Sterbehilfe: Geplante Beratungspflicht ist mehr Hürde als Unterstützung

Seit das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil im Jahr 2020 das Verbot der organisierten Sterbehilfe aufgehoben hat, ist es Ärzten wieder erlaubt, Sterbewillige bei der Durchführung ihres Freitodes zu unterstützen. Politiker im Bundestag möchten nun nach der Kippung des freiheitsraubenden Paragrafen 217 StGB wieder neue gesetzliche Hürden aufbauen.

Suizidhilfe ist in Deutschland derzeit straffrei – solange der Betroffene die Handlung selbst durchführt, zum Beispiel das verordnete Medikament eigenständig zu sich nimmt. Somit wird Sterbehilfe wieder praktiziert, so wie es vor dem im Jahre 2015 eingeführten Verbot der organisierten Freitodhilfe, Paragraf 217 Strafgesetzbuch (StGB), der Fall war. Nach Paragraf 217 StGB war es lediglich Angehörigen und nahestehenden Personen erlaubt, Sterbewilligen beim Freitod zu helfen, sofern diese Hilfe nicht auf Wiederholung ausgerichtet war.

Bereits seit dem Jahr 2020 betreibt die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) das Infotelefon "Schluss.Punkt" für jedermann, der über eine Lebensbeendigung nachdenkt. Ziel dieses Infotelefons ist eine ergebnisoffene Beratung zu allen Handlungsoptionen am Lebensende. Auf diese Weise sollen riskante Suizidversuche beziehungsweise Kurzschlussreaktionen verhindert und gut überlegte Freitode ermöglicht werden.

Politiker im Bundestag möchten nun nach der Kippung des freiheitsraubenden Paragrafen 217 StGB durch das Bundesverfassungsgericht wieder einmal gesetzliche Hürden durch sogenannte Regulierung der Sterbehilfe aufbauen.

Drei Gesetzentwürfe liegen im Bundestag vor

Der Gesetzentwurf der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr sieht vor, flächendeckend Beratungsstellen anzubieten. Diese werden dann staatlich anerkannt privat betrieben und erhalten die Finanzierung aus öffentlicher Hand. Sterbewillige sollen nach diesem Entwurf ein Sterbemedikament von einem Arzt erhalten können, wenn sie höchstens acht Wochen zuvor eine staatlich anerkannte Beratungsstelle aufgesucht haben.

Auch in den anderen beiden im Bundestag vorliegenden Gesetzesentwürfen ist von verpflichtender Beratung in staatlich anerkannten Beratungsstellen die Rede. Der Gesetzentwurf von Frau Helling-Plahr ist als Handlungsempfehlung zu verstehen (bei Nichteinhaltung drohen keine juristischen Folgen). Nach den Entwürfen von Renate Künast und Prof. Dr. Lars Castellucci ist das Bereitstellen eines Sterbehilfemittels allerdings verboten und strafbar, wenn zuvor keine entsprechende Beratung einer oben genannten, staatlich anerkannten Stelle erfolgt ist. (Zwischen Beratung und Freitodhilfe sind auch hier zeitliche Fristen einzuhalten).

Nach dem Entwurf von Frau Helling-Plahr soll mit allen Stellen zusammengearbeitet werden, die Hilfen für Menschen mit Suizidgedanken anbieten. Es ist allerdings auch in dem Entwurf festgehalten, dass es keine Verbindung zu Sterbehelfern und Sterbehilfegesellschaften geben darf. Auch darf der Berater einer Beratungsstelle nicht an einer späteren Freitodbegleitung beteiligt sein. Als Grund wird in diesem Entwurf ein mögliches finanzielles Interesse an der Durchführung genannt.

Kommerzielles Interesse?

Wenn die DGHS oder andere Sterbehilfegesellschaften keine Beratung anerkannt und finanziert bekommen, weil ihnen ein kommerzielles Interesse unterstellt wird, dann sollte dieses Interesse ebenfalls der Caritas und Diakonie unterstellt werden dürfen. Sie sind die größten nichtstaatlichen Arbeitgeber in Europa (sie haben mehr Mitarbeiter als die deutsche Automobilindustrie). Bei den Umsatzzahlen stellen die konfessionellen Träger viele Konzerne in den Schatten.

Das Beratungstelefon "Schluss.Punkt" der DGHS würde sich sehr gut als Beratungsstelle eignen und könnte doch dann auch vom Staat anerkannt und finanziell gefördert werden. Die DGHS vermittelt Sterbewillige unter gewissen Voraussetzungen auch an ärztliche Sterbehelfer und Juristen. Damit aber erfüllt die Informationsstelle "Schluss.Punkt" nicht die Voraussetzung nach dem Entwurf von Frau Helling-Plahr.

