht zu trag
Hans Trutnau am Permanenter Link
Wenn ich mich hinter Sherif Emil stelle, bin ich in manchen Augen islamophob?
Manche Gesellschaft ist ungesund.
Roland Fakler am Permanenter Link
Nur die Kritik hat aus dem totalitären Christentum das gemacht, was es heute ist, eine Religion, die die Werte der Aufklärung und die Menschenrechte weitgehend übernommen hat.
David Z am Permanenter Link
Die hysterische Reaktion der Islamapologeten ist verständlich.
Was aber viel relevanter und destruktiver ist, ist die servile unterwürfige Reaktion gewisser Nicht-Muslime, meistens aus dem linksliberalen Milieu, die, konfrontiert mit ihrer kognitiven Dissonanz, feige den Schwanz einziehen wie hier, den Artikel zurückzuziehen anstatt sich der Realität zu stellen.
A.S. am Permanenter Link
Bei der letzten Bundesregierung war zu befürchten, dass die Gesetze gegen Hass und Hetze zur Verhinderung von Religionskritik eingesetzt würden.
Ob sich das unter der neuen Regierung ändert? Immerhin hält die "Ampel" ihre Füße eher ruhig.
Eigentlich wäre es an der Zeit, den unter dem Vorwand von "Antirassismus" von schwarz-rot geschaffenen Werkzeugkasten zur Eindämmung der freien Rede und der Religionskritik ("Schutz religiöser Gefühle") auf dem Müll der Geschichte zu entsorgen.
G. Hantke am Permanenter Link
„… weiteres Beispiel …, wie Muslimen und Ex-Muslimen im Westen die Förderung von Islamophobie vorgeworfen wird, wenn sie über ihre Erfahrungen berichten“ -
Warum nur orientiert man sich immer wieder an irgendwelchem bullshit, der doch offensichtlich von irgendwelchen Dumpfbacken und Dumpfbäckerinnen aus der Anonymität heraus abgelassen wird, die sich weder outen noch einer offenen Diskussion stellen ? Sind das womöglich immer dieselben Trantüten und –tütchen , die aus Unwissenheit die Welt noch nicht verstanden haben und/oder aus Berechnung von den eigentlichen Themen anzulenken versuchen?
Wir müssen das Recht auf Religionskritik nicht einfordern - wir müssen es nur nutzen. Es ist auch nicht „unabdingbar, dass die Initiativen der Bundesregierung zur Bekämpfung von Hasskriminalität auch zum Schutz der Religionskritik angewendet werden“. Die Meinungsfreiheit gilt auch für bullshit, und wer will hier etwas verläßlich beurteilen, ohne Zensur auszuüben? Nein, wenn jeder seinen Senf ablassen darf, liegt es am Betrachter, womit er sich befaßt und womit nicht. Wir haben viele kluge, aufgeschlossene, informierte und faire Menschen und Menschinnen, an denen wir uns orientieren können und sollten.
Das wirklich Schlimme bzgl des Dr. Sherif Emil ist aus meiner Sicht, dass dieser sich dafür entschuldigt hat, die Wahrheit gesagt und Fakten genannt zu haben.
parker030 am Permanenter Link
hach.. immer dieser unbewusste rassismus unter den menschen. na dann:
wieso es islamophob ist, in westlichen (!!!) ländern vor dem bösen, bösen islam zu warnen.
der islam wird in westlcichen staaten kritisiert. seit mindestens 20 jahren. nicht nur das, seit 20 jahren herrscht menschenverachtende, menschenfeindliche propaganda gegenüber dem islam. in deutschland, frankreich, britannien und dem rest der EU und der USA. und eigentlich auch im rest der welt. der hass und die angst vor dem islam steigt. unaufhörlich. und hat mit der "flüchtlingskrise" seit 5 jahren seine ersten höhepunkte erreicht.
frauen werden vom islam (und allen anderen religionen der welt) unterdrückt. das ist keine neuigkeit. im gegenteil, es wird konstant betont. das im christentum, judentum und anderen religionen eins zu eins das gleiche passiert nur in anderen formen und farben wird unterschlagen. christliche fundamentalisten richten weltweit schäden an, die unsere weltpolitik, klima, ökonomie und andere systeme stark belasten, menschen töten, missbrauchen und ausnutzen. der kapitlaismus an sich ist eine krankheit, die die ganze welt befallen hat und rein auf das christentum und andere religionen zurückzuführen ist. dennoch ist das christentum ein major player in solchen belangen. weltherrschaft. machtmissbrauch. menschenhass.
