Rund 360.000 Mitglieder haben die katholische Kirche 2021 verlassen – ein neuer Rekord. Auch bei der evangelischen Kirche stieg die Zahl der Kirchenaustritte im Vergleich zum Vorjahr um 60.000 auf rund 280.000. Erstmals ist in Deutschland nun weniger als die Hälfte der Bevölkerung Mitglied in einer der beiden christlichen Großkirchen. Ein Kommentar von hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg.
Nun ist also tatsächlich passiert, was von Forschern seit Jahren prognostiziert wird und was wohl noch vor wenigen Jahrzehnten vollkommen unvorstellbar gewesen wäre: In der Bevölkerung Deutschlands sind die Mitglieder der evangelischen und katholischen Kirche erstmals in der Minderheit.
In den vergangenen Jahrzehnten hat eine enorme Erosion der Bindung von Kirchenmitgliedern an ihre Kirchen stattgefunden. Insbesondere die katholische Kirche hat mit ihrer schleppenden Aufarbeitung des Missbrauchsskandals und ihrer Ignoranz gegenüber den sogenannten "Laien" dafür gesorgt, dass inzwischen selbst überzeugte Gläubige der Kirche den Rücken kehren.
Die meisten Kirchenmitglieder jedoch sind ohnehin schon lange keine überzeugten Anhänger ihrer Kirche mehr, sondern sogenannte Taufscheinchristen. Ein Faktor, an dem die kirchliche Bindung der Mitglieder an ihre Kirchen ablesbar ist, ist die Häufigkeit des Kirchgangs. Und die ist erschreckend gering. Im Durchschnitt nur etwas über 3 Prozent der evangelischen und knapp 10 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder besuchen regelmäßig den Gottesdienst. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands ergibt dies lediglich rund 3,4 Prozent der Bevölkerung, die eine enge kirchliche Bindung aufweisen (Zahlen für 2018, fowid).
Dass es trotzdem noch eine so hohe Zahl von Kirchenmitgliedern gibt, liegt daran, dass es bislang üblich war, Kinder bereits im Säuglingsalter zu taufen – schließlich taten die Freunde und Nachbarn das auch und Großeltern und Familie bestanden darauf, eben weil es "normal" war. Doch genau daran wird sich von nun an rasant etwas ändern. Je weniger Menschen Kirchenmitglied sind, desto weniger normal wird eine Kirchenmitgliedschaft und desto weniger groß der Gruppendruck, auch Mitglied zu sein oder die eigenen Kinder taufen zu lassen.
Hinzu kommt nun eine Zeit knapper Kassen, die aufgrund von Ukraine-Krieg und Verteuerung der Energiepreise in den kommenden Jahren auf uns zurollt. In einer solchen Zeit wird jeder Bürger bemüht sein, unnötige Ausgaben zu vermeiden. Der jahrelang aufgeschobene Austritt aus einer Kirche, die einem ohnehin nichts bedeutet, und mit ihm das Sparen der Kirchensteuer, könnte deshalb zum großen Trend werden.
Obwohl Statistiken klar zeigen, dass nur noch ein Bruchteil der Bevölkerung überhaupt hinter den Kirchen und ihren Glaubenssätzen steht, scheint die Politik dies allerdings noch nicht wahrgenommen zu haben. Noch immer versucht man, es den Kirchen recht zu machen. Sei es bei der horrenden öffentlichen Finanzierung von Kirchentagen oder der Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, bei denen man über Modalitäten und Ablösesumme natürlich gemeinsam mit den Kirchen verhandeln will.
Die Kirchenhörigkeit der Politik ist angesichts des massiven gesellschaftlichen Bedeutungsverlusts der Kirchen schlicht nicht mehr zeitgemäß. Doch auch der politische Bedeutungsverlust der Kirchen ist nur noch eine Frage der Zeit. Denn irgendwann wird auch die Politik erkennen müssen, dass die Kirchen immer weniger Rückhalt in der Bevölkerung haben. Spätestens wenn das politische Pro-Church-Engagement negative Auswirkungen auf die Anzahl der Wählerstimmen hat, wird sich wohl auch endlich die Politik bewegen müssen.
29 Kommentare
Kommentare
Anne N. Nerede am Permanenter Link
Wie ich gerade höre, hat Herr Ministerpräsident Wüst im Parlament die Behauptung aufgestellt, dass ihm ein Gott tatsächlich und wahrhaftig hilft!!!("So wahr mit Zeus helfe", soll er gesagt haben).
Hans Trutnau am Permanenter Link
Im Falle eines Falles schwört Politik auf wirklich Alles.
Und denkt sich nichts dabei.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Endlich vernünftige Nachrichten!
Nur für die korrumpierte Politik (noch) nicht.
