Sexistische Belästigungen in der Öffentlichkeit

"Catcalling" soll bestraft werden

Es tut sich was in Sachen strafrechtlicher Verfolgung von Catcalling. Sexistische Äußerungen oder Gesten gegenüber Frauen, auch wenn es nicht zu einem körperlichen Kontakt kommt, sollen strafrechtlich verfolgt werden. Es geht um aufdringliche Blicke, das Hinterherpfeifen, um Kussgeräusche, sexistische Bemerkungen, obszöne Witze, Aufforderungen zu sexuellen Handlungen, anzügliche Kommentare über den Körper einer Person und anderes mehr. Hier auch mit den Mitteln des Strafrechts Einhalt zu gebieten – dazu gibt es Signale aus den Bundesländern und Vorbilder aus dem benachbarten Ausland.

Das auch bei uns verwendete englische Wort "Catcalling" ("Katzenrufen") dürfte zurückgehen auf Rufe, Äußerungen und Gesten, mit denen ein Katzenhalter sein Tier anlockt. Dass dieser Begriff für sexuell übergriffige Verhaltensweisen verwendet wird, mag auch seinen Ursprung darin haben, dass Katzen in ihrem Paarungsverhalten nach einem Partner schreien. Wie auch immer die Herkunft des Anglizismus sich erklären mag – für Betroffene ist ein solches Verhalten alles andere als ein Kompliment, sondern höchst übergriffig. Und auf der Seite der Täter, in seltenen Fällen auch der Täterinnen, fehlt oftmals das Unrechtsbewusstsein. Dabei können solche Verhaltensweisen die Betroffenen zu Objekten herabwürdigen. Und in extremen Fällen Ängste oder psychische Erkrankungen zur Folge haben.

Hessens Justizminister Christian Heinz (CDU) verspricht hartes Durchgreifen gegen Catcalling: "Gewalt wird nicht nur körperlich, sondern auch verbal ausgeübt. Sexistische Äußerungen oder Gesten gegenüber Frauen führen oftmals dazu, dass sie sich im öffentlichen Raum unsicher und eingeschüchtert fühlen." Im Rechtsstaat Deutschland müsse aber klar sein: "Frauen sind kein Freiwild. Wir werden jede Beleidigung, Nötigung oder Straftat mit Catcalling-Hintergrund konsequent verfolgen und ahnden." Angekündigt wurde eine entsprechende Rundverfügung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt an die hessischen Staatsanwaltschaften.

In Niedersachsen dagegen ist man der Überzeugung, dass allein das Anwenden der bestehenden Strafparagrafen nicht ausreicht. Über den Bundesrat bringt das Bundesland einen Gesetzentwurf ein. Verbale und nonverbale sexuelle Belästigung sollen als neuer Tatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Damit solle eine Lücke im Strafrecht geschlossen werden. Ziel sei es, insbesondere Frauen und Mädchen künftig besser vor Angriffen auf ihre sexuelle Selbstbestimmung zu schützen. Landesjustizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) sagt es so: "Viel zu viele Mädchen und Frauen müssen bislang erleben, dass Männer sie mit Worten oder Gesten zum bloßen Sexualobjekt degradieren. Solche Belästigungen sind nicht harmlos und schon gar kein Kompliment. Damit muss endlich Schluss sein."

In den Niederlanden gibt es bereits ein solches Gesetz. Und in Rotterdam wurde danach auch bereits ein Mann zu einer Geldstrafe von 280 Euro verurteilt. Er hatte auf offener Straße eine junge Frau mit Bemerkungen sexuell bedrängt. Und sie schließlich auch an den Hüften festgehalten. In der niederländischen Stadt werden Ordnungskräfte in Zivil eingesetzt, um das neue Gesetz durchzusetzen und Männer aufzuspüren, die mit sexuellen Äußerungen oder anzüglichen Gesten übergriffig werden.

Studie zu Catcalling

Unter sexueller Belästigung durch Worte, Gesten oder Bilder leiden vor allem Frauen und diverse Personen. Das hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) schon Ende 2021 in einer Studie festgestellt:

In einer vom KFN durchgeführten Online-Befragung haben knapp 4.000 Personen ihre Catcalling-Erfahrungen angegeben. Die Personen, die sich in der Studie geäußert haben, sind durchschnittlich 30 Jahre alt, fast 90 Prozent von ihnen sind Frauen. Ein gutes Viertel der Befragten ordnet sich dem LGBTQIA+-Personenkreis zu.

Kern der Studienergebnisse: Fast alle Befragten erlebten in den letzten drei Monaten vor der Befragung, dass ihr Aussehen bewertet und dass sie angestarrt wurden. Mehr als die Hälfte wurde aufgrund des Geschlechts beleidigt, war sexuellen Annäherungsversuchen, sexistischen Sprüchen und anzüglichen Bemerkungen ausgesetzt. Über 42 Prozent wurden sexistisch beschimpft. Knapp zwei Drittel der Befragten erhielten sexuell aufgeladene Nachrichten, mehr als ein Drittel entsprechende Bilder. Über ein Zehntel der Befragten wurde zum Opfer gezielt verbreiteter sexueller Gerüchte, sechs Prozent erhielten die Drohung, dass sexuell aufgeladene Fotos oder Videos von ihnen veröffentlicht würden und bei fünf Prozent wurden solche Medien veröffentlicht. Knapp die Hälfte der Befragten wurde verfolgt und erlebte andere Aufdringlichkeiten, die sich schon in der Nähe der körperlichen Belästigung bewegten.

