Bei den jüngsten Landtagswahlen in Bayern und Hessen hat die AfD starke Gewinne verbuchen können. Wie kommt es gegenwärtig zu dem hohen Zuspruch für die AfD und was bewegt ihre Wähler? hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg führte hierzu ein Interview mit Politikwissenschaftler Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber.
hpd: Obwohl es sich anhand von Umfragen längst erahnen ließ, hat es doch viele Menschen sehr schockiert, wie gut die AfD bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern abgeschnitten hat. Wie kommt es Ihrer Auffassung nach aktuell zu diesen hohen Ergebnissen für die AfD, Herr Prof. Pfahl-Traughber?
Armin Pfahl-Traughber: Hier kommen unterschiedliche Faktoren in Kombination zusammen. Zunächst einmal muss man daran erinnern, dass es seit Jahrzehnten ein latentes rechtsextremistisches Einstellungspotential in der Bevölkerung gibt, welches je nach Kriterien zwischen fünf und 15 Prozent beziffert werden kann. Lange Zeit artikulierte sich dieses nicht bei Wahlen, da es eine allgemeine Zufriedenheit in der Bevölkerung gab und keine attraktiv wirkende rechtsextremistische Partei existierte.
Beide früheren Gegebenheiten sind aktuell nicht mehr präsent. Daher kann aus latenten Einstellungen eine manifeste Verhaltensweise werden, hier eben in Form von Stimmen für die AfD. Als aktuelle Faktoren kommen hinzu: der Unmut über die Politik der Bundesregierung, was sich in sinkender Zustimmung der Ampelparteien bei den Umfragen zeigt. Darüber hinaus hat es die CDU nicht verstanden, diesen Unmut in Zustimmung für sich selbst umzuwandeln.
Und schließlich gibt es kontinuierliche Krisenphänomene, eben nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Ich muss hier keine Beispiele nennen, jede Nachrichtensendung vermittelt das Gemeinte. Derartiges führt zu einem Gefühl der Angst und Unsicherheit. Und Angst ist immer ein günstiger Mobilisierungsfaktor für Rechtsextremisten.
Ihre größten Hochburgen hat die AfD ja nach wie vor im Osten. Gibt es dafür Erklärungsansätze? Unterscheiden sich die AfD-Wähler in West und Ost? Wenn ja: Wie?
Letztere sind mehr, wäre eine erste Antwort. Aber gleich wieder seriöser: Blickt man auf die Sozialstruktur der Wähler, dann bestehen kaum Unterschiede: Es handelt sich eher um Männer, weniger um Frauen. Die mittleren Altersgruppen dominieren, also die zwischen 30 und 60 Jahre alten. Bei den letzten Landtagswahlen stiegen aber die Stimmanteile der jüngeren Wähler erstmals wieder stärker an. Es sind eher Arbeiter oder Arbeitslose, die AfD wählen, weniger etwa Beamte. Bei der formalen Bildung ist die mittlere Gruppe am stärksten anfällig für das entsprechende Wahlverhalten, erst danach kommen die Wähler mit formal geringer Bildung, weniger gelingt es der AfD, bei höher Gebildeten zu punkten. Ansonsten hat sie auch mehr im ländlichen Raum und weniger in Großstädten Erfolge zu verzeichnen.
Interessant ist, dass die meisten Wähler eine pessimistische Einschätzung ihrer eigenen ökonomischen Lage vornehmen. Und damit komme ich auch zum Ost-West-Vergleich: Seit Mitte der 1990er Jahre stieg die dortige Bereitschaft, eine rechtsextremistische Partei zu wählen, kontinuierlich an. Dies hing auch mit der Enttäuschung über die doch nicht eintretenden "blühenden Landschaften" zusammen. Darüber hinaus konnten sich im ländlichen Raum Ostdeutschlands häufig die westdeutschen Parteien nur schlecht verankern. Dies eröffnete Optionen für andere Parteien, zunächst für die PDS beziehungsweise Die Linke. Mittlerweile ist ein gewisser Anteil von deren Wählern zur AfD hinüber gewechselt. Eine solche Entwicklung hat viel mit Frustverarbeitung zu tun, wobei ich damit die Wähler keineswegs nur als Opfer sehe. Ich benenne nur deren subjektive Wahrnehmung.
Wie hoch ist der Anteil der "echten Rechten" und wie hoch der der Protestwähler bei der AfD einzuschätzen?
