Es ist ein historischer Schritt: Ein breiter Zusammenschluss aus zivilgesellschaftlichen Organisationen ist der Bundesregierung zuvorgekommen und hat ein halbes Jahr nach Vorstellung der Empfehlungen der von ihr eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin einen Gesetzentwurf vorgelegt, der zeigt, wie Abtreibungen außerhalb des Strafrechts geregelt werden können. Ausgearbeitet haben ihn drei ehemalige Mitglieder der Kommission. Der Gesetzentwurf wird auch von säkularen Verbänden unterstützt.
Künftig soll eine Abtreibung bis zur zum Ende der 22. Woche der Schwangerschaft rechtmäßig sein. Ab diesem Zeitpunkt geht man von einer Überlebensfähigkeit des Fötus außerhalb der Gebärmutter aus. Eine Schwangere soll einen Rechtsanspruch auf Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch haben. Die Wahrnehmung von Beratungsangeboten soll nicht mehr verpflichtend und keine Wartefrist mehr vorgeschrieben sein. Die freie Religionsausübung als Begründung für die Ablehnung eines Abbruchs durch ein Krankenhaus soll nicht mehr möglich sein, lediglich durch Ärzte oder Ärztinnen selbst. Zudem soll der Schwangerschaftsabbruch eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse werden.
Bisher ist eine Abtreibung bis zur zwölften Woche straffrei, wenn ein Beratungsgespräch stattgefunden hat und drei Tage Bedenkzeit verstrichen sind, gilt aber grundsätzlich als kriminelle Handlung. Konfessionell getragene öffentliche Krankenhäuser lehnten Schwangerschaftsabbrüche mit Berufung auf die Unvereinbarkeit mit den religiösen Vorstellungen der Trägerorganisation mitunter ab, obwohl sie fast ausschließlich aus Mitteln des Staates finanziert werden, und trugen so einer schwierigen Versorgungslage bei. Nur in Ausnahmefällen wird eine Abtreibung bisher von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen.
Der neue Gesetzentwurf wurde von drei ehemaligen Mitgliedern der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin erstellt: Maria Wersig, Professorin für Rechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit an der Hochschule Hannover, Prof. Liane Wörner vom Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsvergleichung, Medizinstrafrecht und Rechtstheorie der Uni Konstanz sowie Prof. Friederike Wapler vom Lehrstuhl für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht der Johannes Gutenberg‐Universität Mainz. Dies geschah in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von 26 zum Thema Schwangerschaftsabbruch maßgeblichen Verbänden. Der Vorschlag regelt im Schwangerschaftskonfliktgesetz, was bisher im Strafgesetzbuch stand. Es soll einen Rechtsanspruch auf eine umfassende, ergebnisoffene psychosoziale Beratung geben, darauf muss medizinisches Personal hinweisen. Strafbar ist dafür jetzt die Nötigung, einen Schwangerschaftsabbruch zu unterlassen. Rechtswidrig bleiben der Abbruch gegen den Willen der Schwangeren beziehungsweise die Nötigung dazu und nach der 22. Woche, sofern keine medizinische Indikation vorliegt.
Säkulare Verbände begrüßen Gesetzentwurf
Mit beteiligt an der Erarbeitung des Gesetzentwurfs waren neben Verbänden wie pro familia, Deutscher Juristinnenbund, Amnesty International und Terre des Femmes auch Organisationen aus dem säkularen Spektrum wie die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) und der Zentralrat der Konfessionsfreien. Die gbs begrüßte den Gesetzesvorschlag in einer Pressemitteilung. Auch wenn der Gesetzesentwurf hinter der ifw-Forderung nach der vollständigen Legalisierung zurückbleibe, solle er unbedingt umgesetzt werden, heißt es darin von der stellvertretenden Direktorin des Instituts für Weltanschauungsrecht, Jessica Hamed: "denn durch die Möglichkeit, bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche legal einen Abbruch vorzunehmen, wird sich die Versorgungslage der ungewollt Schwangeren in Deutschland in einem kaum zu überschätzenden Maße verbessern." Dazu werde auch die grundsätzliche Entkriminalisierung beitragen, erklärte Alicia Baier von Doctors for Choice Germany in der gestrigen Pressekonferenz, in der der Gesetzesvorschlag vorgestellt wurde. Der Schwangerschaftsabbruch sei die einzige ärztliche Behandlung, die derzeit im Strafrecht geregelt ist, das schrecke ab und stigmatisiere.