nun kommen unterdrückte frauen aus islamischen ländern in den westen und schildern ihre erlebnisse und extremistischen gedanken ihrer eigenen kultur gegenüber in deutschen und amerikansichen büchern und werden von deutschen und amerikanern beklatscht. von christen. von rassisten. faschisten. nationalsozialisten. die afd benutzt solche bücher seit beginn ihrer faschistoiden politik.
es ist vollkommen okay über die eigenen erfahrungen zu berichten, aber in welchem kontext man das macht, gibt den ton an. benutz deine erfahrungen nicht, um gegen den islam zu hetzen, in einem land, in dem das sowieso schon getan wird. versuch unter deinen eigenen leuten aufzuklären. gib "den anderen" nicht noch mehr gründe, menschen mit islamischen glauben zu hassen und zu diskriminieren.
Sven Becker am Permanenter Link
hach.. mein lieber parker030!
Wie kann man nur unbewussten Rassismus anklagen und
zugleich von den "eigenen leuten" und "den anderen" schreiben?
und hassgetrieben dar, machen es sich damit schön einfach
und gehen der Kritik feige aus dem Weg, indem Sie jede auch noch
so berechtigte sachliche Kritik an Ihren Glaubensinhalten als
persönlichen Angriff umdeuten.
BTW: Großbuchstaben wäre eine willkommene Höflichkeit.
Prof. Dr. Monik... am Permanenter Link
Es ist gut, dass immer mehr Frauen und Männer so mutig sind und sich laut dafür einzusetzen, dass Mädchen ohne Kopftuch leben dürfen. Es ist wunderbar, dass TERRE DES FEMMES diesen Mut seit Jahren beweist!
SG aus E am Permanenter Link
Michael Schmidt-Salomon: „Der Staat sollte sich nicht anmaßen, es besser zu wissen als seine Bürgerinnen und Bürger“ (1). Das ist die Position der 'gbs', wenn es um die Sterbehilfe geht.
Zum Vorwurf Monireh Kazemis, sie werde nicht angehört: Ihr Gastkommentar für die NZZ wurde veröffentlicht (2) – und ihr wurde geantwortet (3). So weit, so gut. Leider geht die Diskussion nie weiter, stattdessen wird die eigene Position wieder und wieder wiederholt.
Und es ist nicht so, dass nur Exilantinnen aus muslimischen Ländern kritisiert würden. Auch 'die Identitätslinken' müssen Kritik einstecken – z.B. die Amadeu-Antonio-Stiftung für ihre Kita-Broschüre, die den Umgang mit Kindern rechter Eltern problematisiert (4). Bedenklich in letzter Zeit war allerdings die Löschung der Petition "Europas Freiheit schützen – Politischen Islam stoppen!" auf 'change.org' (5). Bemerkenswert ist hierbei, wie radikal der Petitionstext geändert werden musste, um dem Vorwurf der Islamfeindlichkeit zu entgehen (6).
Meine persönliche Meinung: Ich fand staatliche Bekleidungvorschriften schon immer übergriffig, und ich habe dafür kein Verständnis – weder für Turbanverbot, noch für Fez- oder Hutpflicht (7). Und von Kulturkämpfen zur Förderung gesellschaftlicher Homogenität halte ich schon gar nichts.
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(1) https://hpd.de/artikel/besonders-barbarische-form-des-staatlichen-paternalismus-20078
(2) https://www.nzz.ch/meinung/deutschland-muss-die-gefahr-des-politisierten-islam-erkennen-ld.1585468
(3) https://de.qantara.de/node/43119
(4) https://www.spiegel.de/panorama/amadeu-antonio-stiftung-kita-broschuere-gibt-tipps-a-9b00dd53-a45d-4349-9c03-fa374cd69956
(5) https://hpd.de/artikel/islamkritische-petition-wegen-hassrede-geloescht-19195
(6) https://www.openpetition.de/petition/blog/europas-freiheit-schuetzen-politischen-islam-stoppen#petition-main (siehe Tab. 'Neuigkeiten' ^F 'Neue Begründung')
(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Hutgesetz