In der Regel sind die Betroffenen jung: Das Durchschnittsalter, in dem Catcalling am häufigsten erlebt wird, ist 19. Meistens finden die sexuellen Belästigungen abends auf öffentlichen Plätzen, bei der Fahrt in Bus oder U-Bahn und in Clubs, Bars und Kneipen statt. Die Opfer sind in der Regel allein unterwegs. Verübt werden die Belästigungen fast ausschließlich von Männern, die meisten sind im Alter zwischen 20 und Ende 30.

Über die Hälfte der Studienteilnehmenden gab an, durch die Catcalling-Erfahrungen ängstlicher geworden zu sein und sich seit den Erlebnissen an bestimmten Orten unsicher zu fühlen, besonders wenn sie nachts allein unterwegs sind. 40 Prozent vermeiden deshalb bestimmte Orte oder Routen, acht Prozent haben sogar ihren Kleidungsstil geändert. Viele Teilnehmende fühlen sich gekränkt, bloßgestellt und zum Objekt herabgewürdigt, manche schämen sich seit den Belästigungserfahrungen ihres Körpers. Depressionen, Schlafstörungen, Müdigkeit oder Antriebsarmut können die Folgen sein.

Die nicht befriedigende Rechtslage

Aber warum reichen die bisherigen Strafgesetze nicht aus, um den Opfern zu helfen und die Täter an ihrem Tun zu hindern? Das mag ein Urteil des Bundesgerichtshofs zeigen (Beschluss vom 02.11.2017, Az. 2 StR 415/17).

Das höchste deutsche Strafgericht hatte 2017 über den Fall eines 65-jährigen Mannes zu entscheiden, der einem 11-jährigen Mädchen gesagt hatte, dass er "an ihre Muschi fassen wolle". Der Bundesgerichtshof sah dies nicht als Beleidigung im Sinne des Paragrafen 185 Strafgesetzbuch und argumentierte: "Der Angeklagte hat mit seiner einmaligen Äußerung nicht zum Ausdruck gebracht, das 11-jährige Mädchen sei mit einem entsprechenden, ihre Ehre mindernden Makel behaftet. Neben der kurzen, sexuell motivierten Äußerung sind hier keine weiteren besonderen Tatumstände festgestellt, die auf eine von dem Angeklagten gewollte herabsetzende Bewertung des Kindes schließen lassen. Die Äußerung des Angeklagten stellt sich zwar als sexuell motiviert dar, weist jedoch für sich genommen noch keinen ehrverletzenden Charakter im Sinne des §185 StGB auf."

Wem diese Art höchstrichterlicher Gesetzesauslegung nicht die Augen über den fehlenden Opferschutz öffnet, den könnte vielleicht eine Analyse des Deutschen Juristinnenbundes überzeugen, in der die gesetzlichen Regelungslücken anschaulich aufgezeigt werden.

Die Juristinnen argumentieren: Zwar gebe es Formen der sexuellen Belästigung, die bereits nach dem geltenden Recht strafbar sind – etwa als körperliche sexuelle Belästigung nach Paragraf 184i Strafgesetzbuch oder als Beleidigung nach Paragraf 185 Strafgesetzbuch. Doch der Straftatbestand der sexuellen Belästigung gemäß Paragraf 184i StGB erfasse nur sexuelle Belästigungen, die mit einer körperlichen Berührung einhergehen. Massive Formen des Verfolgens, Drohens oder Nachstellens können zudem als Nachstellung, Nötigung oder Bedrohung erfasst sein. Und verbale Belästigungen ab einem gewissen Schweregrad als Beleidigung.

Es gibt aber Verhaltensweisen, in denen die Gerichte keinen solchen Schweregrad sehen, die aber dennoch für die Opfer einschneidend sind. Der Juristinnenbund plädiert: "Formen der nicht körperlichen sexuellen Belästigung sind rechtlich sanktionswürdig, wenn sie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person in seiner negativen Dimension verletzen, indem sie ihr Sexualität unerwünscht auf eine unangemessene Weise aufdrängen. Das ist der Fall, wenn eine andere Person unerwünscht, gezielt und erheblich auf eine sexualisierte Weise bedrängt wird. Erheblich ist eine Bedrängung etwa dann, wenn sie eine Person in ein sexuelles Geschehen hineinzieht, wenn sie länger andauert, wenn die betroffene Person ihr nicht auf zumutbare Weise ausweichen kann, wenn sie bedrohlich wirkt oder wenn sie geeignet ist, die betroffene Person herabzuwürdigen."

