Sterbehilfedebatte

Staatlicher Regulierungseifer am Sterbebett

Bewertungen aus humanistischer Sicht

Zwar ist der Brand/Griese-Vorschlag als besonders drastische Verbotsregelung am schärfsten abzulehnen. Aus humanistischer Sicht sind aber auch die beiden anderen vorliegenden Entwürfe für ein Gesetz zur Suizidhilfe mit ihren Einschränkungen (etwa nur auf schwerstleidende Sterbende) oder Überregulierungen (etwa für nicht-ärztliche Mitarbeiterinnen von gemeinnützigen Gesundheitseinrichtungen) abzulehnen.

Vermeintliche Begründungen für einen Kontroll- oder Verbotseifer stellen sich als Behauptungen, Ressentiments, strategische Überlegungen oder – meist religiös geprägte - Vorbehalte heraus. Tatsache ist demgegenüber, dass es weder eine "Geschäftemacherei" mit der selbstverantworteten Lebensbeendigung gibt noch Verstöße und Gefahren, denen nicht mit der bisherigen Rechtslage zu begegnen wäre. Nur ein Antrag der Bundestagsabgeordneten Katrin Keul (Die Grünen) stellt völlig zurecht und auf Tatsachen gestützt fest, dass es gar keinen staatlichen Regelungsbedarf gibt – und erst Recht nicht im Strafrecht. Katja Keul erhielt bei der Debatte am 2. Juni jedoch nicht einmal Rederecht ihr Antrag hat keine Chance.

Es gibt keinen Bedarf für Einschränkungen – die dann wieder eine Sondererlaubnis für bestimmte Personengruppen oder bestimmte Formen der Suizidhilfe ("nicht-organisiert", laienhaft, einmalig) nach sich ziehen. Gegen eine vermeintliche Verleitung zur Selbsttötung reicht die bestehende Rechtslage völlig aus. Deshalb bleibt deshalb weiterhin richtig, was das Bündnis zur Selbstbestimmung am Lebensende im März 2014 in seinen Leitsätzen formuliert hat:

"1. Die Beihilfe zur Selbsttötung (Suizidbeihilfe) ist in Deutschland straffrei (oder "keine Straftat"), wenn der Entschluss zur Selbsttötung freiverantwortlich ist. Wer hingegen Suizidbeihilfe leistet, wenn der Tatentschluss des Suizidenten aus einer krankhaften Störung entspringt, macht sich nach geltendem Strafrecht wegen Tötung strafbar.
2. Es besteht keine Notwendigkeit, an dieser geltenden Rechtslage etwas zu ändern."

Insbesondere ist eine neue Verbotsregelung im Strafrecht zurück zu weisen, was in einem beeindruckenden Appell von 140 namhaften Strafrechtsprofessoren bekräftigt wird. Die vielen noch unentschiedenen Bundestagsabgeordnete aller Parteien sind dazu aufgefordert, dies ebenso zur Kenntnis zu nehmen wie die Stellungnahmen von medizinischen Vereinigungen wie der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin oder der Hämatologen und Onkologen, die sich gegen das Mittel des Strafrechts aussprechen.

Jedoch dürfte der Zug abgefahren sein in Richtung des Gesetzentwurfs Brandt/Griese (Strafrechtsverbot geschäftsmäßiger Hilfe zur Selbsttötung). Da erscheint es fast müßig, wenn innerhalb des humanistischen Spektrums uneinheitliche Bewertungen darüber bestehen, welcher Alternativentwurf (der von Künast/ Sitte oder der von Hintze/ Reimann) stattdessen vorzugswürdig wäre. Einige Strategen gehen soweit, dass es das Beste sei, wenn der Strafrechtsentwurf von Brand/ Griese durchkommt. Dieser sei verfassungsrechtlich wohl am ehesten zu kippen. Denn wie sollte zu begründen sei, dass Menschen, die bei einer dann strafbaren geschäftsmäßigen Suizidhilfe nur "Teilnehmer" sind, straffrei bleiben sollen – aber das wiederum auch nur, wenn es sich um Angehörige oder Nahestehende des Suizidenten handelt. Die Strafrichter hätten dann Kriterien wie das Angehörigen-Verhältnis oder des Nahestehens zu prüfen bei der Frage, ob jemand ins Gefängnis gehört oder nicht.


* Anmerkung der Redaktion: 

Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels war noch nicht bekannt, dass der entsprechende Gesetzesentwurf (Sensburg u.a.) doch die erforderliche Anzahl an Unterstützern aus dem Bundestag erhalten würde.


Alle vorliegenden Entwürfe im Wortlaut hier:

http://www.patientenverfuegung.de/aktuelles/2015–6–26/die-vier-gesetzentwuerfe-zur-suizidbeihilfe-plus-ein-antrag

Juristische Begrifflichkeiten in der aktuellen Suizidhilfe-Debatte:

geschäftsmäßig: wiederholt, regelmäßig (auch unentgeltlich / ehrenamtlich)

gewerbsmäßig: auf regelmäßige Gewinnorientierung ausgerichtet, gegen Vergütung (nicht nur Aufwandsentschädigung)

organisiert: mehr als zwei Beteiligte handeln arbeitsteilig und planmäßig auf längere oder unbestimmte Dauer zusammen.