Ein Schulgottesdienst, der spaltet

Es geht zwar nur um zwei Unterrichtsstunden, vor allem aber geht es um Grundsätzliches: Inwieweit darf eine (nicht konfessionsgebundene) Schule während der Unterrichtszeit einen christlichen Schulgottesdienst organisieren? Wie wirkt eine solche religiöse Veranstaltung auf das soziale Gefüge der Schülerinnen und Schüler?

Diana Hay ist Mutter von zwei Mädchen. Diese besuchen die Bessunger Schule im hessischen Darmstadt, eine bekenntnisfreie Grundschule. Am 9. Dezember 2024, sieben Tage vor der geplanten Veranstaltung, bekam sie eine Mail von der Schule, in der es hieß:

"Am Montag, den 16.12.24 findet im Rahmen des Unterrichts ein gemeinsamer Weihnachtsschulgottesdienst in der Bessunger Kirche statt, zu dem alle Schülerinnen und Schüler der Bessunger Schule und das Kollegium herzlich eingeladen sind. Das Thema wird 'Licht und Dunkelheit' sein und die weihnachtliche Feierstunde wird von den verschiedenen Religruppen mit Liedern und Geschichten gestaltet. Sollte ihr Kind nicht an dieser Schulveranstaltung teilnehmen dürfen, melden Sie dies bitte möglichst frühzeitig bei den Klassenlehrer*innen, damit für Ihr Kind eine Betreuung für diese beiden Unterrichtsstunden organisiert werden kann."

Diana Hay meldete sich umgehend bei der Schulleitung. Sie sei überrascht über die Veranstaltung, insbesondere auch über die Opt-Out-Regel: dass also Kinder als angemeldet gelten, die von ihren Eltern nicht abgemeldet wurden. Wenn die Standardoption "Teilnahme" laute, könnten Eltern, die nicht so aufmerksam auf die Mitteilungen der Schule reagieren oder die nicht so gut Deutsch können, möglicherweise nicht rechtzeitig auf die Ankündigung reagieren. Ein gedrucktes Schreiben an die Eltern gab es nicht.

Diana Hay
Diana Hay, Foto: © privat

Hay verabredete sich zu einem Gespräch mit dem Konrektor der Schule. Dieser erklärte ihr, dass der Gottesdienst gewissermaßen in letzter Minute zwischen der Schule und der Kirche organisiert worden war. Daher hätten die Familien nicht früher als eine Woche im Voraus über die Veranstaltung informiert werden können. Doch selbst wenn die Kommunikation besser gelaufen wäre, bleiben doch die grundsätzlichen Zweifel, die Hay mit Blick auf den Weihnachtsgottesdienst hat. Zwar sei eine kulturelle Beschäftigung mit Religion und daraus (indirekt) abgeleiteten Traditionen in der Schule berechtigt. Aber, so argumentiert sie: "Die Veranstaltung als religiöser Gottesdienst, bei dem die Familien (zu Recht) die Wahl haben, ihre Kinder von der Teilnahme auszuschließen, teilt die Schulgemeinschaft in zwei Gruppen: die, die dabei sind und die, die nicht dabei sind. Dies wiederum bedeutet, dass die Veranstaltung nicht inklusiv ist, sondern eher separativ wirkt. Freunde beziehungsweise Klassenkameraden werden voneinander getrennt und es kann kein gemeinsames Gruppengefühl entstehen, das sonst die Bindungen stärken und die Integration in die Schulgemeinschaft fördern würde."

Diskriminiert aufgrund der Überzeugungen der Eltern

Die Kinder, die nicht an dem Weihnachtsgottesdienst teilnahmen, hätten sich stigmatisiert und minderwertig gefühlt, weil sie weder ein Geschenk (z.B. eine Kerze, eine solche bekamen die Gottesdienstteilnehmer) erhielten, noch in den Genuss einer besonderen Veranstaltung kamen wie die andere Gruppe. Das bedeute, dass bestimmte Kinder allein aufgrund der politischen/religiösen Überzeugungen ihrer Eltern (de)priorisiert und damit diskriminiert wurden. Die Schule sollte sich vielmehr bemühen, Inklusion, Toleranz und Respekt gegenüber allen Schülern zu fördern, und nicht das Gegenteil zu unterstützen, wie es mit dem Gottesdienst der Fall sei.

Der hpd hat auch die Bessunger Schule mit diesen Argumenten konfrontiert. Schließlich fordert die für die Darmstädter Schule einschlägige hessische Landesverfassung in Artikel 56, dass "der Lehrer in jedem Fach auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller Schüler Rücksicht zu nehmen hat". Das klingt schon weit fortschrittlicher als es andere Landesverfassungen formulieren. Weitaus weniger vereinbar mit der gesellschaftlichen Entwicklung (in Deutschland gibt es mehr Konfessionsfreie als Mitglieder der christlichen Kirchen) ist etwa Artikel 7 der nordrhein-westfälischen Landesverfassung. Dort heißt es: "Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung." Und in Artikel 12 der baden-württembergischen Landesverfassung wird gefordert: "Die Jugend ist in der Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe zu erziehen."

Die Bessunger Schule reagierte jedoch nicht auf unsere Anfrage. Versuchen wir daher einen Perspektivwechsel und versetzen uns in die argumentative Lage einer nicht konfessionsgebundenen Schule, die gleichwohl einen Schul- oder Weihnachtsgottesdienst anbietet. Sie könnte etwa argumentieren, dass Schulgottesdienste doch das Gemeinschaftsgefühl stärken können, insbesondere bei wichtigen Anlässen wie Einschulung, Abschluss oder auch in Krisensituationen. Oder dass religiöse oder interreligiöse Feiern Toleranz und Verständnis für verschiedene Glaubensrichtungen fördern könnten.

Nur geht es hier eben nicht um eine inter- oder multireligiöse Feier. Sondern um einen Gottesdienst in einer christlichen Kirche. So argumentiert auch Diana Hay: "Entweder ist der Gottesdienst Teil des Religionsunterrichts und wird nur für die angemeldeten Kinder angeboten. Oder es wird eine nicht-religiöse 'Licht und Dunkelheit'-Veranstaltung für alle Schüler angeboten. Dann aber an einem neutralen Ort." Darüber hinaus sei der Begriff "Gottesdienst" sicherlich problematisch, da er eng mit der Religion verbunden ist. Und auf noch etwas weist Diana Hay hin: Solche ohne Not provozierten Diskussionen wie hier um den Weihnachtsgottesdienst bergen das Risiko, dass es zu Spaltungen innerhalb der Familie und des Freundeskreises kommen kann.

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