Dass Wahlprogramme nicht zwangsläufig die zukünftige Regierungspolitik vorhersagen, weiß auch die MIZ-Redaktion. Christoph Lammers weist in seinem Editorial darauf hin und auch auf die Tatsache, dass oft gesellschaftliche Entwicklungen politische Entscheidungen bzw. Gesetzgebungsverfahren nach sich ziehen - und nicht umgekehrt. Trotzdem widmet sich Heft 2/17 den Wahlprogrammen der Parteien bzw. deren religionspolitischen Aussagen.
In einem Überblicksartikel stellt Gunnar Schedel die wesentlichen Aussagen der sechs Parteien, die voraussichtlich in den Bundestag einziehen werden, dar. Die Bilanz ist ernüchternd: Gibt es momentan im Parlament (gemessen an den damaligen Wahlprogrammen) noch eine Mehrheit für eine Reform des diskriminierenden Kirchlichen Arbeitsrechts, wird dies in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr der Fall sein. Das liegt nicht nur daran, dass FDP und AfD, die derzeit nicht im Bundestag vertreten sind, zu diesem Thema keine Aussage treffen; auch im Wahlprogramm der SPD finden die Forderungen von ver.di und GerDiA – anders als vor vier Jahren – diesmal keine Unterstützung.
Anknüpfungspunkte ergeben sich am ehesten bei den Grünen und der Linken, beide Parteien erheben einige Forderungen, denen die Konfessionslosenverbände zustimmen werden. Bei der Linken meint Schedel allerdings einen Richtungsstreit zu erkennen, in dem die Kräfte, die das bestehende System der Privilegierung von Religionsgesellschaften gegenüber anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren im Kern erhalten möchten, an Einfluss gewinnen.
Die großen Parteien haben nichts zu bieten, was die Trennung von Staat und Kirche anbelangt; bei FDP (Streichung des § 166 StGB) und AfD (Abschaffung der Bezahlung von Bischöfen aus öffentlichen Mitteln) finden sich einzelne zustimmungsfähige Forderungen. Bei den Liberalen ist allerdings keine religionspolitische Linie zu erkennen und die AfD lehnt die Vorstellung einer Gleichbehandlung aller weltanschaulichen Richtungen explizit ab, indem sie diskriminierende Sonderregelungen für den Islam fordert.
Interviews mit SPD, Grünen und Linke
Als wichtigste Einschätzung für die kommende Legislaturperiode wagt Schedel die Prognose, dass es zu einer Ausweitung von Privilegien auf die Islamverbände kommen wird – unabhängig davon, welche Koalition zustande kommt.
Rico Gebhardt hält genau das für unwahrscheinlich, da er bei der CDU keine Bereitschaft sieht, islamische Organisationen tatsächlich zu unterstützen. Der sächsische Landesvorsitzende der Linken ist einer von drei Politikern, die darüber befragt werden, welche Rolle die Säkularen innerhalb der Parteien spielen und wie die organisierten Konfessionslosen mehr Einfluss auf die Politik gewinnen können. Dabei wird deutlich, dass die säkulare Szene ihre Lobbyarbeit verstetigen muss, wenn sie in den Parteien Gehör finden will; das betonen sowohl Rolf Schwanitz als auch Walter Otte.
#Luderei 2017
Anlässlich des "Lutherjahres" erscheint in der MIZ eine Serie zur Geschichte von Luthers Erben, also der EKD und ihrer Vorläuferorganisationen, im 20. Jahrhundert. Im zweiten Teil behandelt der Historiker Karsten Krampitz die Zeit von Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Er verweist darauf, dass die Protestanten es der Weimarer Republik nicht dankten, dass die neue Verfassung ihnen die Freiheit von der Oberherrschaft der Landesfürsten brachte. Und er zitiert aus der Rede von Otto Dibelius zum "Tag von Potsdam" und kircheninternen Rundbriefen – Dokumente, die zeigen, wie nah selbst höchste Repräsentanten autoritärem und antisemitischem Gedankengut waren.
Zahlen, zahlen und Zensur
In der Rubrik "Staat & Kirche" wird gezählt und gezahlt: Gerhard Rampp analysiert die Entwicklung der Kirchenmitgliedschaft und kommt anhand der Zahlen zu dem Ergebnis, dass die Erosionsprozesse noch dramatischer sind, als ohnehin schon angenommen.
Daniela Wakonigg fasst die Debatte um einen Beitrag der Stadt Münster zum Katholikentag 2018 zusammen. Nach dem jüngsten Ratsbeschluss sieht es nun so aus, als ob im Zweifelsfall doch städtische Gelder fließen könnten. Das "Kleingedruckte" legt nahe, dass die Grünen, die 2015 noch dafür gesorgt hatten, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik sich eine Kommune den Geldforderungen der Katholikentagsveranstalter verweigerte, nun von der CDU über den Tisch gezogen wurden.
Das "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" nimmt sich Frank Welker vor. Nach seiner Einschätzung wird das Gesetz weitreichende Folgen für Religionskritik in sozialen Netzwerken haben. Denn schon jetzt zeichne sich ab, dass nicht in erster Linie die Posts gelöscht werden, die strafbare Inhalte transportieren, sondern gegen die am meisten Beschwerden eingehen. Schlechte Zeiten für Kritik.
Horst Groschopp setzt mit seinem "Welcher Humanismus?" überschriebenen Beitrag die in Heft 4/16 begonnene "Humanismus-Debatte" fort. Und Siegfried Krebs interviewt die "Vereinigten Thüringer Ketzer".
Daneben gibt es noch die üblichen Rubriken Zündfunke und Internationale Rundschau, die Glosse Neulich... (diesmal aus der Hostienbäckerei) und Buchbesprechungen.
1 Kommentar
Kommentare
Kay Krause am Permanenter Link
Hat denn wirklich irgend jemand ernsthaft geglaubt, dass auch nur eine der z.Zt. über 20 wählbaren Parteien den Ansatz macht, eine reale, dem Grundgesetz entsprechende Trennung von Staat und Kirche durchzusetzen?