Blickt man auf die Ergebnisse der Wahlforschung, so wurde etwa für Bayern und Hessen ein Hälfte/Hälfte-Verhältnis konstatiert, mit einem starken Ansteigen bezüglich der inhaltlichen Übereinstimmung. Ich bin indessen kein Freund dieser Unterscheidung: Denn Einstellung und Protest müssen sich nicht ausschließen. Eher kommen beide Aspekte zusammen.
Bereits in den 1980er Jahren bestanden rechtsextremistische Einstellungen in der Bevölkerung, die sich aber aufgrund einer allgemeinen Zufriedenheit mit der sozioökonomischen Entwicklung nicht bei Wahlen artikulierten. Die Gemeinten wählten mehrheitlich die damaligen großen beiden Volksparteien und eben nicht die NPD, wie man mit Blick auf die Datenerhebung mit einem gewissen Erstaunen feststellen kann.
Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre änderte sich die erwähnte Zufriedenheit mit den Gegebenheiten, so kamen Einstellungen und Protest zusammen, was dann die zeitweiligen Wahlerfolge der Republikaner, sozusagen der damaligen AfD, maßgeblich erklärt.
Noch zum Protestmotiv eine Bemerkung: Man darf auch einmal eine andere Blickrichtung einnehmen und die Frage stellen: Sind denn diese Wähler ansonsten überzeugte Demokraten? Würde denn ein solcher Demokrat auch bei größtmöglichem Frust eine extremistische Partei wählen? Mit der Formulierung "Protestwähler" spricht man teilweise den Gemeinten die Verantwortung dafür ab, dass sie eine solche extremistische Partei wählen.
Die AfD hat ja seit ihrer Gründung verschiedene Phasen der politischen Ausrichtung durchlaufen. Wie würden Sie die gegenwärtige Ausrichtung der AfD charakterisieren?
Meine Formel dazu lautet: Aus einer ursprünglich rechtsdemokratischen Partei mit einer rechtsextremistischen Minderheit wurde eine rechtsextremistische Partei mit einer rechtsdemokratischen Minderheit. Gut ablesbar ist diese Entwicklung anhand des Personals an der Spitze: Lucke, Petry und Meuthen gingen. Alle verwiesen nach ihrem Ausstieg darauf, dass der Anteil rechtsextremistischer Kräfte in der Partei stark angestiegen war. Mit Stolz bekundete Maximilian Krah, der AfD-Spitzenkandidaten zu den Europawahlen im nächsten Jahr, dass die Partei noch nie so weit rechts gewesen sei wie heute. Er ergänzte: Während sich alle anderen rechten Parteien in Europa mäßigten, um Wahlerfolge zu erzielen, laufe es bei der AfD in Deutschland gerade in einem anderen Sinne. Formal ist das eine zutreffende Beobachtung, die auch die Radikalisierung in der Partei veranschaulicht.
Wenn man die programmatischen Auffassungen der AfD zu sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen betrachtet, so kann man sehr schnell feststellen, dass die Partei, wäre sie an der Regierung, einem Großteil ihrer Wähler viele Nachteile bringen würde. Warum wählen die trotzdem AfD?
Diese Beobachtung ist richtig, es gibt dazu aus dem gewerkschaftsnahen Kontext einige Studien, welche eine "neo-liberal" – ich mag dieses Etikett eigentlich nicht, nutze aber mal in der Kürze diesen Terminus – ausgerichtete Grundhaltung zu erkennen geben. Gerade dies hätte für viele Wähler, die eine pessimistische Einstellung zu ihrer eigenen beruflichen und sozialen Entwicklung haben, sehr negative Konsequenzen.
Als kleiner Exkurs an dieser Stelle: Es ist umso bedauerlicher, dass diese Einschätzungen nicht stärker öffentlich präsent sind. Die soziale Frage ist immer noch eine relevante Frage. Eine politische Linke scheint aber aktuell eher mit Selbstfindungsproblemen zu kämpfen als sich um solche grundlegenden Aspekte ihres eigenen politischen Selbstverständnisses zu kümmern. Dafür – und hier ist der Exkurs dann doch schon zu Ende – greift die AfD mitunter den kapitalismuskritischen Diskurs auf, gerade bei Höcke kann man immer wieder Aussagen ausmachen, welche isoliert betrachtet wie eine linke Position klingen. Gleichwohl entspricht die damit suggerierte Auffassung gar nicht der Parteiprogrammatik.