"Der Zentralrat der Konfessionsfreien begrüßt, dass laut Gesetzentwurf Krankenhäuser Abbrüche nicht mehr ablehnen können. Eine institutionelle Berufung auf Religionsfreiheit kann kein Grund sein, den Versorgungsauftrag nicht zu erfüllen. Zudem sollten nur Beratungsstellen staatlich gefördert werden, die ergebnisoffen und nicht-direktiv beraten", kommentierte die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Konfessionsfreien Ulla Bonnekoh den vorgestellten Entwurf. Ines Scheibe vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung wandte sich an die Politik: Man erwarte, "dass die Regierung und das Parlament noch in dieser Legislatur den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch streichen. Dies ist menschenrechtlich und verfassungsrechtlich geboten und wird von der Mehrheit der Bevölkerung gefordert." Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende der gbs in der Pressemitteilung der Stiftung: "Es bleibt nun zu hoffen, dass die umfangreichen Arbeiten der Kommissionsmitglieder nicht vergebens waren und die Koalition das kleine historische Zeitfenster nutzt, um nach über 150 Jahren eines der zentralen Anliegen der Frauenbewegung endlich durchzusetzen."
Mehr als 53.000 Unterschriften für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
Nach der Pressekonferenz wurden Kartons mit mehr als 53.000 Unterschriften einer Petition für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs an Bundestagsabgeordnete übergeben. Vertreter aller Regierungsparteien kamen zu der Kundgebung zwischen Paul-Löbe-Haus und Reichstagsgebäude.
In den kurzen Reden der Politiker wurde immer wieder auf die "großartige zivilgesellschaftliche Bewegung" hingewiesen, die den Paragrafen 218 abschaffen und Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren möchte. Die Vertreterin der SPD bekannte, dass es jetzt der Ampelkoalition gelingen müsse, das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Man müsse davon ausgehen, dass in den kommenden Regierungen die Abschaffung des Paragrafen 218 unmöglich sein werde.
Die Petition richtet sich an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, Bundesjustizminister Marco Buschmann und Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Die Organisatoren der Unterschriftensammlung vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung betonten, dass mit der Petitionsübergabe noch einmal zusätzlich Druck auf die Bundesregierung ausgeübt werden solle. Sie fordern mit Nachdruck eine Gesetzesänderung noch in dieser Legislatur.
Die Petition "Legal, einfach, fair" kann noch bis zum März 2025 unterzeichnet werden.
4 Kommentare
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Kommentare
Tim Mangold am Permanenter Link
Bäm! Sehr gute Arbeit! Nun bräuchte sich unsere Regierung wenigstens in einem Schritt weniger zu fetzen! Sie sollte ihn einfach annehmen und damit hat es sich. :D
Dankeschön an die Damen und Herren! :D
Unechter Pole am Permanenter Link
Leider erklärt der Artikel nicht, wie ein solches Gesetz vor dem BVerfG bestehen soll, ohne dass es zuvor zu einer Grundgesetzesänderung kommt.
Bruder Spaghettus am Permanenter Link
"Eine institutionelle Berufung auf Religionsfreiheit kann kein Grund sein, den Versorgungsauftrag nicht zu erfüllen."
Richtig.
Aber wieso wird scheinbar ein individuelles Recht, Religionsfreiheit als Grund für Arbeitsverweigerung anzugeben, akzeptiert?
Wo führt das hin, wenn das zur allgemeinen Regeln wird?
Dürfen dann zukünftig auch kellnernde Pastafari sich weigern, Gästen Pastagerichte zu servieren, weil sie das individuell als Blasphemie sehen?
G.B. am Permanenter Link
Immer diese Extrawürste der Religioten, es ist zumKot....wann hört das mal auf?