Kirchliches Arbeitsrecht

Ein skandalöses Urteil des Bundesverfassungsgerichts

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Das Sitzungssaalgebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
Das Sitzungssaalgebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe

BERLIN. (hpd) Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat gestern in einem skandalösen Urteil das Recht der Kirche bestätigt, ihren Mitarbeitern die Grundrechte vorenthalten zu dürfen. Im so genannten “Chefarzt-Verfahren” hat das Gericht - anders als alle Vorinstanzen - die Kirche in ihrer überholten Sexualmoral bestärkt und kirchlich Beschäftige erneut diskriminiert.

Das war gestern ein rabenschwarzer Tag für die Grundrechte von Arbeitnehmern, die bei kirchlichen Einrichtungen beschäftigt sind.

Der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses heiratete als Geschiedener ein zweites Mal und ihm wurde daraufhin wegen “eines schweren Verstoßes gegen seine Loyalitätspflichten” gekündigt. Der Gekündigte klagte sich durch alle Instanzen und gewann vor dem Arbeitsgericht, dem Landesarbeitsgericht und dem Bundesarbeitsgericht. Gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat die katholische Kirche still und heimlich eine Verfassungsbeschwerde eingelegt (der hpd berichtete).

Ingrid Matthäus-Maier kommentierte die Verfassungsbeschwerde, die zum gestrigen Urteil führte, bereits im Juni mit den Worten: “Es ist das Recht eines jedermann, sich nach Karlsruhe zu wenden. Aber dieses Vorgehen straft zumindest die katholische Kirche Lügen, wenn sie immer wieder behauptet, sie sei ja bereit, über die eine oder andere Regelung mit sich sprechen zu lassen. Im Gegenteil: wenn die Kirche sogar bei einem so skandalösen Verhalten, nämlich der Kündigung eines Chefarztes in einem katholischen Krankenhaus wegen Wiederverheiratung als Geschiedener, auf ihrem vermeintlichen Recht als Arbeitgeber beharrt und nach drei verlorenen Instanzen zum Bundesverfassungsgericht geht, zeigt dies die völlige Uneinsichtigkeit und ideologische Borniertheit der katholischen Kirchenvertreter.”

Sie wies darauf hin, dass “die Kirchen praktisch nie freiwillig eine Position aufgegeben haben, sondern nur dann, wenn der Staat sie ihnen durch Gesetz oder Gerichtsurteile genommen hat.”

Das hat gestern ein Gericht nicht getan, sondern im Gegenteil hob das Bundesverfassungsgericht das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes auf. Es verletze die Kirche in ihren verfassungsrechtlich garantierten Sonderrechten, urteilte das Bundesverfassungsgericht, wenn ein Geschiedener wieder heiratet.

Also urteilt das oberste deutsche Gericht aufgrund der Lehre der katholischen Kirche, nach der die Ehe unauflöslich ist und eine Wiederheirat nach Scheidung als Sünde gilt. Damit ist das Bundesverfassungsgericht strenger als Teile des Vatikan selbst, in dem schon längst eine Diskussion begonnen hat, dieses nicht mehr in die Zeit passende Dogma aufzuweichen.

Der Zweite Senat unter Leitung von Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle stellte fest, dass das Bundesarbeitsgericht die “Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bislang nicht ausreichend berücksichtigt” habe. Dabei begründet das Karlsruher Gericht seine Entscheidung auch noch mit einer Tatsache, die keine ist. Denn das vom Bundesverfassungsgericht angeführte “Selbstbestimmungsrecht” ist - laut Grundgesetz - nur ein Selbstverwaltungsrecht. Also das Recht, die eigenen Angelegenheiten intern zu klären. “Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes heißt es im Artikel 137 GG. Das Arbeitsrecht - so könnte man dem gestrigen Urteil entnehmen, scheint kein “für alle geltendes Recht” zu sein. Ist es auch nicht - denn es gibt den Dritten Weg, der Arbeitnehmer auch weiterhin und durch dieses Urteil gestärkt in kirchlichen Einrichtungen diskriminiert.

“Gerichte dürften sich nicht über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen” heißt es in der WELT zu dem gestrigen Urteil. Wenn also Frauen- und Schwulenfeindlichkeit, wenn Missbrauch und die Verschleierung von Finanzen, die anscheinend zum kirchlichen Selbstverständnis gehören, aufgedeckt werden, dann darf kein “weltliches” Gericht dagegen vorgehen? In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich? Beziehungsweise das Voßkuhl’sche Bundesverfassungsgericht?

Auf dieses vermeintliche Selbstbestimmungsrecht (das doch nur ein Selbstverwaltungsrecht ist), geht das Bundesverfassungsgericht immer wieder ein: Es “weist darauf hin, dass das Grundgesetz ‘die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist.’” Selbst dann, wenn dieses Selbstverständnis gegen rechtliche Normen, die für die Gesellschaft verbindlich sind, verstößt. Tatsächlich klingt das schon fast nach Zuständen, die wir in islamischen Ländern wie Saudi-Arabien und Iran berechtigt anprangern: “Zweifelsfragen seien durch Rückfragen bei den Kirchenbehörden oder durch ein kirchenrechtliches oder theologisches Gutachten zu klären.” Auf die Idee, einen Arbeitsrechtsstreit durch ein theologisches Gutachten klären lassen zu wollen… darauf muss man erst einmal kommen.

Mit der gestrigen Grundsatzentscheidung geht der Fall nun zurück an das zuständige Bundesarbeitsgericht, dort muss der Fall komplett neu geprüft werden. Herr Voßkuhle hat die Richtung vorgegeben, die bei der Prüfung erwünscht ist. Auch, wenn es sich bei diesem Urteil nach Meinung der ZEIT um ein Rückzugsgefecht, einen Pyrrhussieg handelt: "Es geht also eigentlich nicht um das Arbeitsrecht. Es geht um die Macht konservativer Katholiken. Es geht um die Deutungshoheit darüber, was katholisch ist, also um einen inneren Konflikt der Kirche." Schlimm genug, dass sich das Bundesverfassungsgericht vor den Karren der konservativen Katholiken hat spannen lassen.