Kommentar zum Tod von Malte C.

Wir werden dem Hass nicht weichen

Der couragierte 25-jährige Malte, der Ende August beim CSD in Münster tätlich angegriffen wurde, nachdem er zwei Teilnehmerinnen gegen homophobe Verbalattacken verteidigt hatte, ist am vergangenen Freitag seinen Verletzungen erlegen. Wohin mit der Erschütterung und der Wut? In die Öffentlichkeit, sagt unser pansexueller Autor.

Es ist eine Tat, die kaum zu begreifen ist. Am Rande des Christopher Street Day in Münster werden am 27. August zwei Teilnehmerinnen von einem Passanten und dessen Begleiter als "lesbische Huren" beschimpft, die sich gefälligst "verpissen sollen". Ein junger Mann schreitet ein, um die homophoben Angriffe des Passanten zu unterbinden und die Situation zu deeskalieren. Doch stattdessen geschieht das Gegenteil: Unvermittelt schlägt der Passant mindestens einmal auf den jungen Malte ein, dieser kommt, bereits bewusstlos, mit dem Hinterkopf auf dem Asphalt auf. Wenige Tage später erliegt Malte im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Beispielbild
Vor dem Historischen Rathaus in Münster entstand spontan eine Stätte des Gedenkens an Malte C. (Foto: © Daniela Wakonigg)

Meine erste Reaktion auf diese Geschichte war Fassungslosigkeit. Völlig ohne Grund ging das Leben eines jungen Mannes zu Ende, der nichts weiter wollte, als anderen solidarisch zur Seite zu springen. Nur allzu schnell möchte man nun darauf verfallen, Verurteilungen auszusprechen und transphobe Motive zu unterstellen. Doch wir wissen gar nicht, ob der gewalttätige Passant Malte als trans*Mann erkannt und deswegen niedergeschlagen hat. Genauso wenig wissen wir, ob besagter Passant nicht einfach jeden, die*der in dieser Situation eingeschritten wäre, in den Beton geprügelt hätte. Ich möchte daher nicht über Motiv oder Geisteshaltung des mittlerweile in U-Haft befindlichen Tatverdächtigen sprechen. Stattdessen möchte ich diesen Text all jenen widmen, die mich und die Community noch immer fragen: "Warum müsst ihr andauernd mit Fahnen und Musik durch die Straßen ziehen und uns nerven? Ihr habt doch eure Rechte, ihr dürft heiraten und adoptieren, gebt endlich Ruhe!"

Sehr geehrte Personen an den binären Rändern des geschlechtlich und sexuell diversen Spektrums, die sich noch nie die Frage stellen mussten, ob sie gleich jemand zusammenschlägt, wenn sie in der Öffentlichkeit ihre gleichgeschlechtliche Partner*in küssen oder Schminke und Rock tragen: Wir hissen unsere Fahnen und erheben unsere Stimmen nicht trotz, sondern wegen Grausamkeiten wie dieser. Wir sind laut und unbequem, nicht, um Sonderrechte einzufordern, sondern um die Rechte einzufordern, die ihr ganz selbstverständlich in Anspruch nehmt. Und ich bitte euch: Helft uns dabei. Wie ihr seht, geht es um Leben und Tod.

Unser Ziel ist es, dass sich homosexuelle, queere und transgeschlechtliche Menschen mit der gleichen Selbstverständlichkeit in der Öffentlichkeit bewegen und ausdrücken können wie alle anderen. Werden wir eine solche Gesellschaft in absehbarer Zeit erreichen? Wahrscheinlich nicht. Doch in dem Moment, in dem wir aufhören, davon zu träumen, verlieren wir all die Konzessionen, die wir uns seit der Genesis der Lesben- und Schwulenbewegung vor 50 Jahren mühsam erkämpft haben.

Vor zwei Jahren habe ich über eine Studie der European Agency for Fundamental Rights zum Thema "LGBTI in der EU" berichtet. Die Empfehlung damals: gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation insbesondere von trans- und intergeschlechtlichen Menschen sowie von jungen LGBTI-Personen. Leider zeigt eine chronologische Auflistung des Lesben- und Schwulenverbands, dass die Zahl an Straftaten im Allgemeinen und Gewalttaten im Speziellen gegen geschlechtlich und sexuell diverse Menschen seit Jahren zunimmt. Die Dunkelziffer ist dabei gigantisch, denn es gehen, wie die Studie der EU zeigt, nur 13 Prozent der Befragten überhaupt zur Polizei, um einen homo- oder transphoben Übergriff anzuzeigen.

Die Lösung ist, so paradox es in dieser Situation klingen mag, mehr Sichtbarkeit. Die zitierte Studie zeigt, wie andere auch, dass die Community den vermeintlichen Widerspruch aufgelöst hat. Ja, das sichtbare, öffentliche Ausleben der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität erhöht das Risiko, Gewalt oder Diskriminierung zu erfahren. Doch es ist auch der wichtigste Faktor zur Verbesserung der eigenen Lebensqualität.

Ich selbst bin in etwa so alt wie die endgültige Gleichstellung homosexueller Handlungen mit heterosexuellen, die erst 1994 ihren Weg in deutsche Gesetzbücher fand. Dieser simple Fakt dient mir als stete Mahnung daran, dass ich auf den Schultern von Giganten stehe, wie Isaac Newton es einst treffend ausdrückte: Ich darf nur deswegen öffentlich Männer küssen, weil Abertausende vor mir dafür in den Knast wanderten oder gar ihr Leben ließen. Aufzuhören, von einer fairen Gesellschaft zu träumen, hieße, all die Opfer, die diese Menschen gebracht haben, zu vergessen. Ihnen wie auch Malte sind wir es schuldig, weiterzukämpfen. Daher werden wir dem Hass nicht weichen, egal, woher er kommt.

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