Amelie Metze am Permanenter Link
Ein Gruppendruck herrscht immer noch spätestens bei der Kindergartenwahl, es werden derzeit wieder mehr Kinder getauft, da die Eltern alle Möglichkeiten ausschöpfen möchten, für ihr Kind einen Kindergarten- oder Schul
Ernie am Permanenter Link
Ich denke, es werden mehr Kinder getauft, weil die Pandemie, mit all ihren Auflagen, quasi und gefühlt vorbei ist.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Alles was dazu gesagt werden muß steht bereits in dem Artikel von Fr. Wakonigg.
Die Tatsachen sprechen für sich und es besteht die Hoffnung, dass auch die Parteien
Bei der angespannten Finanzlage welche derzeit herrscht, sollte man eine Beendigung der Subventionen an die Kirchen ernsthaft in Erwägung ziehen, welche laut GG schon längst hätte vollzogen werden sollen.
Dass die Parteien dies seit mindestens 70 Jahren ignorieren ist einer Entmündigung der Bürger gleichzusetzen.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Der Austritt aus den Kirchen hat vor allem den Effekt, dass die Macht dieser Institution wenn schon nicht gebrochen, aber auf Dauer doch so geschwächt wird, dass sie wenigstens in absehbarer Zeit in der Politik und im
Deshalb war es hochinteressant, aber auch überraschend, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 den ZDF-Staatsvertrag für verfassungswidrig erklärte und damit einen neuen ZDF-Staatsvertrag erzwang. Nach Ansicht der Richter gab die vorgesehene Zusammensetzung der Sender-Gremien dem Staat und der Politik zu großen Einfluss auf den Sender und befand, der öffentlich-rechtliche Rundfunk »dürfe nicht zum Staatsfunk werden«. Eine Verfassungsrichterstimme (vergleiche auch die Veröffentlichung des Gerichts!) äußerte sich i.d.Z. dazu wie folgt: »Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll die im Gemeinwesen vertretenen Meinungen facettenreich widerspiegeln; … Die Zusammensetzung der Kollegialorgane muss darauf ausgerichtet sein, Personen mit möglichst vielfältigen Perspektiven und Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens zusammenzuführen.« Und sehr eindeutig: »Neben großen, das öffentliche Leben bestimmenden Verbänden müssen untereinander wechselnd auch kleinere Gruppierungen, die nicht ohne weiteres Medienzugang haben, und auch nicht kohärent organisierte Perspektiven abgebildet werden.«
Auch wenn es bei diesem Verfahren um den Parteieneinfluss auf die Programmgestaltung ging, so zeigte der ursprüngliche Vertrag sehr klar, dass die Religionsvertreter vermehrten Einfluss anstrebten. Danach sollten vier Vertreter der beiden christlichen Großkirchen, zwei Vertreter der kirchlichen Wohlfahrtsverbände sowie je ein Vertreter des Zentralrats der Juden und der Muslime im Fernsehrat vertreten sein. Die größte weltanschauliche Gruppe – die Konfessionsfeien – sollten auf Betreiben der größten Lobbygruppe, der Kirchen nämlich, außen vorbleiben.
(Quelle: Die Neuregelung des ZDF-Staatsvertrages geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25.03.2014 zurück. Nachzulesen ist das Urteil hier:
www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2014/03/fs20140325_1bvf000111.html )
Carsten Ramsel am Permanenter Link
<em>Doch auch der politische Bedeutungsverlust der Kirchen ist nur noch eine Frage der Zeit.</em>
Es sinkt die Gesamtzahl der Kirchenmitglieder. Übrig bleiben die Entschiedenen, für die ihre Religiosität (politische) Handlungskonsequenzen hat. Gleichzeitig gibt es unter den Konfessionsfreien eine nicht unbedeutende Zahl an <em>care takern</em>, die meinetwegen wider besseren Wissens und gegen ihre eigenen Interessen am <em>status quo</em> festhalten wollen.
Die Realpolitik widerspricht Daniela Wakoniggs Prognosen. Die östlichen Bundesländer gehören zu den säkularsten Regionen der Welt. Dennoch wurden in den ab den 1990er-Jahren Verträge mit den Kirchen abgeschlossen.
Klaus Bernd am Permanenter Link
„Obwohl Statistiken ....“
Aber auch von den Klerikern gibt es wahrscheinlich auch nicht allzu viele, die das was sie verkündigen ernst nehmen. Belastbare Zahlen dürften da aber kaum zu ermitteln sein. Auch anonym wird keiner gern zugeben, dass er mit einer Labenslüge seine Brötchen verdient.
Und wenn es z.B. um Kindesmissbrauch geht, ist der Liebe Gott sowieso komplett außen vor. Kein Bischof spricht davon, dass in der Priesterweihe Christus selbst dem Priester die Vollmacht verliehen hat, ihn „in persona“ zu vertreten.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Ich meinte natürlich Lebenslüge. Irgendwie hatte ich dabei wohl was mit "Labern" im Kopf.