Zu einer ergebnisoffenen Beratung gehören Informationen zu Handlungsalternativen, zu Möglichkeiten der Palliativmedizin und der Hospizarbeit. Möglichkeiten der Freitodhilfe und die Vermittlung zu entsprechenden Stellen sollten dann aber für eine Beratungsstelle denselben Stellenwert haben.

Aufklärungspflicht ist bereits jetzt gesichert

Bereits jetzt ist geregelt, dass der Freitodwillige bei einer ärztlichen Freitodunterstützung über die möglichen Alternativen gut aufgeklärt sein muss. Unter den Randnummern (RN) 242 und 246 des Bundesverfassungsgerichtsurteils aus dem Jahre 2020 ist dies nachzulesen.

In Paragraf 630e des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist festgeschrieben, dass Ärzte zur Aufklärung und Beratung verpflichtet sind. Daher ist es nach derzeitiger Lage nicht zu befürchten, dass ein Sterbewilliger durch mangelnde Aufklärung und Nichtwissen über mögliche Handlungsalternativen mit ärztlicher Hilfe aus dem Leben scheiden wird. Das ärztliche Handeln wäre sonst strafbar.

Sterben zu wollen ist ein schwieriges und höchst sensibles Thema. Daher sollte jeder selbst entscheiden können, wem man sich öffnen und anvertrauen möchte. Dies kann gegebenenfalls eine staatlich anerkannte Beratungsstelle sein oder ein Arzt der eigenen Wahl. Wahlfreiheit aber gehört zum eigenverantwortlichen Handeln eines selbstbestimmten Menschen.

Neben guter medizinischer Aufklärung (RN 242 und 246) sind in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts weitere Kriterien zur Suizidhilfe festgelegt:

  1. Urteils- und Entscheidungsfähigkeit des Sterbewilligen sowie sein freier Wille müssen ersichtlich sein (RN 240). Eine fortgeschrittene Demenz macht Freitodhilfe unmöglich. Ebenso sind Menschen geschützt, deren Willensfähigkeit durch Intoxikation, zum Beispiel durch Drogen, entsprechende Medikamente oder durch Krankheit beeinträchtig ist.
  2. Keine akute psychische Störung als Grund des Suizidwunsches (RN 241). Menschen mit einer depressiven Augenblickstimmung oder Liebeskummer sind geschützt.
  3. Es darf nicht ersichtlich sein, dass Druck von außen zur Inanspruchnahme von Suizidhilfe (RN 243) vorhanden ist. Hierbei werden Angehörige unter Verdacht gestellt, dass sie zum Beispiel früher erben wollen.
  4. Dauerhaftigkeit und innere Festigkeit des Suizidwunsches (RN 244).

Somit gibt es heute schon klare Richtlinien für Ärzte und Sterbehilfevereine, wie zu verfahren ist, um sich nicht strafbar zu machen. Diese haben oben genannte Kriterien zu prüfen. Daher gibt es, anders als von Politikern wiederholt behauptet, keine juristische Lücke, die zu schließen sei. Staatlich anerkannte Beratungsstellen können hilfreich sein, die Beratungsstellen, von denen in den drei Gesetzentwürfen zur Regulierung der Sterbehilfe die Rede ist, erwecken allerdings eher den Anschein von durch den Staat kontrollierten und finanzierten Manipulationsstellen. Menschen soll hier der Wunsch, Sterbehilfe zu erhalten, ausgeredet werden. Dieses Ziel kann keine Grundlage für ein vertrauensvoll offenes Gespräch zwischen einem Hilfesuchenden und einem Berater sein.

Wäre der flächendeckende Aufbau von Beratungsstellen überhaupt zeitnah möglich?

Angesichts des Fachkräftemangels im medizinischen Bereich dürfte es abgesehen davon für lange Zeit unmöglich sein, flächendeckend Beratungsstellen mit entsprechend qualifiziertem Personal bereitstellen zu können. Es sollte hier – wenn überhaupt nötig – erst einmal mit dem Aufbau solcher Beratungsstellen begonnen werden. Es macht keinen Sinn, Bedingungen festzulegen, die dann von den Betroffenen nicht eingehalten werden können. Der Personenkreis der Sterbewilligen ist oftmals multimorbid.

Diesen Menschen ist es kaum oder gar nicht möglich, entsprechende Stellen persönlich aufzusuchen. Ein Haus- oder Heimbesuch des Beraters wird oftmals notwendig sein. Das kostet viel Zeit. Ob dies umgesetzt werden kann, ist äußerst fraglich. Eine gesetzlich vorgeschriebene Beratungspflicht von einer staatlich anerkannten Beratungsstelle stellt für viele Sterbewillige eine große Hürde dar und keine Hilfe. Durch die festgelegten Fristen wird es dann Menschen, die nicht mehr leben möchten, oft unmöglich gemacht, selbstbestimmt zu sterben. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2020 sagt uns diese freie Entscheidung aber zu.

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