Die Empfehlung des Juristinnenbundes lautet daher:

"Der Straftatbestand der Beleidigung sollte in der Rechtspraxis so ausgelegt werden, dass verbale sexuelle Belästigungen, die eine Person zum Sexualobjekt herabwürdigen, als Kundgabe der Miss- oder Nichtachtung dieser Person zu verstehen sind. Es handelt sich um eine Form der diskriminierenden Beleidigung, für die gesetzgeberisch erwogen werden sollte, eine qualifizierende Strafschärfung ähnlich der tätlichen Beleidigung einzuführen. Weitere Formen unzumutbar aufgedrängter Sexualität sollten in einem eigenen Straftatbestand oder als Ordnungswidrigkeit erfasst werden. Diese Norm sollte Formen sanktionswürdiger aufgedrängter Sexualität möglichst umfassend regeln. Etwa so: Wer eine andere Person verbal, durch Inhalte, Selbstentblößung oder sexuelle Handlungen auf eine Weise, die geeignet ist, sie herabzuwürdigen oder erheblich zu bedrängen, sexuell belästigt, wird mit ... bestraft. Ordnungswidrig handelt, wer eine andere Person verbal, durch Inhalte, Selbstentblößung oder sexuelle Handlungen auf eine Weise, die geeignet ist, sie herabzuwürdigen oder erheblich zu bedrängen, sexuell belästigt."

Skeptische Stimmen

Mittlerweile scheint sich auch die Politik in dieser Richtung zu bewegen – siehe Hessen, siehe Niedersachsen. Wobei es freilich auch skeptische Stimmen gibt. So sagte Anthea Pitschel, Fachanwältin für Strafrecht, kürzlich im Deutschlandfunk: "Grundsätzlich ist ein Gesetz gegen Catcalling ein gutes Zeichen, das auch eine gewisse Sensibilität in der Gesellschaft schaffen könnte (...). In der Realität werde es aber schwer umsetzbar sein, befürchtet sie." Das sehe man auch an Frankreich, wo es bereits ein solches Gesetz gibt. Carolin Dylla, ARD-Hörfunk-Korrespondentin in Paris, zu den faktischen Problemen: Ein Problem sei, dass Catcalling erst im Nachhinein angezeigt werden kann, also dann, wenn die beleidigende Person schon verschwunden ist. Die Chancen, dass die Person im Nachhinein von der Polizei gefunden wird, seien gering. Das Problem sei, so Dylla im Deutschlandfunk, dass die allerwenigsten eine Anzeige wegen Catcalling erstatten. Laut einer Erhebung, die das französische Innenministerium in Auftrag gegeben hat, wurden gerade mal zwei Prozent der Fälle angezeigt.

Bewusstsein für das Problem schaffen

Neben möglichen neuen Gesetzen und einer Sensibilisierung der Strafverfolgungsbehörden geht es um ein verändertes Bewusstsein vor allem auf Täterseite. So sagte Lara-Romina Goede, die die schon angesprochene Studie für das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen mit zu verantworten hat: "Ein entscheidendes Ergebnis der Studie ist, dass die Sensibilisierung für das Thema in der Öffentlichkeit erhöht werden muss. Das gilt insbesondere für die Orte und Plätze, an denen Catcalling vermehrt auftritt."

Ein neues Strafgesetz und die dadurch erzeugte Diskussion und öffentliche Wahrnehmung des Problems könnte eine solche Sensibilisierung durchaus schaffen. Ein Bewusstsein insbesondere auch bei Männern, die das Problem als solches gar nicht wahrnehmen, weil sie es ihrerseits nie erleben und es zu Unrecht als Petitesse abtun. Die sich gar keine Gedanken darüber machen, dass Catcalling eben kein Kompliment, kein Flirten ist, sondern eine übergriffige Machtdemonstration, eine sexuelle Belästigung. Männer, die sich nicht hineinversetzen können in die Unsicherheit der Belästigten, die in einer solchen Situation vor die Handlungsalternativen gestellt sind: Ignorieren, hinnehmen? Oder sich wehren? Aber was wird dann passieren? Folgt auf den verbalen Übergriff dann eine aggressive Handlung?

Initiativen für eine solche Sensibilisierung (unterhalb der Schwelle neuer Gesetze) gibt es bereits. Wie eine Aktion im hessischen Marburg, bei der auf Plakaten zu lesen war: "Stop Catcalling, bei Belästigung greife ich ein." Oder: "Ich bin mehr als nur mein Hintern." (Weitere von Städten initiierte Plakatkampagnen finden sich hier.)

Und es gibt sogenannte "Chalk-Back"-Aktionen. "Chalk", englisch für "Kreide", sagt, worum es geht: ums Ankreiden. Aktivistinnen sammeln über Soziale Netzwerke entsprechende Vorfälle in ihrer Stadt. Ziehen dann mit Kreide bewaffnet an die genauen Tatorte und schreiben den Wortlaut des Catcalls aufs Straßenpflaster. Um vor Ort und mit den später in Sozialen Netzwerken veröffentlichten Aktionen auch Menschen zu erreichen, die bislang nicht für das Thema sensibilisiert sind. „"

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