Die Eltern von Achim Pick gingen per assistiertem Suizid im Mai 2024 gemeinsam aus dem Leben. Die Saarbrücker Zeitung veröffentlichte vor kurzem ein Porträt des Sohnes, der schilderte, wie es ihm mit dem Freitod seiner Eltern erging. Dies wollte die Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz nicht unkommentiert lassen und kritisierte mangelnde Empathie. Der hpd sprach mit der Freitodbegleiterin, die den Fall für die DGHS betreut hatte.
Ilse und Werner Kurt Pick waren 93 und 94 Jahre alt. Er war schwer krank und wollte nicht mehr behandelt werden, ins Heim wollten sie nicht. Die Frau wollte nach 70 Ehejahren mit ihm gehen. Seit fast 40 Jahren waren die beiden Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Sie haben also schon vor langer Zeit für sich die Möglichkeit des Suizids in den Raum gestellt. Und nun war der Zeitpunkt für sie gekommen. "Wir hatten ein gutes Leben", zog Ilse Pick im Vorgespräch mit der DGHS Bilanz.
Über 80 Prozent der Menschen in Deutschland befürworten die Möglichkeit zu einem freiverantwortlichen Suizid. Dieser ist seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2020 (wieder) möglich. Es gibt zwar keine gesetzliche Grundlage, die Rahmenbedingungen setzt, doch das ist auch nicht notwendig. Denn das Gericht hat das wesentliche vorgegeben: Die Freiverantwortlichkeit muss gegeben sein, wer jemand anderen zum Suizid nötigt, macht sich strafbar, auch Tötung auf Verlangen ist illegal. Der Sterbewillige muss den Sterbeprozess selbst einleiten, meist geschieht das durch das Aufdrehen einer Infusion, so war es auch bei den Picks.
Viele derjenigen, die eine Freitodbegleitung in Anspruch nehmen, sähen ihrem Tod ganz gelassen entgegen, berichtet die Sterbebegleiterin der DGHS. "Manche freuen sich regelrecht, wenn wir kommen. Ich habe es schon erlebt, dass sich jemand für diesen Tag besonders schön angezogen hat. Manche Ehepaare, die seit vielen Jahren verheiratet sind und zusammen durch dick und dünn gegangen sind, sehen es als konsequent an, auch den letzten Schritt im hohen Alter gemeinsam zu gehen." Im Vorfeld finden Gespräche mit der DGHS statt, sie hat sich selbst Richtlinien auferlegt, um sicherzustellen, dass die Suizidenten alle Alternativen kennen, diese abgewogen haben und begründet ablehnen, ihr Sterbewunsch muss freiverantwortlich und dauerhaft sein. "Natürlich weiß ich das alles", habe Ilse Pick etwas ungeduldig geantwortet, berichtet die Freitodbegleiterin, die namentlich nicht genannt werden möchte.
Angehörige tun sich naturgemäß schwer damit, Sterbewillige gehen zu lassen. Die Geschäftsführerin der "St. Jakobus Hospiz gemeinnützige GmbH Saarbrücken" Simone Niessing meldete sich mit einer Befürchtung zu Wort: "Die Rolle der Kinder oder der Ehepartner, deren Belastungen und deren Trauer, hätten bei der Abwicklung des assistierten Freitodes nicht genügend Gewicht", schrieb die Saarbrücker Zeitung. Niessing beklagte im angewandten Prozess der Sterbehilfevereine das Fehlen von "Trost, Nähe und Mitgefühl". Die Freitodbegleiterin entgegnet: "Ich würde mir dagegen wünschen, dass die Perspektive der Sterbewilligen mehr Beachtung findet". Im Vordergrund solle die Selbstbestimmung stehen. "Es ist eine eigene Entscheidung, die Fremde nichts angeht. Die Angehörigen müssen nicht einverstanden sein, auch wenn wir grundsätzlich darum bemüht sind, sie einzubeziehen."