Und jetzt, sorry, zurück zu Ihrer Ausgangsfrage: Die AfD-Wähler stimmen daher verständlicherweise nicht aus diesen Gründen für die Partei, sie kennen deren Auffassungen womöglich nicht oder wollen sie nicht zur Kenntnis nehmen. Sie projizieren ihre Ängste und ihren Unmut auf andere Themen, wozu vorrangig die Migration zählt.
Auch hier veranschaulicht uns der Blick in die Wahlforschung, dass dies ein ganz entscheidender Faktor für die Zustimmung ist. Bestätigt wird dieser Eindruck noch durch die Historie der Partei: Wenn die Migration kaum ein Thema in der öffentlichen Wahrnehmung war, dann gingen die Stimmen zurück. Wurde Migration zu einem wichtigen Thema, noch dazu mit emotionalisierter und polarisierter Betrachtung wie in einer großen deutschen Tageszeitung mit vier Buchstaben, dann stieg die Bereitschaft zur AfD-Wahl an. Bekanntlich hatte Alexander Gauland die Flüchtlingsentwicklung ab 2015 als ein "Geschenk für meine Partei" bezeichnet. Sie war seinerzeit auf unter vier Prozent bei den Umfragen gesunken und trat erst danach ihren elektoralen Siegeszug an.
Momentan macht eine Petition die Runde, die sich für die Prüfung eines Verbots der AfD ausspricht. Glauben Sie, dass ein solches Prüfungsverfahren Aussicht auf Erfolg haben könnte? Was würde passieren, falls die AfD verboten würde? Ihre Unterstützer würden damit ja nicht verschwinden.
Zunächst einmal: Ich glaube ja nicht … Aber auch hier gleich wieder seriös: Seit dem letzten Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2017 zum beantragten Verbot der NPD wissen wir, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen: eine aggressiv-kämpferische Einstellung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die für die NPD nachweisbar war, und eine relevante gesellschaftlich-politische Relevanz, die für die NPD seinerzeit nicht mehr nachweisbar war. Dies erklärt das Scheitern des seinerzeitigen Verbotsverfahrens. Bezogen auf die AfD lässt sich konstatieren, dass das zweite Kriterium erfüllt ist. Aber wie sieht es mit dem ersten Kriterium aus?
Aus der Blickrichtung der politikwissenschaftlichen Extremismusforschung geht es um eine rechtsextremistische Partei. Gleichwohl müsste ein besonderer Grad von Extremismusintensität erreicht sein, um hier in einem juristischen Sinne von einer aggressiv-kämpferischen Haltung im Sinne von Verbotswürdigkeit zu sprechen. Eine solche Einstellung sehe ich aktuell als noch nicht nachweisbar an. Gleichwohl entwickelt sich die Partei kontinuierlich in diese Richtung. Die Frage eines Verbots stellt sich somit aktuell weniger, vielleicht mehr in einigen Jahren. Darüber hinaus gibt es aber dann unter Umständen das Problem, dass eine Partei, die von 15 bis 30 Prozent der Bürger gewählt wird, verboten werden soll. Hier entstünde ein demokratietheoretisches Dilemma, wozu man in einem solchen Fall gesondert sprechen müsste.
Ich persönlich bin – Ausnahme wären gewaltorientierte Gruppen – weniger ein Freund von Verboten. Damit macht es sich die Politik häufig zu einfach. Es bedarf hier vielmehr des Appells an das demokratische Engagement, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. Dass es eine Einheit der Demokraten geben kann, haben die gescheiterten AfD-Kandidaturen bei kommunalen Stichwahlen gezeigt. Und es bedarf einer kritischeren öffentlichen Auseinandersetzung mit den Forderungen die AfD, die häufig genug nicht von Fachkenntnis geprägt sind und der inhaltlichen Kritik gegenüber ausgesetzt werden können. So wirbt man etwa für die deutsche Leitkultur im Parteiprogramm, ohne dafür derartige deutsche Alleinstellungsmerkmale – mit Ausnahme der Sprache, die aber auch in drei anderen Ländern gesprochen wird – nennen zu können. Dazu gilt auch für Demokraten ein altes kantianisches Motto: "Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen."
2 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Wenn demokratische Parteien Probleme (Migration) nicht lösen können, schreit das Volk nach einem starken Führer.
David Z am Permanenter Link
Es braucht weder die Beschreibung der Wählerschaft als rechtsextrem noch ängstlich, um den Erfolg der AfD zu erklären.