A.S. am Permanenter Link
Zitat Daniela Wakonigg: "Spätestens wenn das politische Pro-Church-Engagement negative Auswirkungen auf die Anzahl der Wählerstimmen hat, wird sich wohl auch endlich die Politik bewegen müssen."
Genau. Daran gilt es aktiv zu arbeiten, z.B. indem man den C-Parteien vorwirft, servil gegenüber den Kirchen zu sein.
Was sich auch noch als Aktionsfeld eignet:
- Religiöse Führer sind Blender, die uns Wissen vorgaukeln dass sie gar nicht haben.
- Religion ist die Ideologie der Theokratie. Drum fördert Theokratie, wer Religion fördert.
Beispielsweise ist die katholische Religion das ideologische Fundament der Theokratie des Papstes. Und die wahabitische Religion ist das ideologische Fundament der Theokratie der wahabitischen Geistlichkeit.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Da gebe ich Ihnen Recht. Es sind die Priesterkasten, die als Graue Eminenzen in die Politik hineinwirken. Selten kommt es mal so krass in den Fokus wie im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.
Willi Stockem am Permanenter Link
Viele Politiker, nicht nur aus den C-Parteien, führen das "geflügelte" Wort im Munde: "Deutschland ist ein christlich geprägtes Land".
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Alles richtig - aber trotzdem nicht zu früh freuen. Bis auch in der Politik Änderungen umgesetzt werden wird es noch lange dauern. Da reicht die einfache Mehrheit bei weitem nicht aus.
A.S. am Permanenter Link
Wenn die theokratischen Organisationen Mitglieder verliesen, sollten Demokraten eigentlich jubeln. Warum blos höre ich so wenig Jubel in Deutschland?
Deutschland ist in Wirklichkeit eine Theokratie.
Immerhin: Der Staat versorgt die Kirchen mit Geld und liefert unsere nachwachsende Generation hemmunglos religiöser Indoktrination aus.
Priester / religiöse Führer sehe ich als gewiefte Blender, die uns Demokratie vorgaukeln obwohl Theokratie die Realität ist.
Wie war das noch mit den Kruzifixen in Amststuben?
David Z am Permanenter Link
Solange nicht die dritte Dimension im Bunde, der Islam, an Bedeutung verliert, kann ich überhaupt nicht jubeln.
Dort stellen wir leider eine Steigerung fest.
Angela H am Permanenter Link
Da sich die Kirchen maßgeblich als Steigbügelhalter für Islamunterricht an deutschen Schulen und noch weiterer Privilegien islamischer Gemeinschaften betätigt haben, hätte ihr schwindender Einfluss auch hier wohl den
Carsten Ramsel am Permanenter Link
Wer stellt dort eine Steigerung fest? Können Sie bitte Quellen benennen?
A.S. am Permanenter Link
Dass der Einfluss des Islam wächst und das von der Politik gewollt ist, sieht man u.a.an der Personalie Ferda Ataman. Das die Kirchen dahinter stecken, speziell die evangelische, darf vermutet werden.
David Z am Permanenter Link
Ich wundere mich über die Frage. Mit einem einzige google search hat man direkt diverse Treffer.
Hier ist einer:
https://www.pewresearch.org/fact-tank/2017/04/06/why-muslims-are-the-worlds-fastest-growing-religious-group/
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Die Politik betreibt statt Trennung von der Kirche, eine Re-Christianisierung der Gesellschaft, oder versucht sie mindestens. Das wurde hier schon mehr mal diskutiert.
David Z am Permanenter Link
Wo stellen Sie eine Re-Christianisierung fest?
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Die kritiklose Finanzierung der Kirchen zeigt mir, dass die Politik die Rolle der Kirchen immer noch positiv sieht. Ich sehe keine Tendenz für die Staat-Kirche Trennung.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Und der Beschluss des Landes Berlin jetzt ein Konkordat mit dem Vatikan zu unterzeichnen.
David Z am Permanenter Link
Soweit ich das sehe, ist das oben keine Antwort auf meine Frage.
Peter am Permanenter Link
Die Bedeutung (Macht) der Kirchen mag zwar ruckläufig sein, keinesfalls aber die Macht der Religionen. Wo die christlichen Kirchen an Bedeutung verlieren, weiten andere Religionen ihren Machtanspruch dramatisch aus.
Werner Koch am Permanenter Link
Die Zahlen stimmen nicht:
Rene Goeckel am Permanenter Link
An der Kirchenhörigkeit der Politik wird sich wenig ändern, solange noch so viele Politiker/Abgeordnete extra für sie geschaffene Alibi-Kirchenjobs innehaben.
Gangolf Ehlen am Permanenter Link
Die nicht abreißenden Skandale werden (hoffentlich) dazu führen, dass es zumindest in Deutschland einen Umbau der Kirche in Richtung mehr Demokratie geben wird. Wir haben 27 Bistümer hier.