Falsche Vorstellungen und ungelöste Konflikte
Angehörige erschwerten den Prozess manchmal, entweder aus Unsicherheit oder aus egoistischen Motiven. Es gebe auch Angehörige, die gezielt versuchten, die Suizidwilligen am Sterben zu hindern. "Da wurden schon Konten gesperrt, der Freitod im Nachhinein öffentlich skandalisiert. Häufig wird vor dem Druck im Zusammenhang mit Sterbehilfe gewarnt. Es gibt den Druck, aber nicht zum Sterben, sondern zum Leben." Es gebe da falsche Vorstellungen von der Rechtslage und es hänge von der Beziehung zwischen Angehörigen und Sterbewilligen und den Wertvorstellungen ab, ob die Angehörigen die Entscheidung nachvollziehen könnten, erklärt die Freitodbegleiterin. Ungelöste Konflikte entfalteten sich mitunter noch einmal. Etwa wenn Angehörige erst spät einbezogen würden, zur Diskussionsvermeidung. "Aber wir dürfen uns nicht in diese Dynamiken der Familien hineinziehen lassen". Es gebe aber auch viele Angehörige, die bei einem nahen Verhältnis und einer erwachsenen Beziehung zueinander die Entscheidung akzeptieren könnten. "Die meisten kommen zurecht, aber eine relevante Gruppe eben auch nicht."
Die Angehörigen sind beim Vorgespräch nur dabei, wenn der Sterbewillige das wünscht. "Aber ich biete an, dass sie mich anrufen können, ich beantworte dann ihre Fragen zu den Voraussetzungen und dem Ablauf einer Freitodbegleitung, aber ich gebe nichts Persönliches weiter, das die Antragsteller mit mir besprochen haben", so die Freitodbegleiterin. Das würden die meisten aber gar nicht in Anspruch nehmen. "Es gibt ja fast überall Trauerangebote. Trauer ist ein normales Lebensereignis, das irgendwann jeden trifft."
Der freiverantwortliche Suizid sei auf dem Weg zur Normalität – das sei aber nicht schlimm, auch wenn davor viele warnten. "Wie definiert man normal?", fragt die DGHS-Freitodbegleiterin. "Es geht nicht um Zahlen oder eine Mehrheit, es geht einfach darum, dass es eine gewisse Selbstverständlichkeit gibt, dass man diesen Weg wählen kann, auch ohne schwere Krankheit." In dieser Konstellation gebe es die Möglichkeit, die Zeit vorher besser zu nutzen, als bei einem spontanen Todesfall, für manche ist diese Art des Abschieds sogar tröstlich. "Oder aber es ist für sie der Horror bis zum Schluss, weil es sich für die Beteiligten absurd anfühlt, das Sterbedatum vorab zu wissen, gerade weil es nicht normalisiert ist".
Hospize sehen es als ihre Aufgabe, Angehörige zu begleiten, sie idealisieren einen "natürlichen" Tod. In ihrer Wahrnehmung ist ein langsames, natürliches Sterben – wenn nötig mit Sedierung zur Schmerzunterdrückung oder durch Verzicht auf Nahrungsaufnahme oder Medikamenteneinnahme – einem direkteren Suizid vorzuziehen. Sie verkennen dabei, dass viele Menschen den schnellen Tod, bei dem sie einfach einschlafen, vorziehen. Das paternalistische Bevormunden können sie einfach nicht lassen, wie es scheint: "Es müsste eine gesetzlich vorgeschriebene Sterbehilfe-Beratung geben", findet Niessing, denn ein Großteil der Bevölkerung sei nahezu uninformiert über das breite Beratungs- und Leistungsspektrum der Hospize und Palliativdienste. Dass die Menschen sich bewusst dagegen entscheiden, scheint für sie keine Erklärungsmöglichkeit zu sein. "In Hospizen gehe es darum, das Leben 'in seiner Endlichkeit anzunehmen und so zu gestalten, dass auch die letzte Lebensphase als Teil eines erfüllten Lebens' erlebt werde", zitiert die Saarbrücker Zeitung Niessing. Das selbstbestimmt verstorbene Paar Pick scheint genau das getan zu haben. Doch mit dieser Anerkennung tun sich Hospize und Palliativ-Funktionäre noch immer schwer.







