Kommentar

Mädchenrechte zählen in Melle nicht

Eine Schule im niedersächsischen Melle musste nach einer Kampagne eines islamischen Mediums eine Mützen-Regelung zurücknehmen.

Auf den ersten Blick war an der Regel, die sich die Lindenschule Buer in Melle in ihrer Schulordnung gegeben hatte, nichts Aufregendes: Wer das Schulgebäude betritt, hat seine Kopfbedeckung abzunehmen. Wer – zum Beispiel aus religiösen Gründen – weiterhin eine Kopfbedeckung tragen möchte, kann das bei der Schulleitung beantragen. Die Regelung, die nichts anderes erreichen wollte, als die Durchsetzung der weithin üblichen Regel, dass man eine Mütze, eine Basecap oder einen Hut in geschlossenen Räumen abnimmt, wurde jedoch sofort von dem selbsternannten "Debattenmagazin" IslamQ skandalisiert. In einem Rundschreiben habe die Schule auf das Kopftuch verwiesen, womit die Regelung auf "religiöse Kleidung" angewandt würde – was wenig überraschend ist, denn ein Kopftuch ist eine Kopfbedeckung.

Die Webseite zitiert Kerim Ocakdan, den Vorsitzenden des islamischen Verbandes Schura Niedersachsen: "In Deutschland gibt es kein Kopftuchverbot für Schülerinnen. Das Tragen eines Kopftuchs ist durch die Religionsfreiheit im Grundgesetz geschützt." Die Schura habe den Vorgang an das Niedersächsische Kultusministerium weitergeleitet und werde ihn bis zum Abschluss der Prüfung aufmerksam begleiten. "Schulen brauchen hier Sensibilität und Dialog, nicht pauschale Verbote."

Der 2023 zum Vorsitzenden der Schura Niedersachsen gewählte Ocakdan ist nicht nur Mitglied im ZDF-Fernsehrat, sondern wurde im selben Jahr auch – nach einem Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) – zum Vorsitzenden der Regionalgruppe der islamistischen Vereinigung Millî Görüş gewählt. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird die Millî-Görüş-Bewegung als die mit Abstand größte sunnitisch-islamistische Strömung in Deutschland bezeichnet. Ihr Ziel sei es, "über politische und gesellschaftliche Einflussnahmen eine nach ihrer Interpretation islamkonforme Ordnung durchzusetzen".

Denn für Islamisten ist das Kopftuch mehr als eine vor Wind, Regen und Sonne schützende Kopfbedeckung. "Islamisten machen Kopftücher zu ihren Flaggen", sagte der Islamismus-Experte Ahmad Mansour 2022 im Interview mit dem Magazin Cicero. Die Zunahme von Kopftüchern sei immer in Koalition mit einer Erstarkung des Islamismus zu beobachten. Aber weil Kritik am Islamismus in den vergangenen Jahren zunehmend als rassistisch geframed wurde, schlug der IslamQ-Artikel schnell hohe Wellen:

Das Niedersächsische Kultusministerium stellte klar, dass Schülerinnen und Lehrerinnen aus religiösen Gründen in der Schule ein Kopftuch tragen dürfen und dass ihnen dies nicht verboten werden könne.

Melles Bürgermeisterin Jutta Dettmann (SPD) verkündete auf der Homepage der Stadt: "Unsere Stadtgesellschaft ist bunt und vielfältig, dazu gehört auch die freie Ausübung der Religionsfreiheit." Der interkulturelle und interreligiöse Dialog, der seit vielen Jahrzehnten bereits intensiv zwischen Stadt und den Vertretern der verschiedenen Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen in Melle geführt und mit Leben gefüllt werde, sei der Stadt sehr wichtig.

Die Lindenschule erhielt unterdessen eine Bombendrohung, und in Graffitis wurde die Rektorin als "Rassistin" beschimpft. Es läuft für die Islamisten: Eine harmlose Regelung wird zum Angriff auf die Religionsfreiheit aufgeblasen, und das wesentlich wichtigere Thema wird tabuisiert – dass das Kopftuch dazu dient, schon kleine Mädchen zu sexualisieren und angeblich vor den Männern zu schützen, die ihre Sexualität nicht im Griff hätten.

"Diese Logik ist eine patriarchale Umkehrung von Verantwortung: Nicht der Mann soll sein Verhalten kontrollieren – sondern das Mädchen, die Frau, ihr Haar, ihren Körper", sagte Sonja Fatma Bläser vor wenigen Tagen im Interview mit der Welt.

Aber darüber zu reden, widerspricht wohl dem Selbstbild Melles als bunte und vielfältige Stadtgesellschaft. Mädchenrechte stören da nur.

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