6 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Und warum tun sich Palliativ-Funktionäre damit schwer, weil den Hospizen dadurch einiges
an Geldern durch die Lappen geht, welche diese mit der "Pflege" bis zum schweren Ende
Manuela Kornexl am Permanenter Link
Ja, genau darum geht es, gewisse Berufsgruppen zu erhalten und es geht um sehr viel Geld!
Ebenso dass man uns nicht einmal informiert hatte, dass meine Mutter verstorben ist! Auch das ist würdelos den Angehörigen gegenüber! Weiter haben 3 verschiedene Todeszeitpunkte von den Ärzten genannt bekommen! Was ist das für ein würdevolles Sterben? Es ist nur abscheulich wie man mit Menschen im letzten Atem umgeht! Einfach nur abscheulich! Deshalb habe ich mich für Freitodhilfe entschieden! Ein Mensch muss bis zu seinem Ableben sein eigener Herr seiner Sinne bleiben und nicht durch die Gier der Menschheit entwürdigt und enteignet werden!
Achim A. am Permanenter Link
Man kann wohl allgemein sagen, dass viele der problematischen Dinge, die der Suizidhilfe vorgeworfen werden, in gespiegelter Weise bei der Suizidprävention existieren und dort sogar Gang und gäbe sind.
Ich vermute, in den meisten Fällen, wenn Menschen zum Weiterleben gedrängt werden, geschieht dies aus Eigeninteresse. Es muss sich nicht immer um finanzielle Anreize handeln, es kann auch um die Befriedigung emotionaler oder sozialer Bedürfnisse gehen.
Der Befürchtung von ungünstiger Einflussnahme auf potentiell Suizidwillige steht die Einflussnahme auf die Medienberichterstattung bei Suizidfällen durch die Suizidprävention gegenüber einschl. der nahezu überall zu lesenden Hotline-Nummern, deren Nennung nicht wenige als infantilisierend empfinden. Von Zwangseinweisung und aufgezwungener Behandlung nicht zu reden.
Für den Suizidfall wird ganz selbstverständlich auf die Folgen für andere Menschen hingewiesen. Stillschweigend wird vorausgesetzt, dass der Normalfall darin bestehe, dass der Betroffene in letzter Konsequenz nur noch für andere lebt und leidet.
Bei der Suizidprävention scheint der Zweck beinahe die Mittel zu heiligen. Dabei betonen selbst ihre Vertreter immer wieder, dass man die Selbstbestimmung der Betroffenen respektiere.
Stefan Dewald am Permanenter Link
Mittlerweile gibt es eine Petition dazu: https://www.change.org/p/rechtsanspruch-auf-professionelle-freitodhilfe-weil-mein-ende-nur-mir-selbst-geh%C3%B6rt/u/33852893
Michael Luger am Permanenter Link
Auch beim Deutschen Bundestag liegt hierzu eine aktuelle Petition vor, die Diskussion dazu ist hier nachlesbar:
https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2025/_03/_26/Petition_179679.$$$.a.u.html
Michael Luger am Permanenter Link
Der Druck weiter zu leben (oder den Rest körperlich-geistiger Gesundheit durch einsame Suizidversuche zu gefährden) besteht auch für alle Sterbewilligen, die aus gesundheitlichen bzw.
Deshalb wäre eine Nachbesserung der Rechtslage nötig, die auch deutlich geistig Beeinträchtigten/ Andersdenkenden gleichberechtigt Hilfe erlaubt.